Nagelsmann nach bitterem EM-Aus fassungslos: "Ich kämpfe mit den Tränen"
Stuttgart - Meine Nerven! Deine Nerven! Seine Nerven! Ihre Nerven! Unser aller Nerven! Was für ein Krimi, ein Nägelkauer, ein psychischer und physischer Abnutzungskampf. Eine Prüfung für Kopf und Körper, für jede Faser, jedes Molekül.
Dieses Spiel, dieser Krimi zwischen Deutschland und Spanien hatte keinen Verlierer verdient. Es musste einen geben. Es wurde das DFB-Team. Die deutsche Nationalmannschaft ist raus bei ihrer Heim-EM, verliert in der Verlängerung 1:2 gegen Spanien. Immer diese Spanier!
Nach EM-Aus: Deutschland-Stars können nicht fassen, was ihnen widerfahren ist
Der Moment, diese 119. Minute, der Schock, der K.o.-Schlag, in dem der Ball ins deutsche Netz flog und alle Träume des Gastgebers zerplatzten. Ein Kopfball von Mikel Merino, einst bei Borussia Dortmund, der nach einer Flanke von Dani Olmo völlig frei einköpfte - das 1:2. Nach Abpfiff konnten die völlig platten, ermatteten Spanier ihr Glück kaum fassen. Keine Kraft für Tänzchen.
Und die deutschen Spieler standen vor ihren Fans, als würden sie nicht glauben können, was ihnen widerfahren ist. Sie ernteten zurecht gewaltigen Applaus. So viel eben wie die geschockten Fans ihnen noch als Trost auf den Weg in den Urlaub mitgeben konnten. Diesen Urlaub, den keiner gewollt hat.

Bundestrainer Julian Nagelsmann beobachtete das Treiben regungslos, fassungslos - und wirkte auch lange danach am Mikro der ARD noch schwer angefasst. "Ich kämpfe mit den Tränen. Wenn die Spieler so erzählen über die letzten sechs Wochen, ist das schon emotional, weil jetzt eine Zeit vorbei ist, die besonders war, wo die Jungs auch echt viel reingeschmissen haben und heute unverdient verloren haben", sagte Nagelsmann, während im dabei immer wieder die Stimme stockte. "Es tut weh, weil es jetzt zwei Jahre dauert, bis wir es wieder besser machen können und ein Heimturnier wird wahrscheinlich auch in meiner Karriere wohl nichtmehr kommen."
Jetzt muss das Feuer bis zur WM 2026 weiterlodern
Trotzdem werden der Bundestrainer und seine Spieler, wenn die ersten Tränen getrocknet sind, stolz sein. Wenn sie zurücksehen auf dieses Turnier, auf das Geleistete. Auf das Feuer, das diese Mannschaft entzündet hatte, das nun mit Blick auf die WM 2026 in Nordamerika weiterlodern sollte - nein muss.
Von Beginn an entwickelte sich eine Schlacht - im positiven Sinne des sportlichen Säbelrasselns. Erstens taktisch. Wer coacht wen aus? Welcher Trainer überrascht seinen Widersacher mit der entscheidenden Idee? Und auf dem Platz begann mit Anpfiff die Auseinandersetzung über die Verteidigung des Reviers. Es ging ums Einschüchtern, um Autorität.
Selbst Feingeist Kroos setzt mehrfach zur Grätsche an
Und dafür war jedes Mittel recht, selbst einem Feingeist wie Toni Kroos, der Pedri in der 4. Minute mit einer hölzernen Attacke aus dem Spiel nahm. Kein Gelb - die Spanier auf 180. Eine Mischung aus Schach und Mensch-Ärgere-Dich-Nicht. Mit Schmeißen. Viele Fouls, wenig Chancen. Die Spanier ballsicherer, überlegen - aber ohne den absoluten Punch.
Zur Pause korrigierte Nagelsmann seine Idee mit Emre Can, den er von Beginn an gebracht hatte, der überfordert wirkte. Robert Andrich, farbenfroh frisiert, kam rein wie auch Florian Wirtz für Leroy Sané. Mutige Wechsel. Konsequent. Aber fatal. Weil Andrich zu weit weg stand, als Olmo den Raum nutzte, den der DFB-Raum erst Yamal für dessen Pass ins Zentrum aufmachte. 0:1 (52.).
Nagelsmanns Wechsel sorgen für mehr Emotion, aber weniger Struktur
Nagelsmann riskierte nun alles mit seinen Wechseln, brachte Mittelstürmer Füllkrug für Gündogan (mehr Offensivwucht) und Mittelstädt für Raum. Sofort war mehr Emotion, aber weniger Struktur im DFB-Spiel. Egal, der Ausgleich musste her. Brechstange? Nicht nur. Wirtz brachte den Ball von rechts flach herein, Füllkrug schob im Fallen an den Pfosten (77.). Pech.
Dann flankte Mittelstädt (eingewechselt) auf Kimmich, der sich in Horst-Hrubesch-Manier hochschraubte und per Kopf auf Wirtz (eingewechselt) ablegte. Der Leverkusener schickte den Ball direkt Richtung langes Eck. Drin. Innenpfosten. Explosion - 1:1. Alle auf dem Platz, Sané barfuß, alle im DFB-Dress komplett ohne Hemmungen.
Das Ticket für die Verlängerung, die zum Boxkampf wurde. Wer vernachlässigt die Entdeckung? Wer schickt den Gegner mit einem K.o.-Schlag auf die Matte? Bei Musialas Schuss ging der Ball an die Hand von Cucurella, Schiedsrichter Anthony Taylor pfiff nicht, der VAR griff nicht ein (106.). Die deutsche Bank war fassungslos. Dann köpfte Merino ein. Feierabend. Fiesta.