Matthäus: „Bayern ist nicht Barça!“
Was läuft falsch? Im AZ-Interview analysiert Lothar Matthäus den Knockout des FC Bayern, erklärt Guardiolas Fehler – und ahnt, dass bei einer Pleite gegen den BVB „ernste Gespräche“ drohen
AZ: Herr Matthäus, zwischen der frühesten Meisterschaft aller Zeiten am 25. März und dem 0:4 gegen Real Madrid in der Champions League lagen nur fünf Wochen – was ist beim FC Bayern passiert?
LOTHAR MATTHÄUS: Es war ein historisches Ergebnis, ein Debakel. Die Art und Weise: enttäuschend. Die Aussagen der Spieler haben mich verwundert, sie waren nicht selbstkritisch genug. Die Mannschaft ruft nicht mehr ihre Leistung ab. Aber warum? Sind sie zu satt? Schwer zu sagen.
AZ: Gehen wir in die Analyse. Hat Trainer Pep Guardiola ab April zu viel rotiert?
Bis zum Titelgewinn bei Hertha hat ja alles funktioniert. Nur durch den Beginn dieser krassen Rotation mit dem Augsburg-Spiel kann das Schiff nicht zu sinken begonnen haben. Aber ja, es wurde zu viel rotiert. Sogar mit den Spielern Nummer 21, 22. Mit 15, 16 Spielern hat es funktioniert. Dadurch haben einige den Rhythmus verloren.
AZ: Gab Pep ihnen ein Alibi, als er sagte: „Die Meisterschaft ist vorbei.“
Es war ein Signal: Wir konzentrieren uns nur noch auf die Champions League und den Pokal. Da haben sich die Spieler gesagt: Dann können wir es ja schleifen lassen. Dadurch wurde es in den wichtigen Spielen plötzlich schwierig, mit einer veränderten Mannschaft den Schalter umzulegen. Die Spieler demonstrieren nicht mehr den Zusammenhalt wie vorher.
AZ: Guardiola machte ein taktisches Schuldeingeständnis.
Er stellt sich vor die Mannschaft, will sie schützen – das ist ehrenwert. Seinen Job macht er genau so gewissenhaft wie immer.
AZ: Und beharrt auf den geliebten Ballbesitz-Fußball.
Punkt eins: Die Mannschaft muss davon überzeugt sein. Punkt zwei: Im Ballbesitz sind Teams unter Guardiola stärker als jede andere Mannschaft der Welt. Als Trainer des Gegners sage ich mir dann: Ich überlasse denen den Ball, lasse sie erstmal spielen und mache hinten die Räume eng. Bei Ballgewinn wird gekontert. Das hat Mourinho 2010 im Finale mit Inter gegen die Bayern von Louis van Gaal schon so gemacht.
AZ: Aber ist man durch das starre Konzept nicht zu unflexibel?
Bayern hat immer dominant gespielt, auch unter Jupp Heynckes. Aber ab und zu muss man auch mal den Gegner kommen lassen, um dann den Raum für sich zu nutzen. Bei der Qualität des aktuellen Kaders kann man variabler spielen. Beide Madrider Vereine haben es im Halbfinale vorgemacht, wie es geht.
AZ: Guardiola meint, sein Wirken hier sei kontra-kulturell.
Pep ist Katalane, ist in der Barça-Schule groß geworden. Die Mentalität ist eine ganz andere. Aber: Der FC Bayern ist immer der FC Bayern und der deutsche Fußball immer der deutsche Fußball. Man kann hier nicht katalanisch spielen lassen. Man kann nicht erwarten, dass Bayern wie Barça spielt. Mit Thiago hat Pep seinen Wunschspieler bekommen, um den Bayern das System näher zu bringen. Jetzt, da Thiago verletzt ist, konnte man sehen, wie wichtig er für Guardiolas Konzept ist.
AZ: Philipp Lahm wurde wieder nach rechts hinten beordert.
Da fehlte mir ein klares Bekenntnis, wo er am besten aufgehoben ist. Er wurde hin- und hergeschoben. Mal Rechtsverteidiger, mal Sechser. Das hat zu einer Verunsicherung in der Mannschaft beigetragen. Sowohl Rafinha als auch andere Mittelfeldspieler kannten nicht mehr ihren Stellenwert, ihre Position in der Mannschaft. Ich sehe Lahm als alleinigen Sechser und nicht mit Schweinsteiger zusammen. Gegen Real hat Pep mit Schweinsteiger und Kroos auf der Sechs gespielt, also den bayerischen Stil.
AZ: Viele Spieler haben nicht mehr die Form der grandiosen Hinrunde.
Stimmt. Etwa Müller oder Martínez. Auch Götze hat nicht mehr die Körpersprache, die ihn stark gemacht hat. Man sieht ihnen an: Sie sind unzufrieden, weil sie ihre Positionen nicht kennen. Vielleicht war die Kommunikation von Trainerseite letztes Jahr anders. Der einzige, der vor Spiellaune sprüht, ist Arjen Robben. Er ist neben Philipp Lahm das einzige Vorbild im Team.
AZ: Franck Ribéry hatte sich mal wieder nicht unter Kontrolle.
Das war Frust! Es ist ihm aber auch nicht zum ersten Mal passiert. In den eineinhalb Jahren vorher hat er den Unterschied ausgemacht, wurde Europas Fußballer des Jahres. Darauf kann er doch stolz sein und sollte sich nicht runterziehen, weil er nicht auch noch Weltfußballer geworden ist. Das muss eher ein Ansporn für ihn sein, sich zu zeigen. Cristiano Ronaldo ist zurecht der beste der Welt, das hat er eindrucksvoll bewiesen.
AZ: Am 17. Mai geht’s im Pokalfinale gegen Dortmund. Bei einer Pleite hilft die früheste Meisterschaft aller Zeiten auch nichts mehr, oder?
Für Bayern spricht, dass sie der Rekordpokalsieger sind, für den BVB die aktuelle Form. Die Dortmunder spielen seit dem Aus in der Champions League viel stärker, weil fokussierter, machen einen sehr guten Eindruck. Vor drei Wochen haben sie bei Bayern 3:0 gewonnen. Wenn sie das in Berlin wiederholen, wird es ernste Gespräche an der Säbener Straße geben.