Interview

Konstantin Wecker im EM-Gespräch: "Der Fußball hat seine Poesie verloren"

Liedermacher und Poet Konstantin Wecker spricht in der AZ über die EM, Künstler im Sport, und über politische Botschaften im Fußball: "Hier kommt eine richtige Anti-Rassismus-Bewegung ins Rollen."
Matthias Kerber
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"Ich habe nicht nur für die Süchtigen immer ein Herz gehabt, sondern auch für die Seitlich-Umgeknickten, die Nicht-Perfekten", sagt der Poet und Liedermacher Konstantin Wecker.
"Ich habe nicht nur für die Süchtigen immer ein Herz gehabt, sondern auch für die Seitlich-Umgeknickten, die Nicht-Perfekten", sagt der Poet und Liedermacher Konstantin Wecker. © Thomas Karsten/ho

EM-Gespräch mit Konstantin Wecker (64): Der Münchner ist Musiker, Komponist, Schauspieler und Autor. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Liedermacher.

AZ: Herr Wecker, die Worte Poesie und Widerstand, die auch Titel Ihres Buches sind, das demnächst erscheint, sind sicher Leitbegriffe Ihres stürmischen Lebens. Gerade läuft die Fußball-EM, können Sie angesichts der Überkommerzialisierung des Sports noch Poesie im Fußball entdecken?
KONSTANTIN WECKER: Nein, dieser vom Kapitalismus geprägte Fußball hat seine Poesie verloren. Die hat er früher teilweise gehabt. Wenn man sich einige Tore von Gerd Müller anschaut, das hatte schon poetische Qualität. Auch Petar Radenkovic, der legendäre Torwart der Löwen, hatte etwas Poetisches. Ich meine damit sicher nicht sein Lied, "Bin i Radi, bin i König", das wir übrigens sogar mal zusammen gesungen haben, sondern die Art seines Spiels. Das hatte auch was Widerständiges.

Das ist im glattgebügelten modernen Fußball eine verlorengegangene Tugend.
Wobei ich immer gerne Thomas Müller zuhöre. Da schwingt eine gewisse Poesie mit. Seine Sprüche sind nicht so unglaublich rummeniggisch, wo man bei jedem Wort merkt, dass er in irgendeinem Kurs gelernt hat, wie man viel sagt, ohne was zu sagen. Auch ein Franz Beckenbauer stand in seiner Zeit für die Poesie des Fußballs. Er war wirklich vom Glück geküsst. Ein Ballstreichler, der seiner Seele mit den Füßen Ausdruck verliehen hat. Er hatte so eine Leichtigkeit, etwas Tänzerisches. Bei ihm hat man gemerkt, er spielt nicht um des Geldes willen, sondern es spielt ihn. Das würde ich auch über jeden wahren Künstler sagen: Irgendwann spielt man nicht, es muss dich spielen. Wenn man diese Momente im Fußball erlebt, ist es wunderschön.

"Maradona war ein wahrer Künstler, dem seine Anhänger alles verziehen haben"

Einer, der wunderschön spielte, aber tragisch endete, war Diego Maradona. Dieses Kick-Genie dürfte Sie auf vielen Ebenen bewegt haben.
Er war ein wahrer Künstler, dem seine Anhänger alles verziehen haben. Er wurde verehrt, weil er so offen und menschlich in all seinen Verfehlungen war. Ich fühlte mich ihm auch nahe, als ein Mensch, der ähnliches durchgemacht hat. Er war ein Süchtiger - wie ich. Ich habe nicht nur für die Süchtigen immer ein Herz gehabt, sondern auch für die Seitlich-Umgeknickten, die Nicht-Perfekten. Denn das ist das menschliche Wesen, wir sind alle nicht perfekt. Damit beschäftigt sich mein Buch "Die Kunst des Scheiterns". Dafür habe ich mich ein halbes Jahr lang nur mit meinen Niederlagen beschäftigt. Die Aufarbeitung, die tut weh, aber erst sie gibt dir die Chance, aus deinen Niederlagen zu lernen. Das gilt für alle Bereiche des Lebens.

Sie waren über Jahre drogenabhängig, würden Sie sich noch als Süchtigen ansehen?
Wir sind eine Gesellschaft an Süchtigen in verschiedensten Ausprägungen, nur fällt es bei illegalisierten Drogen besonders auf. Andere sind süchtig nach Konsum, nach Aufmerksamkeit, nach Marken-Klamotten. Ja, ich bin ein Süchtiger. Das ist man von Anfang an - und bleibt es auch. Man muss eben aufpassen, aber das ist auch nicht schlimm. Ich möchte den sehen, der von sich felsenfest behaupten kann, dass in seinem Leben nichts von irgendeiner Sucht vorhanden ist.

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So einem Menschen kann man fast nur misstrauen, denn er kennt auch die Leidenschaft nicht.
Genau. Ich kann für mich sagen: Mir hat meine zweite Verhaftung - ich wurde schon mit 19 wegen Diebstahls verhaftet - das Leben gerettet. Es war eine Lebensrettung für mich, im Knast zu landen, ohne das wäre ich wenige Wochen später tot gewesen. Es war ein so entscheidender Einschnitt in meinem Leben. Ich hatte das große Glück, dass ich Freunde und Familie hatte, die mich aufgefangen haben. Vielleicht hatte Maradona dieses Glück nicht. Ich bin froh über die Brüche in meiner Vita.

"Es gibt kein Recht auf Gehorsam"

Wer steht Ihnen grundsätzlich näher: Der Künstler auf dem Fußballfeld oder der im Kommunismus so idealisierte und verherrlichte Arbeiter?
Mir sind immer - egal wo - die widerständigen KünstlerInnen wichtiger, ob auf der Bühne, auf dem Rasen oder am Fließband. Unabhängig vom Fußball: Den Arbeiter, der gedankenlos im tristen Gehorsam nur für das System schafft, empfand ich immer auch als gefährlich und schädlich. Es gibt kein Recht auf Gehorsam. Künstler haben für mich immer auch die Aufgabe, den Gedanken an eine herrschaftsfreie Welt, eben an Utopia, wie mein neues Album heißt, aufrechtzuerhalten. Künstler müssen auch Fantasten sein dürfen. Wenn nicht die Künstler, wer dann?

Wie haben Sie die Aktionen der deutschen Nationalspieler empfunden, die vor den Spielen mit T-Shirts für die Einhaltung von Menschenrechten in Katar, dem Gastgeber der WM 2022, demonstrierten?
Das sind Aktionen, die früher als man Sport noch als etwas definiert hat, was fast außerhalb unserer Gesellschaft stattfindet, nicht denkbar waren. Das hat mir gut gefallen. Es gibt auch so einige Vereine, die jetzt wirklich Farbe bekennen gegen Rassismus, das freut mich sehr.

"Das hat mir gut gefallen", sagt Konstantin Wecker über die T-Shirt-Protestaktion der Nationalmannschaft vor der EM.
"Das hat mir gut gefallen", sagt Konstantin Wecker über die T-Shirt-Protestaktion der Nationalmannschaft vor der EM. © picture alliance/dpa/AFP-Pool

Sie hätten sich sicher auch nicht gedacht, dass Sie den "Willy" - Ihre 70er-Jahre-Hymne der Toleranz, gegen Hass und rechtsradikale Umtriebe - eigentlich jedes Jahr aktualisieren müssen.
Das stimmt. Jetzt habe ich ihn umgetextet wegen des rassistischen Massakers in Hanau, als - das Massaker, bei dem neun Menschen hingerichtet wurden. Ein anderer Willy - der Rumäne Vili Viorel Pau - wollte den Faschisten stoppen. Doch er ist bei der Polizei leider nicht durchgekommen, als er vor dem Attentäter warnen wollte. Dann verfolgte er den Täter auf eigene Faust und wurde selbst erschossen. Er hätte viele Menschenleben retten können - auch sein eigenes. Ich finde es sehr spannend, was im Sport weltweit gerade geschieht, wie sich etwa in den USA Athleten für die "Black lives matter"-Initiative stark machen. Hier kommt eine richtige Anti-Rassismus-Bewegung ins Rollen. Ich finde es wirklich großartig, dass dies auch im deutschen Sport seinen Nachhall findet.

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Kommen wir zum Thema Widerstand: Während die Künstler weiter coronabedingt keine Bühne haben, zwang die Uefa die Ausrichter zu garantieren, dass bei der EM Fans in den Stadien sein werden. . .
Was soll man da sagen? Wir Künstler dürfen nicht auftreten, obwohl längst mit Wissenschaftlern Konzepte entwickelt wurden, die die Sicherheit der Zuschauer garantieren würden. Aber man will eben nicht, dass die Kultur systemrelevant ist. Für uns gilt nicht, was für Audi, die Lufthansa und jetzt den Fußball gilt. Oder der Waffenhandel! Die Verkaufszahlen sind in Zeiten von Corona explodiert. Was für ein himmelschreiendes Unrecht, aber den Künstlern wird die Bühne genommen. Ich bin mir sicher, manch Politiker ist froh, dass die Unbequemen, die Fantasten, kein Publikum haben. Aber ein Herr Aiwanger hat noch im März 2020 bei einem Starkbierfest gesagt: "Toll, dass Ihr alle da seid, Starkbier ist gut gegen Corona." Auch ein gewisser Herr Söder hat, ehe er Kanzler werden wollte, noch seinen Wahlkampf durchgezogen, bei dem sich Tausende infiziert haben. Und jetzt eben Fußball - da fehlen mir fast die Worte.

"Sophie Scholl ist für mich eine Heldin"

Was für Worte finden Sie denn für den DFB? Der inzwischen zurückgetretene Präsident Fritz Keller hatte seinen Vize Rainer Koch mit Blutrichter Roland Freisler verglichen.
Ich hab mich mit dieser Zeit und insbesondere Herrn Freisler intensiv beschäftigt. Ich weiß nicht, ob es weltweit etwas Widerlicheres als diesen Menschen, diesen sogenannten Juristen gegeben hat. Er hat so viele Menschen auf dem Gewissen - auch Sophie Scholl, aber auch viele Hunderte sonst.

Sophie Scholl, Ihre große persönliche Heldin.
Ja, ich habe damals nach Originalmanuskripten den Justizbeamten eingesprochen, der Sophie Scholl dort verhört hat. Da entstand auch mein Lied "Es geht ums Tun, nicht ums Siegen", weil es mich so bewegt hat. Dieser Polizist wollte sie eigentlich davonkommen lassen, das hat er nach dem Krieg ihren Eltern bestätigt. Aber sie stand zu ihren Überzeugungen. Was diese junge Frau - sie war 22 - für eine Klarheit in ihrem Denken, ein Engagement hatte, hat mich umgehauen. Ja, sie ist für mich eine Heldin.

Es gibt jetzt ein Buch, in dem dargelegt wird, dass sie in ihrer Jugend vom Hitler-Regime begeistert war.
Ja und? Das waren ganz viele, aber wer wird danach zu so einer großartigen Denkerin? Wenn eine 17-Jährige von etwas begeistert ist, ist das nicht immer gut, das weiß jeder, der Kinder hat. Fehlgeleitet zu sein, passiert uns allen, aber sich bewusst gegen den Irrweg zu entscheiden, das zeichnet sie aus und unterscheidet sie von all den anderen. Sie wusste genau - das geht aus den Protokollen hervor -, dass sie sich um Kopf und Kragen geredet hat. Aber sie hat ihre Überzeugung über ihr Leben gestellt. Was mir ganz wichtig ist, es war eine Überzeugung, die eben keine neue Ideologie war, in die sie sich verrannt hatte. Nein, es war die pure Menschlichkeit, gepaart mit ihrem Intellekt, die aus ihr sprach. Wenn das keine Heldin ist, wer dann?

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3 Kommentare
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  • Veronika10 am 06.07.2021 11:17 Uhr / Bewertung:

    Der Konstantin Wecker gibt gut und gerne viele Interviews, auch über Themen, bei denen ihm einfach der Sachverstand und die Kenntnisse fehlen.
    Von fundierten Wissen kann man hier leider nicht sprechen. Fazit: Viel Bla - bla.

    PS: Von seinem früheren Lieblingsthema "Flüchtlinge" hört man überhaupt nicht mehr!!

  • brauxtnix am 04.07.2021 11:41 Uhr / Bewertung:

    Der hat doch keine Ahnung von Fussball, weiss er überhaupt, dass der Ball rund ist ??

  • aberdochsonicht2 am 03.07.2021 19:24 Uhr / Bewertung:

    Oh mei, der Konstantin.

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