Bergomi: "Lothar - der Beste von allen"

Guiseppe Bergomi, 1982 mit Italien Weltmeister, spricht im AZ-Interview über die Deutschen bei Inter und die Azzurri bei der EM.
von  Filippo Cataldo
Guiseppe Bergomi, Fußball-Legende in Italien.
Guiseppe Bergomi, Fußball-Legende in Italien. © dpa

Guiseppe Bergomi, 1982 mit Italien Weltmeister, über die Deutschen bei Inter und die Azzurri bei der EM.

AZ: Herr Bergomi, was ist nur mit Italien los? Die Squadra Azzurra hat bei der EM bisher alle überrascht mit ihrem erfrischenden und leidenschaftlichen Fußball.

GIUSEPPE BERGOMI: Ehrlich gesagt: spielt die Squadra schon seit zwei Jahren so. Wir in Italien wussten alle, dass die Mannschaft gut spielen kann. Pirlo, Cassano, Balotelli, Giaccherini, euer Montolivo, das sind alles super Fußballer.


Mit Verlaub, gute Fußballer hatte Italien schon immer. Trotzdem waren die Spiele der Squadra oft eher zum Einschlafen. Effizient, aber kühl, nur von Taktik geprägt.


Vergessen Sie das „zynisch” nicht in ihrer Aufzählung. Bis zu einem gewissen Punkt stimmt das schon. Dass wir aber nur Catenaccio könnten, ist eine deutsche Legende.


Okay, aber wieso spielt Italien jetzt so gut?


Weil das eine Mannschaft von Cesare Prandelli ist. Der ct (Commissario tecnico, in Italien die Bezeichnung für den Nationaltrainer, die Red.) hat schon in Florenz aus geringen Mitteln mehr als das Beste herausgeholt. Er ist für die Squadra mindestens so wichtig wie Jogi Löw für euch. Prandelli hat eine Kulturrevolution ausgelöst, er hat binnen kürzester Zeit alles umgekrempelt, seine Leidenschaft auf die Spieler übertragen. Die Squadra spielt so, wie Prandelli ist: Wohlerzogen, elegant und stilsicher, aber immer mit der richtigen Dosis Passion. Die Azzurri symbolisieren gerade ein Italien, das wir gerne sein würden.

Das müssen Sie erklären!


Sehen Sie, der Calcio war in Italien immer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Und der Calcio ist krank. Sehr krank, vor allem der Vereinsfußball: Die leeren und baufälligen Stadien, das Problem mit den gewaltbereiten Fans, Familien, die sich kaum in die Stadien trauen, das enorme Leistungsgefälle in der Liga. Außerdem müssen mittlerweile auch Milan, Juve und Inter auf ihr Budget achten, die wirklichen Weltstars kommen auch nicht mehr in die Serie A, gehen lieber nach England oder Spanien. Aber wie gesagt, der Calcio ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und Italien hat tonnenweise Probleme, durchlebt gerade eine der schwierigsten Phasen der Nachkriegszeit. Nicht nur wirtschaftlich, auch und vor allem politisch und kulturell. Die Nationalmannschaft steht dank Prandelli und den Leistungen bei der EM jetzt auch für einen Aufbruch. Für ein Italien, das nicht mehr die Augen verschließt vor seinen Problemen, für ein Italien, das sich kümmert.

Ihre eigene Biographie ist sehr stark mit Deutschland verwoben. Ihr Verhältnis zu Deutschland scheint recht schicksalhaft.

Das gilt eher für eine einzige Stadt. Leipzig. Als ich 16 war, befand ich mich mit der Junioren-Nationalmannschaft gerade dort, als mein Vater unerwartet starb. Ein Ereignis, das mich sehr geprägt hat. Ich musste schlagartig erwachsen werden. Noch heute tut es mir leid, dass er nicht sehen konnte, wie ich Weltmeister wurde.

Haben Sie sich damals den Schurrbart wachsen lassen, der Ihnen den Beinamen Zio (Onkel, die Red.) brachte?

Den Schnurrbart trage ich schon lange nicht mehr, aber Zio werde ich immer noch genannt. Ich sah damals einfach älter und reifer aus als ich war. ’Wie, und du willst erst 17 sein? Aber wenn du doch älter aussiehst als mein Onkel’, hat ein Kollege bei Inter damals gesagt. Als ich ein Jahr später mit 18 im April 1982 mein Länderspiel-Debüt in der A-Nationalmannschaft gegeben habe, übrigens auch in Leipzig, war ich schon für alle Zio Bergomi.


Wenige Monate später waren Sie Weltmeister. Karl-Heinz Rummenigge war im Finale gegen Deutschland Ihr Gegenspieler. Sie haben ihn ziemlich alt aussehen lassen...

Vielleicht hatte Kalle einfach keinen sehr guten Tag erwischt (lacht). Er hat es mir nicht übel genommen. Wir haben später ja zusammen gespielt bei Inter.

Überhaupt war Inter damals sowas wie der Klub der Deutschen.

Ja. Es sind wirklich viele über den Brenner gekommen. Kalle, Hansi Müller, dann Matthäus, Brehme und Klinsmann, mit denen wir die größten Erfolge gefeiert haben. Ich mochte sie eigentlich alle.

Haben Sie noch Kontakt zu den Inter-Deutschen?


Wirklich regelmäßig höre ich nur den Andi Brehme, bis heute ein echter Kumpel. Entschuldighung, aber ich muss gerade lachen.

Wieso?


Mir fällt gerade ein, wie ich Lothar und Andi zum ersten Mal gesehen habe. Eine lustige Geschichte.

Erzählen Sie!

Wir waren im Trainingslager in Varese, als die beiden kamen. Ich war Kapitän und habe sie dann in der Mittagspause auf ihrem Zimmer besucht. Die zwei lagen auf ihren Betten, vor ihnen Deutsch-Italienisch-Wörterbücher und lasen sich mit einem furchtbar deutschen Akzent laut Vokabeln vor. Als ich mich im Zimmer umblickte, musste ich erst recht laut loslachen. Die beiden hatten das Waschbecken voll Wasser laufen lassen und ein Bierflaschen darin kalt gestellt. Ich rief also: „Ragazzi, Birra!” – und dann haben wir erstmal zusammen getrunken.

Sie wurden 1988/89 zusammen ungeschlagen Meister.

Eine Saison wie ein Traum. Trap war unser Trainer, Zenga Torwart, ich Kapitän, Andi hat sich die Seele aus dem Leib gerannt und Lothar war unser Antreiber, der unumstrittene Chef. Ich habe den jungen Ronaldo erlebt, was der am Ball konnte, war unerreicht. Aber Matthäus war der stärkste Spieler, mit dem ich je zusammengespielt habe, Lothar war der Beste von allen.

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