Zehn Jahre danach: Sechs AZ-Erinnerungen zum Finale dahoam

Zehn Jahre später: Sechs persönliche Leidensgeschichten von AZ-Reportern zum Finale dahoam.
| Matthias Kerber Patrick Strasser Maximilian Koch Julian Buhl Krischan Kaufmann Matthias Eicher
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Darniedergestreckt: Die fassungslosen Bayern-Stars um Kapitän Philipp Lahm (stehend) nach der Final-Pleite 2012 in der Allianz Arena gegen den FC Chelsea.
Darniedergestreckt: Die fassungslosen Bayern-Stars um Kapitän Philipp Lahm (stehend) nach der Final-Pleite 2012 in der Allianz Arena gegen den FC Chelsea. © picture alliance / dpa

München - Was wurde nicht schon alles über diesen 19. Mai 2012 geschrieben. Die notorischen Häme- und Missgunstschleudern haben sich nach der so bitteren Niederlage der hochüberlegenen Bayern im Finale dahoam gegen den FC Chelsea genauso zu Wort gemeldet wie die echten, vermeintlichen und selbst ernannten Experten, die die Umstände analysiert und seziert haben.

Die ganz persönlichen Erinnerungen der AZ-Reporter

Psychologen sprachen über die vermeintlichen Spätfolgen (Long Finale dahoam statt Long Covid) mentaler Art für die Bayern im Allgemeinen und Bastian Schweinsteiger, den Pfostentorschützen, im Besonderen nach diesem Tag der Tränen dahoam. Da in der Beziehung schon alles gesagt ist, gibt es hier heute nur die ganz persönlichen Erinnerungen an diesen Tag vor zehn Jahren der sechs AZ-Redakteure. Von Flüchen, Blasen und Staus. Viel Spaß!

Blasen an den Füßen

Patrick Strasser (Bayern-Reporter)

Es war 1.30 Uhr, als ich mich nach der Arbeit von der Allianz Arena auf den Weg in den Postpalast zum traurigen Bankett der todtraurigen Bayern machen wollte. U-Bahn ab Fröttmaning? Längst weg, die Letzte. Taxi? Eine irre Schlange von Hunderten (Tausenden?) Wartenden. Zurück im Medienzentrum fand ich einen Kollegen, der noch einen Platz im Auto frei hatte. Vor seiner Wohnung an der Münchner Freiheit ließ er mich raus. Zwei Uhr nachts. Egal, ab ins Taxi.

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An jeder Ecke eine Menschentraube, überall. Halb München noch auf den Beinen. Wenn ein Taxi hielt und jemand ausstieg, stürzten mehrere Gruppen hin, manche prügelten sich. Nicht mein Ding. Ich lief zu Fuß weiter, immer weiter. Es war: meine persönliche Verlängerung. Kollegen informierten mich um etwa vier Uhr: nix mehr los am Postpalast. Also heim. Aber wie? Auf die erste U-Bahn am Sonntag warten?

Irgendwann marschierte ich wie in Trance einfach weiter und weiter. Auch die rund fünf Kilometer vom Sendlinger Tor bis nach Gern. Es wurde bereits hell, als ich dahoam war, fix und fertig. Um 9.30 Uhr musste ich in der Redaktion sein. War alles ganz easy. Mit der U-Bahn. Und mit Blasen.

Das Stau-Monster

Matthias Kerber (AZ-Sportchef)

Feste muss man feiern, wie sie fallen. Solche Tage, ein Finale dahoam, muss man zelebrieren. Also mit den Kumpels einen Tisch im Lieblingsbiergarten, der eine Riesenleinwand aufgebaut hatte, reserviert (ja, dafür waren viele gute Worte und eine kleine Bestechung nötig), vorab ein Ausflug ins Allgäu. Alles perfekt getaktet - dachte ich.

Ich hatte aber die Rechnung ohne den neckischen Schalk des Fußballgottes gemacht. Der bescherte mir 15 Kilometer vom Gerstensaft-Eldorado (in meinem Fall eine Weißweinschorlen-Befüllungsstätte) entfernt einen Mega-Stau samt Vollsperrung. Das Staumonster hatte mich zudem mitten im Tunnel zum Stillstand gebracht. Rien ne va plus - nichts ging mehr. Kein Millimeter. Für Stunden. Im Tunnel hatte das Autoradio keinen Empfang. Das Handy habe ich an freien Tagen nie dabei. Den Spielverlauf konnte ich nur an den Uhs, Ohs, Ahs der Mitleidenden im Stau erahnen.

Irgendwann ging es weiter. Ich kam im Biergarten an. Auf der Leinwand ein weinender Schweinsteiger, der den entscheidenden Elfer zielgenau an den Pfosten gesetzt hatte. Im Biergarten ganz viele weinende Schweinsteiger-Klone. Der Fußball-Gott hat mir das Final-Drama dahoam durch das Stau-Monster vorenthalten. Dankbar bin ich ihm ned. Übrigens: Das Spiel habe ich bis heute nicht gesehen. Nicht eine Minute. So viel Masochismus muss nicht sein.

Final-Fluch des Freundes

Maximilian Koch (Bayern-Reporter)

Beim Halbfinal-Rückspiel war ich in Madrid und sah im Oberrang hinter dem Real-Tor, wie Bastian Schweinsteiger Bayern aus elf Metern ins Finale schoss. Dahoam. In München. Und dann gegen dieses ultra-defensive, personalgeschwächte Chelsea-Team, nicht gegen den großen FC Barcelona, der an den Blues gescheitert war. Was sollte da noch schiefgehen?

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Tja, ein solcher Gedanke ist immer schon der erste Fehler. Es lief einfach zu gut für die Bayern, um wahr zu sein. Vor dem Endspiel, aber dann auch während der 90 Minuten mit dem späten Führungstor von Thomas Müller. Doch in der Verlängerung kippte die Partie immer mehr. Bis zum finalen Akt: Schweinsteiger an den Pfosten, Drogba ins linke Eck. Ende. Was für eine Tragödie!

Ich litt in diesen Momenten vor allem mit meinem besten Freund, der noch eine Finalkarte bekommen hatte, ziemlich allein im Stadion saß und nach dem Spiel sofort über die A9 Richtung Heimat flüchtete. Er war schon beim Drama 1999 in Barcelona dabei, sein Fluch ging weiter. Aber zum Glück nur ein Jahr. Dann schauten wir uns gemeinsam den Bayern-Triumph in Wembley an.

Mitleid für die Bayern

Julian Buhl (Bayern-Reporter)

Nein, so habe ich die Bayern zuvor noch nie erlebt und auch danach nie wieder. Das Elfmeterschießen stand an - bei den Münchnern verbreitete sich Hektik auf dem Rasen. Jupp Heynckes lief von einem seiner Spieler zum nächsten und versuchte fast schon verzweifelt, fähige und willige Schützen für den Showdown zu finden. Der Bayern-Coach sah seinen Profis suchend in die Augen und fand dort Angst statt Entschlossenheit.

In die Spielerköpfe hatte sich der Gedanke geschlichen, dass bei einem solch dramatischen Finalverlauf höhere (Fußball-)Mächte am Werk sein mussten - und zwar gegen die eigentlich haushoch überlegenen Bayern. Heynckes handelte sich derart viele Absagen - wie etwa von Toni Kroos und Anatoliy Tymoshchuk - ein, dass er sogar Torhüter Manuel Neuer als dritten (und erfolgreichen) Schützen auf seine Liste nehmen und feststellen musste: "Zwei sichere Elfmeterschützen haben sich da weggeduckt."

Das finale Nervenspiel vom Elfmeterpunkt hatten die Münchner schon damit längst verloren. Das Drama nahm seinen Lauf, und die Bayern bekamen aufgrund der besonderen Tragik von den Augenzeugen am Ende statt Applaus für die Trophäe das, was sie eigentlich niemals haben wollten: Mitleid.

Dit is Berlin

Krischan Kaufmann (Sport-Vize der AZ)

2012, Finale dahoam - und weil ich mir Spiele des FC Bayern damals noch nicht - so wie heute - dienstlich anschaue, mache ich kurzerhand eine Auswärtsfahrt daraus. Einer der besten Kumpel wohnt in Berlin, ein Besuch ist eh überfällig, also ab auf die A9...

Mehrere Stunden später überhöre ich ganz bewusst seine gut gemeinten Warnungen: Fußballschauen? Im Prenzlauer Berg - wo es selbst in Reykjavík münchnerischer ist als hier? Und dann auch noch die Bayern? Als wir nach langem Suchen endlich ein Ristorante finden, in dem das Spiel gezeigt wird, verstehe ich, was mein Kumpel gemeint hat.

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Denn an diesem lauen Sommerabend sind wir hier im vielleicht hippsten Viertel der eh schon hippen Hauptstadt gefühlt die einzigen zwei Aliens, die sich bei ein, zwei Peroni für das Spiel begeistern. Der Rest zeigt keinerlei Emotionen. Nicht als Müller das 1:0 schießt, nicht bei Drogbas Ausgleich - und nicht mal als Schweinsteiger seinen Elfer an den Pfosten setzt. Kurz danach ist Schluss und mein Kumpel sagt nur: Dit is Berlin!

Der Jahrhundert-Kater

Matthias Eicher (AZ-Reporter)

Finale dahoam? Die Roten gegen die Blauen? Ein solches Jahrhundertspiel musste sich auch der AZ-Löwenreporter zu Gemüte führen, wenngleich die Bayern natürlich gegen die Blues vom FC Chelsea spielten. Also ein paar Kumpels eingepackt und los zum Public Viewing auf der Theresienwiese.

Gerade für die eingefleischten Roten muss es sich angefühlt haben wie ein klassischer Wiesn-Abend des (draufgängerischen) Oktoberfest-Besuchers: Aufregung. Vorfreude. Hinuntergespült inmitten der Menschenmassen mit reichlich Gerstensaft. Völlig losgelöst von der Erde, als Thomas Müller die Bayern zum sicher geglaubten Sieg köpfte. Einzig, dass die Bierbänke und -zelte fehlten.

Didier Drogbas Ausgleich? Ein fieser Schnackler, der wenig später überwunden schien. Verlängerung - Strafstoß! Was für ein Hochgefühl. Arjen Robbens Fehlschuss, das Scheitern im Elfmeterschießen - der bitterböse Knockout. Tags darauf der Jahrhundert-Kater, als hätt' dir jemand zu allem Überfluss einen Maßkrug auf den Hinterkopf gehauen. Mein nüchternes Fazit inmitten der frohlockenden Blues und der umhertaumelnden Roten, das bis heute der erste Gedanke ans Finale dahoam ist: Wenn sich schon beim dritten Elfmeter außer Manuel Neuer keiner traut, hat man den Henkelpott nicht verdient.

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