"Jede kleine Spielform nun wie das WM-Finale": Whitecaps-Boss schwärmt von Müller
AZ: Herr Schuster, am Wochenende steht das letzte Ligaspiel der Whitecaps in der Western Conference gegen Dallas an, bevor es in den Playoffs um den Sieg in der MLS geht. Hat Thomas Müller, den sportlichen Impact gebracht, den Sie sich erhofft haben?
AXEL SCHUSTER: Es ist vielleicht sogar mehr, als man sich für den Anfang erhoffen konnte. Ich habe schon sehr gute Spieler gesehen, die in der MLS trotzdem Anlaufschwierigkeiten hatten. Das Ganze ist bisher eine hervorragende Geschichte für alle Seiten. Jeder gewinnt. Er, weil er seine Karriere fortsetzen wollte. Für ihn war es wichtig, dass wir um Titel spielen. Für uns war es wichtig, einen Leader auf dem Platz zu bekommen, der der Mannschaft und dem Team hilft, einen Schritt weiterzugehen.
"Ich weiß nicht, ob mich Müller überraschen konnte"
Was hat Sie an ihm am meisten überrascht?
Ich weiß nicht, ob er mich wirklich überraschen konnte. Was mich überrascht hat, ist, wie gut sein Englisch ist, weil er es eigentlich in seiner Karriere nicht gebraucht hat. Aber das ist ein Vorteil für die viele Medienarbeit, die er machen muss. Wo ich nochmal die Bestätigung bekommen habe, ist, mit welcher Ernsthaftigkeit er an die Sache geht. Vom ersten Tag an wollte er sich nicht in den Vordergrund stellen, sondern die Mannschaft. Er will dafür sorgen, dass die Mitspieler besser werden und alle jeden Tag an ihrem Limit trainieren und spielen. Er geht voran und ist nicht scheu, Spielern in den Hintern zu treten, dass jede Trainingseinheit auf dem Maximum trainiert wird, was jetzt ein wesentlicher Faktor für unseren Erfolg ist. Jede kleine Spielform wird nun wie das WM-Finale trainiert.
Müller fühlt sich in der Stadt und beim Verein wohl. Wie kann man sich seine Integration vorstellen?
Thomas war einfach zu integrieren. Er sprach die Sprache schon hervorragend. Er ist auch in einem Lebensabschnitt, in dem man sich nicht mehr so viel um ihn sorgen muss. Die Wohnung war schon fertig, als er ankam. Er musste also nicht eine Nacht im Hotel schlafen. Wir haben ihm ein Auto hingestellt und mit all den Tipps geholfen, bei denen es besser ist, dass man sie weiß. Er hat wirklich nicht viel Hilfe gebraucht und wollte diese auch nicht.

Schuster schickte Screenshot von Müller-Unterschrift seiner Frau
Schauen wir zwei Monate zurück: Was ging in Ihnen vor, als Müller seinen Vertrag unterschrieben hatte?
Bis er unterschrieben hatte, Zusage hin oder her, war man immer noch in der Ungewissheit. Es kann immer noch etwas dazwischenkommen. Es waren einige Dinge aus dem Weg zu räumen. Die Verträge werden mit der Liga gemacht. Der Vertrag über seine Rechte und seinen Marketingwert hat zum Beispiel deutlich länger gebraucht, als jeder wollte. Das lag gar nicht an ihm, sondern an der Liga und den Restriktionen. Dann hatte ich Sorgen, wenn sich das zu lange hinzögert, dass er bestimmt andere Optionen bekommt. Als er die Unterschrift unter den Vertrag gesetzt hatte, habe ich diese als Screenshot ausgeschnitten und sie an unsere Owner, meinen Technischen Direktor und meine Frau geschickt und dazu geschrieben: Jetzt ist es wirklich wahr. Da war ich im Büro. Das war sicherlich ein besonderer Moment.
Als Sie 2019 nach Vancouver kamen, haben Sie den Klub komplett umstrukturiert. Viele verbinden die Erfolge der letzten Jahre direkt mit Ihnen. Freuen Sie sich umso mehr über die Verpflichtung, da es die nächste Stufe ihres Wirkens ist?
Ich habe zu Thomas gesagt: Du wirst das beste Angebot bekommen, das jemals ein Spieler in Vancouver hatte. Das ist vielleicht nicht das Beste, das auf dem Markt für dich verfügbar ist, aber wir machen das, weil wir glauben, dass wir an einem Punkt sind, an dem der nächste Schritt schwer zu gehen ist, es sei denn, wir würden jemanden wie dich verpflichten, der alles nochmal um ein paar Prozentpunkte verbessert. Schon bevor Thomas ein Thema wurde, hatte ich den Anspruch, dass wir uns jede Saison kontinuierlich weiterentwickeln, um irgendwann um Titel mitspielen zu können. Wir wollten es trotzdem nicht mit der Brechstange probieren. Dann kam Thomas Müller. Jetzt können wir den logischen nächsten Schritt gehen. Jetzt können wir das Ganze vielleicht nochmal auf die nächste Stufe heben oder auch nochmal festigen.

Schuster: "Ich habe die Müller-Mania für die erste Woche erwartet"
Es war der Anfang einer irren Müller-Mania. Haben Sie damit in dieser Form gerechnet?
Ich habe die Müller-Mania für die erste Woche erwartet. Dass sich das so fortsetzt und in Kanada und Deutschland diese Ausmaße annimmt, habe ich nicht erwartet. Gerade unsere Wahrnehmung in Kanada hat sich durch ihn stark verändert. Es herrscht eine unglaubliche Positivität rund um den Klub. Wenn wir die Conference gewinnen, interessiert das nicht so viele Menschen, wie wenn wir nicht in die Playoffs kommen, aber so einen Spieler verpflichten.
Das Müller-Trikot ist seit mehreren Wochen ausverkauft. Hätte man vielleicht ein paar mehr bestellen müssen, um dem Hype gerecht zu werden?
Das ist nicht in unseren Händen. Der Ausstatter der Liga ist Adidas. Sie hatten schon die Trikots der nächsten Saison in den Maschinen. Die Maschinen hätten also gestoppt werden müssen. Dann hätten die Trikots auch noch nach Nordamerika verschifft werden müssen. Am Ende war die Aussage: Wir können vielleicht noch zu irgendeinem Zeitpunkt Trikots liefern, aber das ist dann wenige Wochen, bevor das neue Trikot da ist. Wir haben dann lieber schon mal ein paar mehr vom neuen Trikot bestellt. Dann können alle auch das neue Trikot für eine ganze Saison kaufen. Die sollen, wenn alles klappt, während der Playoffs kommen. Jetzt schauen wir, ob wir es dann schon verkaufen können. Wir wollen es auf jeden Fall für das Weihnachtsgeschäft haben. Garantierte Zusagen kann ich derzeit aber leider nicht machen.

Müller ist der größte Star in Vancouver
Ist er nun der größte Star in der Stadt?
Man muss das mal in den Kontext setzen. In Kanada ist die größte Sportart Eishockey. Die besten Spieler dort haben vielleicht auf den Sozialen Medien eine Million Follower, Thomas hat 14,8 Millionen Follower. Er ist also der größte Star, den es in Vancouver jemals gab. Ihm wird es deshalb sehr einfach gemacht. Es ist nicht ganz einfach, Startzeiten in Golfklubs zu bekommen, aber er kann überall sofort hinkommen. Die ganze Stadt hat ihn mit offenen Armen empfangen und jeder ist glücklich, wenn er irgendeine Aktivität mit Thomas in der Nähe oder zusammen mit ihm macht.
Nach außen wirkt es, als wäre Müller größer als der Verein. Sehen Sie auch ein gewisses Risiko für die Zeit nach seinem Engagement?
Das kann man bei Messi und Son auch sagen. Diese Diskussion haben selbst Vereine in Europa, wenn ein ganz Großer abtritt. Man muss die Zeit jetzt nutzen, um den Verein weiterzuentwickeln. Wenn Thomas geht, müssen wir vielleicht eine Stufe zurückgehen, die aber immer noch deutlich besser ist, als jede Stufe davor. Wir wollen ein Team sein, das den Anspruch hat, jedes Jahr sicher in die Playoffs zu kommen. Wir wollen trotzdem eine der jüngsten Mannschaften sein und beim Investment das Team sein, das bei Kapitaleinsatz im letzten Drittel spielt. Thomas war da die Ausnahme. Aber ohne Thomas sind wir auch da bei den unteren vier bis fünf Vereinen. Für uns muss das ein Business-Modell sein. Wir sind in Vancouver. Im Verhältnis zu Nordamerika ist das eine sehr kleine und wirtschaftsschwache Stadt. Es ist eine Stadt, in der viele Menschen mit sehr viel Geld leben, weil alles teuer ist. Also müssen wir unser Modell anpassen. Wir machen damit aber nichts Magisches. Das hat Philadelphia genauso gemacht.

Schuster: "Ich sehe Müller im Moment eher als Trainer"
Also sind keine weiteren Stars in den nächsten Jahren geplant?
Thomas ist eine Ausnahme. Ansonsten wollen wir die Stars selbst produzieren. Wir hatten im Sommer den Gold Cup und haben fünf Spieler für die USA und Kanada abgestellt. Vier von diesen Spielern haben vor ihrer Zeit in Vancouver noch nie für die Nationalmannschaft gespielt. Jetzt haben die Spieler eine gute Chance, bei der WM dabei zu sein. Die Erfahrung zeigt auch, dass ganz viele große europäische Spieler, die hierhergekommen sind, große Probleme hatten, sich der Liga anzupassen. Der Trainer hat Thomas gleich gesagt: Was für dich wahrscheinlich das Schwerste ist, ist, dass du Mitspieler hast, die den Ball nicht so verarbeiten und ihn dir nicht so zurückpassen können, wie du das machst. Damit hatten schon viele Spieler Probleme, Thomas nicht. Er ist da im Kopf schon einen Schritt weiter und denkt immer darüber nach, wie er seinen Mitspielern helfen kann. Andererseits: Wenn sich nochmal die Möglichkeit auf einen Star ergibt, der so gut wie Thomas zu uns passt, gerne. Aber es ist vorerst nicht geplant.
Er könnte hier auch für zukünftige Jobs wertvolle Erfahrungen sammeln. Sehen Sie ihn für einen Manager-Posten geeignet?
Er hat ein sehr gutes Verständnis für den Markt. Ich würde ihn im Moment aber eher als Trainer sehen, weil er bei uns schon jetzt ein Trainer auf dem Platz ist. Wenn ich sehe, wie er allen Spielern die Richtung zeigt, ihnen Anweisungen gibt und sich Spieler zum Einzelgespräch holt, gleicht das dem Trainerjob. Aber im Endeffekt kann er jeden Job machen. Er spricht die Sprachen und hat ein Verständnis für das Spiel. Er hat auch ein Verständnis für das Business drumherum. Das konnte man während der Verhandlungen spüren. Da hat er neben seinen Beratern sehr direkt mitgeredet und mitgearbeitet. Ich wünsche mir, dass die nächste Station nicht zu schnell kommt. Es sieht aus, als hätte er definitiv noch die Fitness für eine längere Zeit.
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