Interview mit Lothar Matthäus: DFB-Elf "zu 99 Prozent weiter"

Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus erklärt, warum der EM-Titel für das DFB-Team endlich möglich ist. Gegen Griechenland sieht er Löws Elf schon „zu  99 Prozent weiter”.
von  Patrick Strasser

Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus erklärt, warum der EM-Titel für das DFB-Team endlich möglich ist. Gegen Griechenland sieht er Löws Elf schon „zu 99 Prozent weiter”, im Halbfinale erwartet er Italien.

AZ: Herr Matthäus, die Vorrunde dieser EM ist vorbei. Lassen Sie uns über die Trends dieses Turniers sprechen. Wird denn generell vorsichtiger gespielt, eher abwartend-defensiv, weil man viel zu viel Respekt voreinander hat?

LOTHAR MATTHÄUS: Nein, ich sehe da keinen allgemeinen Trend. Es gab viele Torchancen. Ich habe auch Spiele gesehen, die sehr offensiv gestaltet wurden, wie das zwischen Spanien und Italien etwa.

Dennoch: Sicherheit kommt vor Risiko, so scheint das Motto zu lauten.

Natürlich gibt es Mannschaften, die nicht anders spielen können – wie etwa die Iren oder die Griechen. Sie haben nicht das Potenzial, die spielerischen Möglichkeiten, um die Spiele bestimmen.

Manche behaupten, die Griechen haben gegen Russland so gewonnen wie Chelsea im Champions-League-Finale gegen die Bayern. Glücklich, mit einer Torchance.

Das ist eben Fußball. Ihr Herz ist groß, sie spielen mit enormer Leidenschaft und haben es sich erkämpft. Für den neutralen Beobachter und Fan ist es dagegen eher unverdient, dass die Griechen weitergekommen sind.

Und nun am Freitag im Viertelfinale muss die DFB-Elf wieder anrennen gegen die Griechen, die sich am eigenen Strafraum verschanzen.

Ich denke, dass die Deutschen zu 90 Prozent, ach, ich würde sagen fast zu 99 Prozent weiterkommen. Gegen tief stehende Gegner kann man nicht Hauruck-Fußball spielen und bedingungslos nach vorne stürmen. Dazu kommt: Die Gegner haben sich auf das Spiel der deutschen Elf eingestellt, sie über die letzten Jahre genau studiert. Da sind wir nun auf einer Ebene mit den Spaniern. Das hat viel mit Respekt zu tun. Man hat überall registriert, was die Deutschen in den letzten Jahren geleistet haben.

Spieler wie Thomas Müller beklagen sich darüber, dass diese Leistungen nicht genügend gewürdigt werden.

Die DFB-Elf hat neun Punkte geholt, das ist das Maximum, sicher. Gegen Holland und Dänemark hat man verdient gewonnen, gegen die Portugiesen mit etwas Glück. Sie hat aber nicht begeisternd gespielt. Einige Spieler sind noch nicht an ihrer Leistungsgrenze angekommen.

Welche denn? Mesut Özil etwa, von dem Bundestrainer Joachim Löw eine „Leistungsexplosion” erwartet?

Ich möchte keine Namen nennen. Generell: Da ist noch Luft nach oben, da geht noch was. Aber: Eine EM-Endrunde hat eben eine höhere Qualität, da sind schon die Vorrundenspiele viel intensiver als eine WM. Du hast eben keine Gegner wie Australien oder Saudi-Arabien.

Gehen wir den Spielplan durch. Auf das Viertelfinale gegen Griechenland könnte ein Halbfinale gegen Italien oder England folgen. Wer wird’s?

Italien, denke ich. Die Engländer haben kaum überzeugt. Aber ich kann nur warnen: Gegen Italien haben wir uns immer schwer getan, sie spielen einen verzinkten Fußball, der uns nicht so liegt. Wie die Portugiesen haben sie etwas Außergewöhnliches, etwas Unangenehmes. Sie können überraschen, haben dominante Spieler, die für das gewisse Extra stehen, siehe Cassano, Balotelli.

Und im Finale dann der Klassiker, das ultimative Duell mit Welt- und Europameister Spanien. Ist der Welt- und Europameister nun endlich fällig?

Zunächst ist es ein Vorteil für unser Team, wenn sich im Viertelfinale die beiden spielstärksten Mannschaften der EM, also Spanien und Frankreich, gegenüberstehen und einer heimfährt. Die Deutschen sind nicht der Favorit, können aber gegen jede Mannschaft der Welt gewinnen, sie sind jetzt viel reifer, viel stärker, als Mannschaft gewachsen und haben mehr Selbstvertrauen.

Nennen Sie uns ein Beispiel.

Denken Sie doch nur an Özil und Khedira, die schon seit zwei Jahren bei Real Madrid Stammspieler sind. Das ist ähnlich positiv fürs Team wie es bei uns 1990 war, als Andi Brehme, Klinsmann und ich bei Inter Mailand gespielt haben.

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