Nichts zu motzen
Bei Joachim Löw wird aus Druck gute Laune und aus Kritik Motivation. Auch bei der EM bleibt der Bundestrainer gelassen: „Er ist einfach so: immer geradeaus, ehrlich, kein falscher Typ”
LEMBERG Die Szene mit dem Balljungen in Charkiw, dieser kleine Schabernack zeigte in wenigen Sekunden des Löws Kern. Ganz kurz kam der Jogi im Manne Löw durch bei jenem Lausbubenstreich mit einem ukrainischen Teenager, dem er den Ball wegschlug. Es war keine Showeinlage, kein Verstellen seiner Persönlichkeit im Wissen der dutzenden Kameras, die solche Momente für Millionen TV-Zuschauer selbst in Superzeitlupe zerlegt präsentieren.
Löw wie Löw leibt und lebt. „Der Jogi ist einfach so”, sagt sein Berater Roland Eitel der AZ, „er verstellt sich nicht, spielt seinem Gegenüber nichts vor. Er ist immer geradeaus, ehrlich, kein falscher Typ. Das spüren die Spieler."
Die beiden kennen sich seit über 20 Jahren in- und auswendig. Löw muss nichts kompensieren, nicht schauspielern. Er kann nur eine Rolle, sich selbst. „Mich erstaunt das auch immer wieder", sagt Eitel, „aber er verspürt keinen Druck. Wenn er sich wohl fühlt mit seinem Job, seiner Aufgabe und seinem Umfeld, braucht er nicht das Geld und den Ruhm. Er wäre auch bei irgendeinem unterklassigen Klub glücklich."
Löws Vertrag läuft bis zur WM 2014 in Brasilien. Würde der 52-Jährige Signale geben, seine Nationaltrainer-Karriere beenden zu wollen und ab 2015 einen Klub zu betreuen - einen Job unmittelbar im Anschluss an ein Turnier schließt er aus - würden sich die Top-Vereine Europas um ihn reißen. All das prallt an ihm ab. Was er braucht: ein paar Espressi und täglich Sport, selbst im eng getakteten Zeitplan einer EM. Ein wenig Jogging oder Übungen im Fitnessraum des Teamhotels. Er muss sich lockern, um weiter locker zu bleiben.
Als es schon vor Beginn des Turniers etwas unangenehm zu werden drohte, weil sich Jérome Boateng in der Nacht vor dem Abflug nach Danzig in einem Hotel mit einem Model ablichten ließ, suchte er nach innen das vertrauliche Gespräch und nahm den Abwehrspieler in die Pflicht, inklusive öffentlicher Watschn. Eine taktische Meisterleistung. Boateng zahlte zurück, lieferte gegen Portugal und Holland seine besten Länderspiele. Löw hat den Draht zu den Spielern, das Gespür für die richtigen Worte. Als sich Bayern-Star Toni Kroos nach dem zweiten Gruppenspiel beklagte, mehr spielen zu wollen als jeweils nur in der letzten Viertelstunde, münzte Löw die Kritik gekonnt in ein Lob um. „Ich weiß nicht, ob das ein Motzen ist. Er hat gesagt, er ist unzufrieden, dass er nicht spielt", sagte der Bundestrainer, „ich halte das für völlig normal. Ich will das nicht überbewerten, bin da nicht überempfindlich." Er mag keine Duckmäuser, er will ehrliche Ansagen. So ein leises Aufbegehren wie das von Kroos wertete Löw positiv: „Dass er mit seiner Klasse wie einige andere auch, wie Reus, Schürrle, Mertesacker und Klose, die ja in ihren Vereinen Stammspieler sind, mit der Situation nicht zufrieden ist, ist auch klar. Wenn ein Spieler sagen würde, für mich ist alles okay, würde ja was nicht stimmen." Ende der Durchsage, Deckel drauf.
80 Länderspiele, 55 Siege, Löws Bilanz ist beinahe makellos - lediglich ein Foto mit einem Pokal in der Hand fehlt Löw. Sein aktuelles Team empfinde er als „sein Baby". Löw in „Bild”: Wir alle sind miteinander gewachsen - und wachsen immer noch. Unabhängig vom Ausgang des Turniers verspüre ich einen gewissen Stolz, was diese Mannschaft geleistet hat. Wir sind die jüngste Mannschaft beim Turnier, das heißt automatisch, dass diese Mannschaft sehr gute Perspektiven hat."
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