Wenn die Fäuste fliegen

Im Training kommt es – wie nun bei Bayern – immer wieder zu Handgreiflichkeiten. Hier erklären Experten und Täter die Gründe
MÜNCHEN Die Aktion war geplant, aber es war keine Strafarbeit. Rund eine halbe Stunde mussten die Bayern-Profis immer nur das eine machen: ihren Namen schreiben. In der Sporthalle an der Säbener Straße wurden rund 1000 Bälle aufgereiht, 1000 Autogramme hieß das Programm.
Da hatten sich Arjen Robben und Philipp Lahm längst wieder versöhnt. „Nach dem Training war alles wieder in Ordnung“, sagte Robben. Kurz zuvor war der Holländer handgreiflich geworden. Als Robben nach einer Grätsche von Lahm in die Knie ging, schubste er den Verteidiger zu Boden, griff ihm an den Hals (AZ berichtete). Es folgten: Böse Blicke, Imponiergehabe und das Einschreiten der Kollegen, um die Streithansl wieder runterzukühlen.
Doch warum ticken Profis immer wieder im Training aus? Was löst die Kurzschlussreaktionen – ob Schubser, Watschn oder richtige Prügel-Attacken – wirklich aus?
Angst um die Gesundheit: Im Fall Lahm vs. Robben liegt der Grund für den Ausraster des Holländers in dessen Verletzungsanfälligkeit. Robben reagiert überaus empfindlich: In seiner Karriere fiel er schon (zu) oft wegen diverser Blessuren aus; schon beim 2:0 gegen Hoffenheim beschwerte er sich beim Schiedsrichter über zu harte Attacken. Als der Schalker Lukas Schmitz ihn im November beim 1:1 von hinten in die Ferse trat, rannte ihn Robben um – und hatte Glück, nicht die Rote Karte zu sehen. „Bei einem Spieler wie Robben, der schon so oft ausgefallen ist und nun endlich konstant spielen möchte, sinkt der Toleranzpegel“, erklärt der Kölner Sportpsychologe Werner Mickler.
Zu viel Testosteron: Im Training geht es um Stammplätze, um die Ausübung des Jobs am Wochenende. Da wird selbst der besonnenste und ruhigste Profi mal handgreiflich. Siehe Bixente Lizarazu, ein umgänglicher, ruhiger Typ außerhalb des Platzes. „Als ich bei Bayern war, ging es im Training öfter aggressiver zu als im Spiel“, sagte Lizarazu der AZ, „man konnte die Spannung spüren. Da war der Spirit des Wettkampfs, jeder wollte ins Team. Ich habe ja nicht viel Deutsch gelernt – aber den Begriff Zweikampf ganz schnell.“
1999 geriet der Franzose mit Lothar Matthäus in den Clinch, verpasste ihm eine Watschn. Lizarazu: „Das musste sein. Lothar hat einfach zu viel geredet. Danach haben wir uns wunderbar verstanden.“ Auch Frauen (na, sowas!), also Eifersucht und Kränkungen, können ein Motiv sein. Soll es geben.
Hierarchie-Denken: Gibt es zu viele so genannte Leitwölfe im Team, wird die Struktur oft im Training durch Tritte manifestiert. Wer taktische Befehle verweigert, bekommt Rüffel (siehe Ballack und Podolski, der sich per Watschn wehrte). Wer sich nichts gefallen lässt, gewinnt an Ansehen. Wer zu jung, frech und ungestüm ist, bekommt von den Alten auf die Socken. Psychologe Mickler: „Da will sich keiner was gefallen lassen.“ Prominente Schienbeinpolierer: Breitner, Augenthaler, Effenberg.
Das Torwart-Gen: Sie sind immer allein mit ihrem Überehrgeiz – und fühlen sich manchmal im Stich gelassen. Der Frust muss raus, besser den Mitspieler als den Gegner attackieren. Kahn schubste einst Herzog durch den Strafraum, Lehmann riss in Stuttgart Boulahrouz das Stirnband vom Kopf.
Patrick Strasser