Béla Réthy: Einsatz am Ort des Schreckens

Béla Réthy ist seit 1991 Live-Kommentator beim ZDF für Fußballspiele. Er kommentiert das EM-Eröffnungsspiel der Gastgeber gegen Rumänien im Stade de France in Paris – dem Ort der Anschläge im November.
Patrick Strasser |
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Im Umfeld der Partie Frankreich – Deutschland kam es im November zu Anschlägen, die 130 Menschen das Leben kosteten. Béla Réthy kommentiert nun das EM-Eröffnungsspiel im Stade de France.
dpa Im Umfeld der Partie Frankreich – Deutschland kam es im November zu Anschlägen, die 130 Menschen das Leben kosteten. Béla Réthy kommentiert nun das EM-Eröffnungsspiel im Stade de France.

Béla Réthy ist seit 1991 Live-Kommentator beim ZDF für Fußballspiele. Er kommentiert das EM-Eröffnungsspiel der Gastgeber gegen Rumänien im Stade de France in Paris – dem Ort der Anschläge im November.

"Wenn es ein mitreißendes Spiel wird, würde mir das helfen", sagt der 59-Jährige.

AZ: Herr Réthy, Sie kommentieren für das ZDF das Eröffnungsspiel der EM zwischen Frankreich und Rumänien im "Stade de France" von Paris. Am 13. November 2015 wurde die Arena zu einem der Terror-Ziele. Obwohl Sie an jenem Abend nicht vor Ort waren – wie schwierig wird es, die Gedanken an die Nacht der Anschläge zu verdrängen?

BÉLA RÉTHY: Ich werde daran denken müssen, das ist klar. Aber als Kommentator musst du dich in erster Linie auf deinen Job konzentrieren. Ich weiß noch nicht, wie ich vom Hotel zum Stadion fahre. Mit dem Auto, mit dem Regionalzug? Letzteres dauert lange von der Innenstadt aus. Wenn man von der Bahn-Station über diesen Vorplatz zum Stadion läuft, werden die Gedanken an die schrecklichen Ereignisse zurückkommen. Meine Hoffnung ist, dass ich mich dann, wie wohl jeder Mensch, von der Aktualität ablenken lasse, von der Freude, dass die EM dann losgeht. Wenn es ein mitreißendes Spiel wird, würde mir das sehr helfen.

Können Sie sich völlig frei machen von der Angst, es könne erneut etwas passieren?

Man möchte sich nicht zu intensiv damit auseinandersetzen, sonst lähmt es einen. Das Leben geht weiter. Ich werde versuchen, meinen Job – so gut es eben geht – unbefangen hinzubekommen. Natürlich werden alle Stadionbesucher zusammenzucken, wenn Fans Feuerwerkskörper schmeißen oder mit Pyrotechnik zündeln – oh, Gott! Nicht schon wieder! Doch ich vertraue in die französischen Sicherheitsbehörden und die Maßnahmen, die zur EM getroffen werden.

Wie haben Sie damals die Übertragung des Freundschaftsspiels Frankreich gegen Deutschland verfolgt?

Da ich nicht vor Ort war, als normaler TV-Zuschauer. Ich war geschockt, besorgt. Man bekam ja nur häppchenweise mit, was in der Stadt passiert ist. Tom Bartels, der Kommentator, hat das gut gemacht.

Was würden Sie in solch einer Situation tun?

Man darf dann nicht herumspinnen, muss sich vom eigenen Gefühl leiten lassen. Am besten sachlich und sparsam kommentieren und mit den schnellen, hektischen Infos, die aus dem Internet kommen, behutsam umgehen – und diese extrem filtern.

Mit welchen Gefühlen sind Sie zum nächsten Spiel an Ihren Arbeitsplatz, also ins Stadion gefahren?

Mit einem komischen, irgendwie mulmigen Gefühl. Ich war danach bei einem Bundesliga-Spiel der Bayern, es wurde sehr intensiv kontrolliert am Stadioneingang – auch unser TV-Team. Völlig richtig. Als der Ball dann rollte, war es vorbei.

Haben Sie selbst eine bedrohliche Situation während des Kommentierens erlebt?

In der Ära unter Bundestrainer Jürgen Klinsmann gab es im März 2005 ein Freundschaftsspiel in Celje gegen Slowenien. In der Innenstadt hatten deutsche Hooligans randaliert, es gab zig Festnahmen und verletzte Polizisten. Auch im Stadion ging es weiter, es entstand eine Drohkulisse. Einige der Randalierer sind direkt an unseren Kommentatoren-Kabinen vorbeigegangen, haben uns durch die Fenster direkt ins Gesicht geschaut.

Zur EM: Wie sehen Sie die deutschen Chancen?

Bei diesem auf 24 Teams aufgeblähten Turnier ist es für die Favoriten schwierig, in der Vorrunde auszuscheiden. Erst ab dem Achtelfinale wird’s eine richtige EM. Für mich ist es einerseits eine gewisse Verwässerung der Qualität, andererseits hat es meine Neugier auf Mannschaften wie Island, Ungarn oder Wales geweckt, die nie bei einer EM waren. Und Island hat in der Qualifikation die Niederländer hinter sich gelassen, wäre also auch nach dem alten Modus mit 16 Teams dabei gewesen.

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Sind unter den seltenen EM-Gästen Geheimfavoriten?

Es wird keine Sensation geben wie 2004, als die Griechen mit Otto Rehhagel den Titel holten. Ich traue den Österreichern einiges zu, sie haben mit Marcel Koller einen guten Trainer, eine starke Mannschaft, die eine hervorragende Qualifikation gespielt hat. Sie werden ein gutes Stück weiterkommen, vielleicht bis ins Viertelfinale.

Wen sehen Sie im Halbfinale?

Frankreich und Deutschland auf jeden Fall, dazu England. Sie spielen mit den vielen jungen Typen einen sehr interessanten Stil. Dann noch die Belgier, wenn sie den starken Eindruck von der WM in Brasilien bestätigen können und eventuell Spanien. Doch das Team steckt in einem Umbruch, hat seinen Zenit überschritten. Also tippe ich eher auf Belgien.

Was kann die deutsche Mannschaft erreichen?

2014 hatte ich ihnen nicht zwingend den WM-Titel zugetraut, mein Tipp lautete Argentinien. Natürlich ist es nun als WM-Titelträger etwas schwieriger als vor zwei Jahren als hungriges Team. Erst Weltmeister zu werden und das mit dem EM-Titel zu bestätigen, ist schwierig und nur den Franzosen 1998/2000 sowie den Spaniern 2010/2012 gelungen. Die Deutschen können das Finale erreichen – und dann natürlich auch gewinnen. Sie haben eine tolle Achse.

Wen meinen Sie?

Das fängt mit Neuer, dem besten Torwart der Welt, an. Dann hat man mit Hummels und Boateng sensationelle Innenverteidiger. Davor setze ich sehr stark auf Champions-League-Sieger Kroos, der immer ruhiger und souveräner am Ball wird. Thomas Müller holt immer alles aus sich heraus und vorne wird die Frage sein, ob Gomez seinen Lauf bestätigen kann. Als Torschützenkönig der türkischen Liga platzt er fast vor Selbstvertrauen. Ich hoffe, dass Özil noch mehr von dem zeigt, was er eigentlich kann. Diese Achse kann sich wirklich sehen lassen.

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