Finanz-Opfer Ballack?
LONDON - In England wird spekuliert, dass Chelsea, durch Abramowitschs Verluste in der Bredouille, sich aus wirtschaftlichen Gründen vom DFB-Kapitän trennt.
Es fing recht kurios an, wie sich die Finanzkrise bei den Profis des FC Chelsea bemerkbar machte. Plötzlich mussten die Spieler in der Kantine des Klubs das Essen selbst bezahlen. Dann wurde ihnen die Freikarten-Quote gekürzt, statt acht bekommt jeder Stammspieler nur vier Tickets pro Heimspiel. Einige tausend Pfund wird der Champions-League-Finalist so pro Partie sparen.
Zu Wochenbeginn meldete die „Times", Klubbesitzer Roman Abramowitsch werde einigen Spielern das Grundgehalt stutzen, namentlich genannt wurde Michael Ballack. Dessen Boss hat heftige Geldsorgen und – wie viele andere russische Oligarchen – große Teile seines Vermögens verloren. Laut „Spiegel" ist sein Vermögen von 23,5 Milliarden Euro auf 3,2 Milliarden geschmolzen.
Nun bringt die „Daily Mail" sogar eine Trennung zwischen Chelsea und Ballack ins Gespräch. Der Artikel, fundiert beschrieben, basierte offenbar auf einer Quelle im Verein. Von Wirtschaftsmagazinen geschätzte 6,3 Millionen Pfund (7 Mio. Euro) pro Saison ließen sich einsparen, wenn Ballack am Saisonende, wenn sein Vertrag ausläuft, ginge. Am Einkommen des DFB-Kapitän, schon 32 Jahre alt, wäre der Wahnwitz der Gehälter erkennbar, kommentierte die Zeitung.
Die Londoner, die bis in den vorigen Herbst keine finanziellen Grenzen kannten und ein Minus von 75 Millionen Pfund in einer Saison „erwirtschafteten“, beschäftigen sich damit, wie sie ihre Einkommensmillionäre los werden.
Die Gesamtverschuldung der Klubs in der Premier League wird auf mindestens 1,7 Milliarden Pfund (1,9 Millionen Euro) geschätzt. Es könnten auch 2,5 Milliarden Pfund sein, meinen Experten wie Keith Harris, der oft die Deals einfädelte, wenn Milliardäre aus aller Welt englische Vereine aufkauften. „Die Zeiten der Übernahmen sind vorbei. Das schlimmste Wirtschaftsklima aller Zeiten wirkt sich auch auf den Fußball aus", sagte Harris. Neun der 20 Vereine der Premier League sind im Besitz von ausländischen Investoren. Die meisten von ihnen wollen die Klubs möglichst schnell verkaufen.
Ballack, der eigentlich in London bleiben wollte, könnte eines der ersten Finanz-Opfer unter den Fußball-Profis werden. Ein Viertel seines Gehaltes, geschätzte (von Ballack nicht bestätigte) 121 000 Pfund pro Woche, hat er, umgerechnet auf Euro-Basis, innerhalb eines Jahres durch den Wertverlust des Pfunds verloren.
Der deutsche Profi-Fußball ist zwar auch betroffen, aber da die Bundesliga wegen des Verbots von Investoren und den harten Lizenzauflagen der Deutschen Fußball-Liga verglichen mit England richtig seriös wirtschaftet, dürften sich die negativen Folgen in Grenzen halten. „Ich bin überzeugt, dass in einem Jahr der FC Bayern ein großer Profiteur der Krise sein wird", hatte Manager Uli Hoeneß kürzlich erklärt und über die Engländer gesagt: „Die haben viele Einkäufe auf Pump gemacht und das Geld kriegen sie künftig nicht mehr von den Banken oder Mäzenen." Deutsche Vereine besitzen für internationale Profis den Ruf einer Sparkasse. Dort sind zwar nicht die höchsten Renditen für die Arbeitskraft zu erzielen, aber die Gage ist sicher. Hoeneß kennt das Mittel der Vereine, um krasse Gehaltskürzungen bei den Profis durchzusetzen: „Indem sie zu ihren Spielern gehen und sagen: Jungs, die Fata Morgana ist vorbei.“
In England sind die Verwerfungen heftig. Der FC Liverpool hofft zwar auf die erste Meisterschaft seit 19 Jahren, bewegt sich aber am Rande des Bankrotts. Die Gläubigerbanken stimmten nun der Stundung eines 350-Millionen-Pfund-Kredits bis Saisonende zu. Besonders klamm ist auch der Isländer Björgolfur Gudmundsson, der für West Ham United einen Kaufpreis von 250 Millionen Pfund erzielen will, um seinen eigenen Bankrott abzuwenden. Selbst Manchester United ist betroffen. Trikotsponsor AIG, eine Versicherung, wird nur durch die US-Regierung am Leben erhalten.
Gregor Derichs