Subotic: "Menschen zu schützen, ist viel wichtiger als jedes Fußballspiel"

Union-Profi Neven Subotic spricht in der AZ über das bevorstehende Geisterspiel gegen den FC Bayern, Rassismus-Probleme und seine Stiftung: "Ich will etwas gegen die Ungerechtigkeit auf der Welt tun."
AZ: Herr Subotic, am Samstag treffen Sie mit Union Berlin auf den FC Bayern, einen Klub also, den Sie einst im Trikot von Borussia Dortmund ziemlich geärgert haben. Sind Sie schon heiß auf die Partie?
Neven Subotic: Klar! Jeder bei uns ist heiß auf Bayern. Wir haben in dieser Saison schon Top-Gegner wie Borussia Dortmund besiegt, die liegen uns irgendwie besser als die "kleinen". Solch eine Partie ruft eine besondere Motivation hervor. Für uns ist es ein großer Test und eine große Chance, sich gegen die beste deutsche Mannschaft zu präsentieren.
Subotic: "Wir haben auf jeden Fall einen Mann weniger auf dem Platz"
Sie persönlich haben sich beim BVB einige Schlachten mit Bayern geliefert.
Wir waren die Underdogs, und es war schön im Sinne des Sports, Bayern mal zu besiegen. Wir haben gezeigt, dass die Unsterblichen manchmal doch sterblich sind. Bayern gehört weiter zu den besten Teams der Welt, das heißt aber nicht, dass sie unschlagbar sind.
Wie schlimm ist es für Union, die Partie gegen Bayern ohne Fans austragen zu müssen?
Wir haben auf jeden Fall einen Mann weniger auf dem Platz. Das Stadion ist sonst ein großer Vorteil für uns. Ich möchte aber keine Ausrede vorwegnehmen, das Wunder ist trotzdem möglich. Gleichwohl kann ich es nachvollziehen, dass diese Entscheidung so getroffen wurde, um Menschen vor dem Coronavirus zu schützen. Das ist viel wichtiger als ein Fußballspiel.
"Ich will etwas gegen diese Ungerechtigkeiten tun"
Apropos: Sie haben vor einigen Jahren eine Stiftung gegründet, die in Äthiopien Brunnen und Sanitäranlagen baut, um speziell jungen Schülern zu helfen. Woher kommt Ihre Motivation dafür?
Zum Teil aus einer Frustration. Wir leben in einer mehrklassigen, globalen Gesellschaft. Leute, die sich in den reichsten Ländern aufhalten, denken oft: Mann, mein Leben ist so schwer! Diese Menschen vergessen, dass es etliche Menschen gibt, die alles für solche "Probleme" tun würden. Wenn man schon die Minuten nach der Geburt nimmt: Manche Säuglinge werden in modernen Krankenhäusern betreut, andere kommen in Armut zur Welt. Das zeigt, wie unfair das Leben ist. Ich will etwas gegen diese Ungerechtigkeit tun.

Auch aufgrund Ihrer eigenen Biografie?
Ich habe selbst erfahren, wie es ist, relativ arm zu sein. Wir sind als Familie in den 90er-Jahren nach Deutschland geflüchtet. Es war wichtig für uns, Hilfe von anderen Menschen zu bekommen. Da habe ich gemerkt, dass viele Menschen eine soziale Ader haben und es ihnen auch eine Art Erfüllung gibt, anderen zu helfen.
Geht es Ihnen genauso?
Ja. Ich habe diese Lebenseinstellung übernommen, sie mit meiner Stiftung ins Globale übertragen. Für die Menschen in den ländlichen Regionen Äthiopiens wird ihr Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Wasser gesichert, sie müssen jetzt immerhin nicht mehr aus den gleichen Pfützen trinken wie die Tiere dort. Sie haben ihr eigenes Wasser und gewinnen dadurch ihre Menschenwürde zurück. Es ist das allergrößte Gefühl, ein Teil davon zu sein. Ein alter Mann, der mein Opa hätte sein können, hat mal gesagt, dass er sich dank der Brunnen erstmals menschenwürdig gefühlt hat. So etwas ist prägend – und sorgt für Gänsehaut bei mir.
"Das war und ist für mich das Schockierende"
Wie kamen Sie auf die Idee mit dem Brunnenbau?
Als ich vor der Gründung recherchiert habe, ist deutlich geworden, dass die Weltgemeinschaft damals in 2012 und heute noch im Jahr 2020 es noch immer nicht geschafft hat, jedem Menschen diese Lebensgrundlage zu ermöglichen. Das war und ist für mich das Schockierende. Deshalb legt die Stiftung darauf ihren Fokus.
Wann waren Sie selbst zum ersten Mal in Afrika vor Ort?
Ich habe 2013 damit begonnen. Mittlerweile bin ich jedes Jahr im Sommer und Winter in Äthiopien, jeweils in den Fußballpausen.

Gab es besondere Momente?
In den kleinen Gemeinden, wo wir sind, ist die Region extrem ländlich. Und die Leute sind so respektvoll. Sie laufen schon mal 20 oder 30 Kilometer zu Fuß zur nächsten Stadt, um Cola für uns zu beschaffen als Begrüßungsgetränk. Diese Menschen wollen ihre Warmherzigkeit zeigen, sie sind Weltmeister der Willkommenskultur. Wir schämen uns manchmal, weil wir diese Willkommenskultur, Gastfreundschaft und Menschlichkeit in unserer modernen Gesellschaft total verloren haben. Ich habe mal einen Dorfältesten getroffen, der uns sagte: "Wir möchten einen Dank aussprechen, denn die Kinder sind für uns hier wie Blumen. Sie brauchen eine gesunde Erde, Wasser und Sonne, um zu leben. Aber der essenzielle Teil ist das Wasser, das ihr uns gegeben habt durch die Brunnen. Und nur deshalb können unsere Kinder, unsere Pflanzen aufgehen und blühen." Das war wie ein Gedicht.
Wollen Sie Ihr Engagement nach der Karriere ausweiten?
Sobald die Karriere beendet ist, werde ich bei der Stiftung sein. Da werden sich Türen öffnen, länger in Äthiopien zu sein, an Seminaren und Konferenzen teilzunehmen. Diese Schritte werde ich gehen, um die Stiftung weiter voranzubringen. Und auch, um weiter von der Kultur der Menschen zu lernen. Denn der Zusammenhalt in den äthiopischen Gemeinden ist viel größer als in Deutschland, wo man eine immer größere Spaltung erkennen kann.
"Wer gedacht hat, Rassismus ist in den vergangenen Jahren verschwunden, hat sich selbst angelogen"
Sie sprechen die Spaltung an: Haben wir in Deutschland ein Rassismus-Problem?
Wer gedacht hat, dass Rassismus in den vergangenen Jahren verschwunden gewesen sei, hat sich selbst angelogen. Wellenförmig kommt Rassismus immer wieder an die Oberfläche und ist leider fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Große Fortschritte kann ich in den letzten zehn Jahren nicht erkennen. Auf politischer Ebene haben sich laute Krawallmacher aus der rechten Ecke festsetzen können. Und im Fußballbereich werden bei schwarzen Spielern weiter Affenlaute gemacht. Da denkt man sich, man ist in der Kolonialzeit. Das ist sehr, sehr traurig.
War es aus Ihrer Sicht richtig, zuletzt Bundesliga-Spiele wegen Beleidigungen gegen Dietmar Hopp zu unterbrechen?
Einerseits waren diese Unterbrechungen richtig. Wenn man einen Menschen im Fadenkreuz zeigt, ist das krank, absurd, dumm! Ich bin kein Befürworter davon, wenn Menschen wie Hopp Vereine nach oben "kaufen", aber mit dieser Aktion haben sich die Fans ein Eigentor geschossen. Trotzdem ist es unglücklich, dass ausgerechnet dann so hart durchgegriffen wird, wenn ein weißer, reicher Mann beleidigt wird. Das ist ein absolut falsches Signal. Bei Dunkelhäutigen wird oft gesagt: Die sollen einfach abhärten, sich nicht so anstellen. Das zeigt den Rassismus, wie er aktuell bei uns herrscht. Ich weiß nicht, wie viele Menschen beim DFB selbst mal Rassismus erlebt haben und das richtig einschätzen können. Es wäre gut, sich Leute mit persönlicher Erfahrung dazuzuholen. Generell ist es wichtig, Kontakt zwischen Menschen herzustellen, um Vorurteile abzubauen. Kinder früh in Sportvereine zu schicken zum Beispiel. Kontakt und Kooperation sind der Schlüssel.
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