Borowka: "Ich war härter - auf dem Platz und an der Theke"

AZ: Herr Borowka, Sie haben über Ihre Alkoholsucht ein Buch geschrieben: „Volle Pulle”. Was war härter: Ihre Profikarriere oder der Entzug?
ULI BOROWKA: Der Kampf gegen den Alkohol. Der wird weitergehen, bis an mein Lebensende. Dass ich trocken bin, ist mehr wert als jeder Titel, den man im Fußball gewinnen kann. Auf dem Platz geht es schließlich nicht um Leben und Tod.
Ihr Buch ist seit mehreren Wochen auf dem Markt. Darin schildern Sie gnadenlos ehrlich Ihre Alkoholsucht, Selbstmordversuche, wie Sie Ihre Frau schlagen. Wie sind die Reaktionen?
Ich habe über 1000 E-Mails bekommen. Von Leuten, die selbst alkoholkrank sind, aber auch von Sportlern, die Probleme haben. Es gibt sie auch in der Bundesliga, Abhängige. Namen kann ich keine nennen. Aber ob Alkohol- oder Spielsucht, da ist alles dabei. Viele danken mir für meine offene Art. Aber ich bin einfach ehrlich. Ganz oder gar nicht. Da gibt es auch nichts zu beschönigen.
Jetzt wollen Sie eine Beratungsstelle für suchtkranke Sportler einrichten.
An wen soll sich so jemand wenden? An den Verein oder den Trainer, das ist schwierig. Ich weiß, wie es diesen Jungs geht, ich habe das durchgemacht.
Sie haben erst nach Ihrer Karriere öffentlich gemacht, dass sie alkoholkrank waren. Was raten Sie süchtigen Profis? Sollten sie sich outen – oder warten?
Als Mensch ist das in Ordnung, als Fußballer nicht. Was da von der Öffentlichkeit und den Medien auf den Einzelnen einprasseln würde: Ich kenne niemanden, der diesen Druck aushalten könnte.
Das Vorwort zu Ihrem Buch hat Jupp Heynckes verfasst. Er brachte Sie als 18-Jährigen zu Mönchengladbach und beschreibt Sie als harten, ehrgeizigen Arbeiter und Kämpfer. Was bedeutet er für Sie?
Ohne ihn wäre ich – und viele andere wohl auch – niemals Profifußballer geworden. Er hat mir Sondertraining verschrieben, Spannstöße an der Wand. Schießen konnte ich wie ein Pferd, nur die Richtung hat nicht gestimmt. Nach dem Training ging es auf dem Platz weiter: er als Angreifer, ich als Verteidiger. Das macht er heute wohl nicht mehr. Aber ich verdanke ihm unendlich viel. Kürzlich habe ich ihn besucht. Wir haben eineinhalb Stunden gesprochen, ich habe ihm mein Buch gegeben. Ich bin gespannt, was er dazu sagt, wenn er es gelesen hat.
Sie beschreiben auch, wie er Sie nach der 0:4-Niederlage im Europacup bei Real Madrid 1985 vor versammelter Truppe fertiggemacht und als Versager beschimpft hat.
Ja, das war hart. Ich glaube, so etwas würde er heute anders machen. Er ist erfahrener geworden, ruhiger und gelassener. Aber diese Niederlage war wirklich schlimm, wir haben alle unsere Lehren daraus gezogen. Wir hatten vor dem Spiel Angst. Die Hosen voll. Respekt vor dem Gegner muss man haben, Angst nie.
Mit Lothar Matthäus waren Sie während Ihrer Gladbacher Zeit gut befreundet.
Ja, zeitweise habe ich für ihn den Chauffeur gespielt. Wir waren gemeinsam im Urlaub, eine schöne Zeit. Als er zu Bayern ging, brach der Kontakt ab. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Schade. Wie er sich nach seiner aktiven Karriere demontiert hat, das ist traurig. Als Fußballer war er absolut weltklasse.
Nach Ihrer Zeit bei der Borussia wechselten Sie zu Werder Bremen, dort war Rehhagel Ihr Trainer. Sie haben zu dieser Zeit schon regelmäßig getrunken. Die Trainer, Ihre Frau und enge Freunde wussten davon. Warum konnten sie Ihnen nicht helfen?
Weil ich niemanden an mich rangelassen habe. Klar, die Trainer wussten das. Wenn Rehhagel zu mir kam und sagte: „Pass’ auf, was du trinkst”, dann bin ich kurz zusammengezuckt. Aber das hielt nur so lange, bis ich meine nächste Flasche Bier in der Hand hatte. Wenn Freunde mich auf den Alkohol angesprochen haben, bin ich aggressiv geworden.
Das machte Sie auch auf dem Platz zu einem der gefürchtesten Verteidiger der Bundesliga. Ihr Spitzname lautete „Die Axt”. Sie waren dafür gefürchtet, dass Sie Ihre Gegner auch mal über die Seitenlinie treten, wenn es sein muss.
Dieses Image habe ich mir aufgebaut. Die Gegner hatten damals Angst vor mir. Ich war der Starke, niemand konnte mir auf dem Platz etwas anhaben. Das hat mir gefallen. Ins Private, zu meiner Familie, habe ich das einfach mitgenommen. Und es war auch schön, von den Fans in der Kneipe Schulterklopfer und ein Freibier zu bekommen. Ich war auf dem Platz und an der Theke härter als die anderen. Das habe ich genossen.
Schwäche und Gefühle zu zeigen, das kam für Sie nie in Frage?
Nein. Ich hatte mir eine Ritterrüstung aufgebaut. Fußball ist ein harter Männersport. Da kann man sich so etwas nicht erlauben. Das war damals so, das ist heute noch so. Natürlich habe ich versucht, das mit dem Alkohol zu verstecken. Wenn ich morgens zum Training kam und eine Fahne hatte, habe ich aus meinem Spind einen Schluck Doppelherz genommen. Da ist auch Alkohol drin, ist gut fürs Herz. Über die Zeit entwickelt man solche Mechanismen. Überall im Haus hatte ich etwas zu trinken.
Ihr Körper hat das alles erstaunlich gut verkraftet. Mit Werder holten Sie den Europapokal der Pokalsieger, zwei Meistertitel und Pokalsiege. Bei einem Spiel gegen Bayern sollten Sie verabschiedet werden. Ihrer Meinung nach vor Anpfiff, der Verein wollte, dass das nach Abpfiff passiert. Da sind Sie weinend aus dem Stadion geflüchtet, bevor das Spiel begonnen hatte.
Ich war völlig aufgelöst. Und bin Uli Hoeneß in die Arme gelaufen, als ich das Stadion verlassen wollte. Er hat mich gesehen, ein Häuflein Elend, total am Boden. Wenn ich Hilfe bräuchte, oder mal Karten fürs Olympiastadion, dann solle ich mich bei ihm melden. Das war Wahnsinn, das hat mich unglaublich beeindruckt. Uli Hoeneß hängt das nicht an die große Glocke, aber ich weiß, wie viel Gutes er im Hintergrund tut.
Wäre Ihre Karriere ohne den Alkohol anders gelaufen?
Darüber habe ich oft nachgedacht. Aber ich habe aus meinem Körper immer das Maximale rausgeholt. Als ich aufgehört habe, war ich 34. Ohne die Alkoholsucht wäre es vielleicht ein, zwei Jahre länger gegangen. Vielleicht hätte ich mehr als sechs Länderspiele gemacht. Aber ich habe viel erreicht als Fußballer, ich kann das ganz gut einordnen und im Nachhinein genießen.
Ihr Fall und der von Breno weisen einige Parallelen auf. Er hat unter Alkohol- und Tabletteneinfluss sein Haus in Grünwald angezündet und wurde zu über viereinhalb Jahren Haft verurteilt.
Die Strafe ist unverhältnismäßig, das Urteil viel zu hart. Über vier Jahre Gefängnis – dabei hat er niemanden verletzt oder umgebracht. In Berlin wäre er vielleicht zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Breno ist krank. Es war für ihn ein Kulturschock, als er aus Brasilien nach Deutschland kam, dann war er ständig verletzt. Ich weiß, dass der FC Bayern alles versuchen wird, um ihm zu helfen. Ich hoffe, dass er ins Leben zurückfindet. Als Mensch, nicht nur als Fußballer.