Erdogan wettert gegen Nationalmannschafts-Kritiker
Lens - Kein Punkt, kein Tor, kein Rückhalt - die Anfeindungen gegen das Nationalteam bei der Fußball-EM veranlassen selbst das türkische Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan zu einer Reaktion. Vor dem letzten Gruppenspiel am Dienstag in Lens gegen Tschechien rief der umstrittene Präsident alle Beteiligten zu mehr Geschlossenheit auf. Vor allem die Häme für Barça-Profi Arda Turan von den Tribünen beim 0:3 gegen Spanien empfand der charismatische Erdogan als unpatriotisch: "Er ist unser Sohn, unser Bruder, der zur besten Mannschaft der Welt gewechselt ist. Schämt ihr euch nicht?"
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Sogar die schwangere Trainer-Tochter wird angefeindet
Zum Leidwesen von Erdogan ist vom einstigen Stolz der Türken auf ihre Nationalmannschaft nach zwei EM-Niederlagen gegen Kroatien (0:1) und Spanien nur wenig geblieben. Vor dem letzten Gruppenspiel gegen Tschechien ist der Achtelfinaleinzug nur noch theoretisch machbar. "Das hat mich als Staatspräsident sehr traurig gemacht", kommentierte Erdogan die Stimmung in der Türkei.
Vor allem Nationalcoach Fatih Terim, dessen schwangere Tochter in den sozialen Netzwerken ebenfalls verspottet worden war, zeigte sich tief gekränkt und sprach gar von Rücktritt. "Ich bin bereit, die volle Verantwortung zu übernehmen", kündigte Terim am Montagabend in Lens an: "Meine Familie ist das Wichtigste überhaupt. Niemand wird sie verletzen. Das werde ich nicht zulassen."
Erdogan: "So etwas darf nicht sein"
Erdogan hatte vor dem Gruppen-Showdown nicht nur die Profis, sondern auch Terim demonstrativ in Schutz genommen. Die vielen spöttischen Kommentare im Internet bezeichnete Erdogan als "inakzeptabel": "Das sind ganz große Unverschämtheiten. So etwas darf nicht sein."
Terim zeigte sich "frustriert und tief enttäuscht. Ich bin auch nur ein Mensch." Er wandte sich zudem direkt an seine Kritiker und schimpfte: "Sie werden auch irgendwann ihren Teil abbekommen."
Angesichts der Stimmung um das Nationalteam wird ein Abschlusserfolg gegen Tschechien noch unwahrscheinlicher als er ohnehin schon ist. Medienberichte über Querelen innerhalb der Mannschaft runden das Bild ab. Die Mannschaft um die Bundesligaprofis Hakan Calhanoglu (Leverkusen), Nuri Sahin (Dortmund) und Yunus Malli (Mainz) ist bislang eine der großen EM-Enttäuschungen.
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