England gegen Italien: Renaissance eines Klassikers
EM-Finale England gegen Italien: Wie das schon klingt! Wie eine Verheißung, wie das ewige Duell Federer gegen Nadal. Franz Beckenbauer würde natürlich sagen "We call it a Klassiker" - und hätte selbstredend Recht, wie immer. Wobei, mal ganz ketzerisch gefragt: Stimmt das überhaupt? Ist dieses EM-Endspiel von Wembley nicht doch eher ein gefühlter Klassiker? Ein Klassiker in spe?
Was wie ein immer wiederkehrender Zweikampf klingt, ist vielmehr eine absolute Seltenheit. Man muss es wohl als eine Laune dieses Fußballgotts bezeichnen, dass er zwei der zweifellos ganz großen Fußballnationen in all den Jahren seit dem ersten Duell am 13. Mai 1933 so selten aufeinander treffen ließ. Bei 10:6 (plus neun Unentschieden) steht die Bilanz für die Azzurri, doch darunter sind 16 Freundschaftsspiele. Bei Weltmeisterschaften traf man sich sechs Mal (4:1 für Italien), bei Europameisterschaften nur zwei Mal (2:0 für Italia), zuletzt im Viertelfinale 2012, als England ins Elfmeterschießen musste - und natürlich verlor.
Erstes Finale zwischen England und Italien
Ein großes Finale haben diese beiden Nationen auf dem Fußballplatz jedoch nie bestritten. Bei der WM 1990 kämpfte man lediglich um Platz drei - mit dem besseren Ende für den Gastgeber Italien. Der letzte englische Sieg in einem Punktspiel datiert vom 16. November 1977. Long ago, wie der Brite sagt.
Nun also endlich das Treffen der Giganten, passenderweise in Wembley, einer der Kathedralen des Fußballs. Dass das Finale durchaus auch Dänemark gegen Spanien hätte heißen können? Geschenkt. In den Geschichtsbüchern ist meist wenig Platz für Elfmeterschinder oder Elfmeterversager.
Torwart-Legende lobt Italien-Trainer
Wohl selten gab es bei einem der großen Turniere so viele so enge Spiele wie heuer bei diesem paneuropäischen Vielvölkerturnier. Und dass sich die beiden Finalisten maximal weit von ihrem jahrzehntelang geltenden Klischee-Spielstil - hier Kick & Rush, da Catenaccio - entfernt und sozusagen emanzipiert haben, ist ja nur zu begrüßen. Auch wenn die Squadra Azzurra im Halbfinale angesichts des spanischen Tiki-Taka fast 120 Minuten lang mit dem Rücken zur Wand stand. Aber mit wie viel Herz diese Mannschaft vor dem Anpfiff die Hymne geschmettert hat: Mamma mia! Kein Gedanke mehr an den Ergebnisverwaltungsfußball vergangener Tage.
Torwart-Legende Dino Zoff, der einzige Azzurri, der Welt- und Europameister wurde, lobt Coach Roberto Mancini: "Unter seiner Regie sind die Azzurri wieder auferstanden. Er hat ein offensives Spiel aufgebaut, Italien ist längst nicht mehr nur Catenaccio. Für die Azzurri kann jetzt eine erfolgreiche Ära beginnen." Mancini habe das Vertrauen der Spieler gewonnen und vielen jungen und interessanten Talenten eine Chance gegeben. Er sei ein Coach mit Erfahrung, der das Beste aus seinen Leuten herausholt." Zoff weiter: "Die Resultate sind beeindruckend, wir können auch noch diesen letzten Schritt gehen."
Es dürfte laut werden in Wembley
Und England? Hatten die Three Lions je so viele pfeilschnelle Zauberfüße versammelt? Wenn ihn nicht gerade im Strafraum die Fallsucht befällt, ist Raheem Sterling einfach eine Augenweide. Gareth Southgate, der Löwen-Dompteur, hat es nicht nur ins Finale, sondern auch in die Charts geschafft. Die Band Atomic Kitten hat einen ihrer Hits neu getextet: Statt "Baby, du bist der Richtige, du machst mich immer noch an, du kannst mich wieder komplettieren", singen sie nun "Southgate, you're the one, you still turn me on. Football's coming home again".
Es dürfte wieder laut werden in Wembley. Holt England den ersten Titel seit 55 Jahren, oder spuckt ihnen Italia doch noch in die Suppe? Wie sagte Beckenbauer in seinem Werbe-Klassiker: "Mmmh, müssen Sie probieren!"
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