Interview

"Reisende soll man nicht aufhalten": Weltmeister Kohler hat klare Meinung zum Upamecano-Poker

Vor dem Klassiker gegen den BVB spricht Weltmeister Jürgen Kohler im AZ-Interview darüber, wie man Harry Kane verteidigen kann, warum ihm beim DFB-Spiel gegen Nordirland das Herz aufgegangen ist und den Upamecano-Poker.
von  Patrick Strasser
Sieht Nico Schlotterbeck durchaus als Kandidaten für den FC Bayern: Jürgen Kohler.
Sieht Nico Schlotterbeck durchaus als Kandidaten für den FC Bayern: Jürgen Kohler. © IMAGO

AZ: Herr Kohler, lassen Sie uns zunächst über die deutsche Nationalmannschaft sprechen. Das 1:0 in Nordirland war am Ende auch eine Abwehrschlacht. Ist Ihnen als früherem Vorstopper und Innenverteidiger da nicht das Herz aufgegangen?
JÜRGEN KOHLER (lacht): Ja, natürlich. Denn das 1:0 ist nicht nur eine Bestätigung für die Leistung der Abwehrspieler, sondern für das defensive Verhalten der Mannschaft insgesamt. Da haben alle, einschließlich der Stürmer, einen guten Job gemacht. Und ja, das sind die schönsten Siege, weil man gewinnt eben nicht immer mit Glanz und Gloria, muss eben auch mal so die sogenannten dreckigen Siege nach Hause fahren – die bringen genauso viele Punkte.

Kohler: "Schlotterbeck hat von den Dreien ein Alleinstellungsmerkmal"

Wie haben Ihnen speziell Jonathan Tah und Nico Schlotterbeck gefallen, die momentan als Innenverteidiger-Duo beim DFB gesetzt sind, da Antonio Rüdiger verletzt ausfällt?
Das war eine gute Leistung, aber es waren schon ein paar brenzlige Situationen dabei. Dafür hat man aber dann auch einen Torhüter hinten drin und Oliver Baumann hat die wenigen Chancen der Nordiren vereitelt. Und ich erinnere mich an Spiele dort im Windsor Park, da ist es nicht so ganz einfach, seine Kiste sauber zu halten. Was Antonio betrifft, denke ich, dass er, wenn er wieder zu alter Form findet, topfit ist und viele Spiele gemacht hat, in den Konkurrenzkampf eingreifen wird. Am Ende des Tages entscheidet der Bundestrainer, wer in der besseren Form ist und wer besser zum Gegner passt. Dazu spielt das Momentum eine große Rolle, also: Wie sind die Leistungen und Ergebnisse in den Vereinen? Schlotterbeck hat von den Dreien ein Alleinstellungsmerkmal.

Welches denn?
Er hat einen guten linken Fuß, Tah und Rüdiger sind Rechtsfüßer – das ist ja schon mal ein Vorteil. Schlotterbeck ist ein sehr guter Zweikämpfer, hat eine gute Geschwindigkeit. Aber man wird sehen. 2014 sind wir mit vier Innenverteidigern Weltmeister geworden (lacht). Ich denke generell, dass die Experimentierphase in der Nationalelf nun vorbei sein sollte. Es ist besser, wenn man ein klares Gerüst hat, eine klare Struktur und jeder auf der Position spielt, die er im Verein verinnerlicht hat.

Verteidigt im DFB derzeit an der Seite von Jonathan Tah: Nico Schlotterbeck.
Verteidigt im DFB derzeit an der Seite von Jonathan Tah: Nico Schlotterbeck. © IMAGO

FC Bayern sollte nicht an Upamecano festhalten 

Kommen wir zum Bundesliga-Gipfel am Samstag in München zwischen Bayern und Dortmund. Da werden auch die Innenverteidiger im Mittelpunkt stehen. Wie gefällt Ihnen das Duo Tah und Dayot Upamecano bei den Bayern?
Das Spiel der Bayern mit den sehr hoch stehenden Innenverteidigern ist sehr risikoreich. Man verlässt sich da schon sehr auf die beiden, die sich rund um die Mittellinie keine Fehler erlauben dürfen, wenn lange Bälle auf die gegnerischen Stürmer kommen. Auf dem hohen Niveau kann das schnell zu Gegentoren führen. Andererseits: Den beiden läuft kaum ein Spieler weg, höchstens Kylian Mbappé mit seiner enormen Geschwindigkeit. Generell sind sie wichtige Stützen ihrer Mannschaft. Ich glaube, dass die Bayern defensiv eher auf den Seiten anfällig sind. Egal, ob da Konrad Laimer oder Joshua Kimmich spielt oder Raphael Guerreiro und, wenn er wieder zurück ist, Alphonso Davies.

Upamecanos Vertrag läuft aus, er pokert um ein höheres Gehalt. Sollten ihn die Bayern unbedingt halten?
Ich sage immer: Reisende soll man nicht aufhalten, wenn der Spieler andere Ambitionen hat. Bayern München hat den guten Namen, falls Upamecano gehen würde, einen adäquaten Ersatz zu bekommen. Ich mir ziemlich sicher, dass die da schon drei, vier Leute in der Pipeline haben.

Traf gegen Werder Bremen doppelt: FC-Bayern-Stürmer Harry Kane.
Traf gegen Werder Bremen doppelt: FC-Bayern-Stürmer Harry Kane. © IMAGO

"Kane hat in Deutschland nochmal einen Qualitätssprung gemacht"

Zum Beispiel Schlotterbeck?
Es war immer schon Bayerns Bestreben, dass die besten Nationalspieler Deutschlands irgendwann das Trikot von Bayern München tragen. Schlotterbeck ist noch recht jung, erst 25. Das spricht für ihn. Ich finde, er hat sich nach anfänglichen Problemen in Dortmund stabilisiert, bei dem ein oder anderen Gegentor sah er unglücklich aus oder hat einen Elfmeter verursacht.

Wie kann es den Dortmundern gelingen, Harry Kane zu stoppen? 
Ein schwieriges Unterfangen! Kane ist ja nicht diese klassische Neun, er lässt sich sehr oft zurückfallen, meistens in den rechten Halbraum. Mit seinen Verlagerungen kann er das Spiel aus der Tiefe mitbestimmen. Er spielt sehr mannschaftsdienlich und ich finde, dass Kane jetzt in Deutschland nochmal einen Qualitätssprung gemacht hat, weil er aus seiner Komfortzone bei Tottenham rausgegangen ist. Der BVB muss versuchen, ihn aus dem Spiel zu nehmen, da musst du als Innenverteidiger manchmal mitgehen über den ganzen Platz – wie ein sturer Manndecker.

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