Schweinsteigers Hollywood-Story in Lille
Hollywood-Story in Lille: Der so lange verletzte Schweinsteiger macht drei Minuten nach seiner Einwechslung den Sieg gegen die Ukraine klar. „Dass es so was gibt, kann man sich nur wünschen“
Und dann ging es ab. Unaufhaltsam rollte die Konterattacke der deutschen Nationalmannschaft von Strafraum zu Strafraum. Vor allem einer ging so richtig ab. Man wollte dem Mann mit der Nummer „7“, der den Rücken immer so herrlich durchdrückt, wenn er Tempo aufnimmt, zurufen: „Lauf, Forrest Schweini, lauf!“
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Bastian Schweinsteiger legte den wohl schnellsten Sprint eines Ü30-Fußballers mit grauen Schläfen hin und erreichte schließlich termingerecht den ukrainischen Strafraum ebenso wie den exakten Flankenball von Mesut Özil. Au point würde der Franzose sagen. Der 31-Jährige schloss den Konter ab, in dem er die Kugel wuchtig ins Tor beförderte. Das 2:0 im Auftaktspiel der EM. Drei Punkte. Klappe, die erste. Luft holen.
„Der Sprint nach vorne war verdammt lang und ich bin ein bisschen außer Atem“, gestand der einstige Bayern-Star Schweinsteiger im ersten Interview am Spielfeldrand. Er strahlte. „Dass es so etwas gibt, kann man sich nur wünschen. Unglaublich!“ Nach seinem Treffer in der Nachspiel drehte, nein sprintete, Schweinsteiger noch eine halbe Ehrenrunde Richtung DFB-Ersatzbank.
Er fiel Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt überglücklich in die Arme, tanzte mit dem DFB-Doc an der Seitenlinie. Dort hatte er das Spiel ja weitestgehend verfolgt. Er kam erst in der 90. Minute für Mario Götze rein. Zur Absicherung des Ergebnisses, des 1:0. „Eigentlich sollte er in den letzten Minuten im Mittelfeld zumachen“, erklärte Bundestrainer Joachim Löw. Doch der Ex-Bayer, der jetzt bei Manchester United spielt, war nicht zu bremsen in seinem erst zweiten Länderspieleinsatz nach seiner schweren Kniever letzung aus dem März.
Kein Platz (mehr) für den „elder statesman“? Von wegen!
Dritter Ballkontakt – und wusch! Er sorgte für die Entscheidung, den emotionalen Höhepunkt des Abends und viel wichtiger: Löw bleiben durch das späte 2:0 all zu intensive Diskussionen um den teils zähen Auftritt des Weltmeisters mit doch deutlichen Schwächen in der Defensive erspart. Für diese Momente hat der Bundestrainer seinen „Baschtian“ mitgenommen.
Dass der Mann von ManUnited nicht zu 100 Prozent turnierfit geworden ist, war dieses Jahr kein großes Ding. Ähnliches hatte er auch bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien hinbekommen. Nach der ersten Einwechslung im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana steigerte sich der damalige Vize-Kapitän bis hin zum Sinnbild des Blut, Schweiß & Gedächtnislücken-Finaltriumphes über Argentinien. Er sei womöglich nur das Maskottchen, der gute Geist des Teams, spotteten manche schon. Aus Erfahrung gut – ja. Aber nicht mehr gut genug, nicht mehr schnell und spritzig genug für das zentrale DFB-Mittelfeld. Dort sei das Revier von Toni Kroos, Sami Khedira und Mesut Özil - und damit kein Platz (mehr) für den „elder statesman“. Von wegen. Nun ist er mittendrin - im Turnier, allerdings noch nicht in der Startformation von Löw.
„Bastian ist Gold wert. Er ist wichtig von seiner Persönlichkeit, seiner Erfahrung, er kann einer Mannschaft viel geben“, meinte der Bundestrainer, „das Tor gibt ihm und uns allen ein bisschen Auftrieb.“ Den Kick eben. Beim Kabinen-Foto des DFB-Teams nach dem 2:0-Sieg im EM-Auftakt posierte Schweinsteiger inmitten seiner Kollegen wie ein Feldherr.
Schweinsteigers letzter Treffer liegt 1679 Tage zurück
Wer hier der Boss ist? Keine Frage! Das Kapitänsamt dürfte aber auch im zweiten Gruppenspiel am Donnerstag in Paris Saint-Denis gegen Polen (21 Uhr, ZDF live) erneut Torhüter Manuel Neuer innehaben. „Forrest Schweini“ wird wohl auch in dieser Partie erneut eine Jokerrolle bekommen. Was ihm allerdings nichts ausmacht: „Alles ist sehr gut. Meine Verletzung ausgeheilt, und ich fühle mich gut, dass ich eine Halbzeit spielen kann und peu-à-peu mehr. Das Wichtigste ist, dass die Mannschaft gewinnt.“
Sprinterjoker Bastian. Er erzielte in seinem 14. EM-Einsatz (damit zog er mit dem 2014 aus der Nationaelf zurückgetrete nen Rekordhalter Philipp Lahm gleich) seinen ersten Länderspiel-Treffer seit einem verwandelten Elfmeter im Oktober 2011 beim 3:1 in der Türkei – vor 1679 Tagen. Verdammt lang’ her. Und es war sein erster Treffer bei einem großen Turnier seit der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz 2008, als Schweinsteiger gegen die Türkei traf.
In Serbien übrigens wurde Schweinsteiger gestern ganz besonders gefeiert: Weil der Oberbayer mit der serbischen Tennisspielerin Ana Ivanovic liiert ist, titelte die Belgrader Zeitung „Blic“: „Svajni (Schweini), jetzt bist Du ein echter serbischer Schwiegersohn“. Ein echter Sprint ins Glück!