Die Sportreporterin und ihre kleine Staatsaffäre

ZDF-Moderatorin Müller-Hohenstein nennt Kloses Tor-Comeback einen „inneren Reichsparteitag“. Das ZDF entschuldigt sich, die Regierung reagiert. Doch der Zentralrat der Juden warnt vor Hysterie.
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Das Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft bei dieser WM gegen Australien (4:0) war ein wahres Fußball-Fest. Nur ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein sorgte mit ihren Bemerkungen zu Torschütze Miroslav Klose (Foto links) für Missstimmung. Foto: ddp
az Das Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft bei dieser WM gegen Australien (4:0) war ein wahres Fußball-Fest. Nur ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein sorgte mit ihren Bemerkungen zu Torschütze Miroslav Klose (Foto links) für Missstimmung. Foto: ddp

ZDF-Moderatorin Müller-Hohenstein nennt Kloses Tor-Comeback einen „inneren Reichsparteitag“. Das ZDF entschuldigt sich, die Regierung reagiert. Doch der Zentralrat der Juden warnt vor Hysterie.

MAINZ Vorsicht ist geboten, mit Worten, die an die düsterste Zeit der deutschen Geschichte, an die Diktatur der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945, erinnern. Erst recht, wenn man sie vor einem Publikum von bis zu 27,9 Millionen TV-Zuschauern wählt. Dies tat leichtfertig ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein in der Halbzeitpause der WM-Partie Deutschland gegen Australien (4:0) im Studio in Durban – und löste damit so etwas wie eine kleine Staatsaffäre aus.

Was war passiert? Müller-Hohenstein, geboren 1965 und somit 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, meinte am Sonntagabend an Experte Oliver Kahn gerichtet über den DFB-Treffer zum 2:0: „Das ist für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst, dass er heute hier trifft.“ Über die Aufstellung des zuvor kriselnden Bayern-Stürmers, geboren als Miroslaw Marian Kloze im polnischen Opole, war zuvor wochenlang debattiert worden. Zweifellos unglücklich von „KMH“, dessen Tor-Comeback als „inneren Reichsparteitag“ zu bezeichnen.

In Internet-Netzwerken wie Facebook und Twitter ging sofort eine Debatte los. Der Tenor: Müller-Hohenstein ist nach der Benutzung eines mit dem Nationalsozialismus verknüpften Terminus nicht mehr tragbar! Auf Facebook bildeten sich spontan Anti-KMH-Gruppen. „Hurra, die deutsche Wochenschau berichtet live aus den deutschen Kolonien in Afrika“ schrieb sogar ein ebenso empörter wie ahnungsloser User. Schließlich gehörte Durban einst zum britischen Empire.

Eine Stunde nach Ende der Partie sah sich ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz veranlasst, sich für seine Mitarbeiterin zu entschuldigen. Im internet, via Twitter, ließ er verlauten: „Es war eine sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause. Wir haben mit Katrin Müller-Hohenstein gesprochen, sie bedauert die Formulierung. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Tags darauf fügte Gruschwitz hinzu: „Das ist ein umgangssprachlicher Ausdruck, der nicht in die Fernsehsprache gehört.“

Sollte Gruschwitz gedacht haben, dass die Affäre damit vorbei wäre, sah er sich gestern getäuscht. Sogar ein Mitglied des mächtigen ZDF-Fernsehrats sah sich bemüßigt, Müller-Hohenstein zu kritisieren. „Wir nehmen es nicht hin, wenn extremistische Terminologie von links oder rechts im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbreitet wird. Das widerspricht dem Staatsvertrag“, sagte Hugo Diederich, der Vize-Bundesvorsitzender der Vereinigung der Opfer des Stalinismus.

Laut Diederich würden die Moderatoren für ihre Wortwahl schließlich gut bezahlt. Das ZDF sei ein Schaufenster Deutschlands, das als Gast aus Südafrika berichte „und nicht als Statthalter einer Diktatur“. Diederich forderte eine Entschuldigung im Programm oder auf der ZDF-Homepage. Andernfalls stehe infrage, ob Müller-Hohenstein weiter moderieren dürfe.

Doch es gibt auch Unterstützung für die Moderatorin. Dieter Graumann, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, warnte vor Hysterie. „Die Moderatorin hat es bedauert, das ZDF hat es bedauert. Da gibt es deutlich keine böse Absicht“, sagte er. Und weiter: „Ich glaube, dass ist ihr einfach so rausgerutscht.“ Der Begriff sei inzwischen leider zu einem umgangssprachlichen Idiom geworden. „Viele Menschen denken gar nicht an die NSDAP in dem Moment, wenn sie es sagen. Aber es wäre mir lieber, wenn es nicht existieren oder nicht so häufig verwendet würde.“

Dennoch sah sich sogar die Bundesregierung genötigt, zu reagieren. Das ZDF habe sich entschuldigt und ein Gespräch mit der Journalistin geführt, erklärte Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans: „Dementsprechend sind wir mit der Reaktion des ZDF zufrieden.“ jos

Das sagt der Historiker: "Eine Distanzierung von der Propaganda“

Katrin Müller-Hohenstein und ihre Aussage vom „inneren Reichsparteitag“ sorgt für Wirbel, bezieht sich die Aussage doch auf die Propaganda-Veranstaltungen der NSDAP während der NS-Diktatur in Deutschland (1933 bis 1945). Im Mittelpunkt der Reichsparteitage stand stets Adolf Hitler. Doch was soll die Formulierung „innerer Reichsparteitag“ zum Ausdruck bringen? Die AZ fragte nach bei Professor Dr. Christoph Dipper, Historiker an der TU Darmstadt.

„Für sich genommen ist Müller-Hohensteins Aussage nicht besonders dramatisch. Sie bezieht in keinster Weise eine nationalsozialistische Position“, sagt Dipper, „im Gegenteil: In dieser Redewendung kam nichts anderes zum Ausdruck als eine Distanzierung von der Propaganda von 1945.“ Besonders glücklich fand er den Auftritt der Moderatorin jedoch nicht.

„Ihr ist etwas rausgerutscht, dass man im Zeitalter der politischen Korrektheit eben nicht zu sagen pflegt.“ Natürlich dürfe dies einer TV-Moderatorin „nicht passieren“, da eine solche Aussage „viele Leute in den falschen Hals“ bekämen. Dennoch sagt der Historiker: „Man sollte die Sache nicht aufbauschen und den Ball flach halten.“ Auch der Sprachwissenschaftler Horst-Dieter Schlosser, Vorsitzender der Jury für das Unwort des Jahres, nahm Müller-Hohenstein in Schutz. Die Formulierung „innerer Reichsparteitag“ sei schon während der NS-Zeit ironisch gebraucht worden.

„Ich würde mich persönlich daran nicht stören. Das Problem wird nur sein, dass eines Tages kaum noch jemand weiß, was damit gemeint ist. Aber ich sehe darin eigentlich nichts Gefährliches“, so Schlosser. jr

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