Cucurella-Handspiel, Kroos-Abschied und keine Titel: Das Sportjahr der Nationalmannschaft
München - Hätte, hätte. Fehlerkette – klar. Aber man stelle sich einmal vor, die deutsche Nationalmannschaft wäre bei ihrer EM im eigenen Lande krachend gescheitert und Julian Nagelsmann als Bundestrainer schon wieder Geschichte. Womöglich wäre Thomas Tuchel, im Mai 2024 beim FC Bayern regelrecht vom Hof gejagt, einer der Nachfolgekandidaten beim DFB gewesen.
Deutsche Nationalmannschaft: Merino beendet Deutschlands Traum von EM-Titel
Es kam aber anders. Ganz anders. Nagelsmann ist weiter im Amt, beliebter denn je. Man könnte sagen, dass kein Bundestrainer – außer dem über allen schwebenden Teamchef Franz Beckenbauer – nach einem Viertelfinal-Aus bei einem Turnier solch ein hervorragendes Standing hatte. Was mit einer Hand und vielen Tränen zu tun hat. Das eine bedingte das andere. Stuttgart, das EM-Viertelfinale gegen Spanien an einem heißen Juli-Nachmittag.

Leverkusens Florian Wirtz gleicht kurz vor Schluss für Deutschland zum 1:1 gegen die Iberer aus – Verlängerung. Dann bekommt der Spanier Marc Cucurella einen Schuss von Bayern-Star Jamal Musiala an die Hand, der Ball fliegt so nicht weiter Richtung Tor. Schiedsrichter Anthony Taylor (Großbritannien) pfeift nicht, der VAR greift nicht ein. Drei Mal nicht! In der 119. Minute köpft stattdessen Mikel Merino wuchtig ein – das 1:2.
Nagelsmann: "Das Pflänzchen ist zart, aber es hat Potenzial zu wachsen"
Das Aus – der tiefe Fall ins Tal der Tränen. Die Phantomschmerzen halten an, werden noch intensiver als die Schiedsrichterkommission der Uefa im September (!) zum Entschluss kommt, dass es ein Handelfmeter hätte sein müssen.
"Sie haben jetzt drei Monate gebraucht, um mitzubekommen, dass es Hand war – was eigentlich alle, fast alle, schon in der Sekunde geschafft haben. Das beruhigt mich ungemein", meinte Ex-Nationalspieler Toni Kroos als einer der Leidtragenden sarkastisch – es war schließlich sein letztes Länderspiel, die letzte Partie seiner großen Karriere.
Der trotzige Bundestrainer hatte Tränen in den Augen und zwei Visionen im Kopf. Erstens: "Dass man zwei Jahre warten muss, dass man Weltmeister wird, tut weh." Bei seiner emotionalen Abschlussrede am Tag nach dem Ausscheiden warb er für mehr Miteinander in der Gesellschaft, sagte: "Wenn ich dem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden, ist er schneller fertig."
Mit Blick auf das Pflänzchen namens Euphorie unter den Fans, das seit der EM wächst und gedeiht, meinte Nagelsmann: "Eine kleine Hecke haben wir schon. Das Pflänzchen ist zart, aber es hat Potenzial zu wachsen."
Kimmich spielt ein sehr gutes Jahr beim DFB
Für den neuen DFB-Kapitän Joshua Kimmich war 2024 auch dank des souveränen Gruppensieges in der Nations League (vier Siege, zwei Remis) "ein sehr, sehr gutes Länderspieljahr. Generell haben wir noch Luft nach oben, sind aber auf einem sehr, sehr guten Weg. Einen Titel zu gewinnen ist das ganz große Ziel, darauf arbeiten wir hin."
Nagelsmann, der im Team eine klare Rollenverteilung, einen neu entstandenen Zusammenhalt und einen erfrischenden Siegeswillen, gespeist durch Gier und Hunger auf Erfolg, erschaffen konnte, glaubt: "Wenn wir 2025 genauso angehen wie wir 2024 bestritten haben, werden wir 2026 deutlich präparierter sein als wir es 2024 waren."

Kane nimmt mit Tuchel Anlauf auf den WM-Titel
Wobei die fantastische Stimmung in den EM-Stadien, die Euphorie ums DFB-Team wundervolle Spuren hinterlassen haben. Und Harry Kane, Bayerns Toreversicherung, der zugleich eine Anti-Titel-Vollkaskoversicherung unterschrieben zu haben scheint, kann nach dem 1:2 im Finale von Berlin gegen Spanien, seiner zweiten EM-Finalpleite in Folge, einen neuen Anlauf nehmen: mit Tuchel, dem neuen Chefcoach der Briten. So klein ist die (Fußball-)Welt.
Der Blick nach vorn sieht verführerisch aus: Nagelsmann will mit dem DFB-Team erstmals das Final Four der Nations League Anfang Juni erreichen. Kommt man im März (am 20. 3. auswärts in Mailand, Rückspiel am 23. 3. in Dortmund) im Viertelfinale gegen Italien weiter, winkt ein Mini-Sommermärchen. Die Partien des Final Four darf der Gewinner des ewigen heißen Duells zwischen Deutschland und Italien zu Hause austragen. Vorgesehen sind: Stuttgart und München.