Heynckes: Bayern, werdet gelassener!
Was Jupp Heynckes, Trainer von Tabellenführer Leverkusen, seinem Ex-Klub rät, wieso er seinen Freund Hoeneß für ein Vorbild hält – und warum Bayer am Sonntag in München gewinnen kann.
AZ: Herr Heynckes, die Bundesliga bestreitet ihren ersten Spieltag nach dem Selbstmord von Robert Enke. Sie haben immer wieder betont, wie wichtig Ihnen der respektvolle Umgang miteinander ist, wie wichtig die zwischenmenschliche Ebene im Bundesliga-Business ist. Was bedeutet der Suizid nun für den Fußball?
JUPP HEYNCKES: Der Fall ist eine Tragödie, vor allem für die Familie – das ist Punkt eins. Die Aufgabe der Trainer ist es, nicht nur den Profi, sondern auch den Menschen zu sehen. Es ist wichtig, wie man mit einem Spieler umgeht: Er muss sich wohl fühlen an seinem Arbeitsplatz, um optimale Leistung zu bringen. Es geht um die Atmosphäre: Kommt einer fröhlich pfeifend zum Training, oder schaut er drein wie Sieben-Tage-Regenwetter?
Beim FC Bayern, Ihrem Gegner vom Sonntag, gab es zuletzt heftige atmosphärische Störungen. Siehe Lahm gegen die Vereinsführung. Siehe Luca Toni gegen Trainer van Gaal.
Ich kenne die Interna nicht, dazu möchte ich nichts sagen. Ich sage generell: In unserer rasend schnellen Zeit muss man als Trainer in sich ruhen und versuchen, Gelassenheit auf die Mannschaft zu übertragen. Man muss die Prozesse manchmal entschleunigen, nicht immer alles forcieren. Man muss die Ventile öffnen, Spieler müssen atmen können.
Gerade diesen entspannten Umgang haben alle Spieler geschätzt und gelobt, als Sie ab April für fünf Wochen ausgeholfen hatten beim FC Bayern. Was wäre passiert, wenn..., also wenn man Sie gefragt hätte, ob Sie nicht doch bleiben könnten?
Wir hatten uns damals ganz klar darüber verständigt, dass die Geschichte auf fünf Wochen angelegt war. Etwas anderes war nie Gegenstand der Gespräche. Außerdem hatte ich damals nicht in meiner Lebensplanung, noch einmal einen Bundesliga-Verein zu trainieren. Und plötzlich haben sie in Leverkusen gesagt: Mensch, der alte Jupp wäre doch genau der Richtige für unsere junge Truppe.
Und diese Konstellation ist nun Tabellenführer, sechs Punkte vor den Bayern.
So ist das Leben. Ich bin hier glücklich und zufrieden, die Arbeit macht mir Spaß. Wir haben hier optimale Möglichkeiten.
Im Mai 2010 ist es 20 Jahre her, dass Sie die Schale zuletzt in den Händen hielten. Das wäre doch eine schöne Gelegenheit.
Mein Gott, das ist lange her! Aber jetzt ist noch nicht der Zeitpunkt da, über so etwas zu sprechen. Fragen Sie mich am 32. Spieltag noch einmal. Wir haben die Ambitionen, nächstes Jahr in Europa mitzuspielen.
Ihre Bescheidenheit in allen Ehren, aber hat Uli Hoeneß Ihren Abschied nicht schon bedauert?
Es war so vereinbart.
Darunter wird Ihre Freundschaft nicht leiden.
Natürlich nicht.
Wie regelmäßig ist der Kontakt eigentlich?
Wir haben vor ein paar Wochen einmal länger telefoniert, uns letzten Sonntag bei der Trauerfeier für Robert Enke gesehen. Wir haben eine so gute Freundschaft – da muss man nicht immer miteinander sprechen. Jeder hat seinen Job, da ist man für sich da, wenn einer den anderen braucht.
Am 27. November wird Uli Hoeneß zum Präsidenten gewählt, er verabschiedet sich nach 30 Jahren als Bayern-Manager.
Seine Lebensleistung ist einfach nur phänomenal. Er war und ist über all die Jahre der Top-Manager der Liga, der Beste. Er hat polarisiert, seine Marken gesetzt, ist auch mal über das Ziel hinausgeschossen.
Sagen Sie ihm dann die Meinung?
Am Sonntag in Hannover habe ich ihm gesagt, dass ich die eine oder andere Ansicht von ihm der letzten Tage nicht teile. Aber das sieht er dann auch ein. Er kann sich entschuldigen, das ist ebenfalls eine Stärke. Er war und ist nie nachtragend – wo gibt es das schon heutzutage?
Kaum.
Aber dabei hatte er immer nur eines im Auge: das Wohl seines FC Bayern. Er hat immer seinen Verein verteidigt. Stichwort raue Schale, weicher Kern – man denke nur an all seine, zum Teil unbekannten, sozialen Projekte.
Was zeichnet Hoeneß noch aus?
Er ist ein Freund der Spieler, war immer verständnisvoll. Und das Wichtigste: Er ist sich immer treu geblieben. Für mich ist Uli ein Vorbild – in vielerlei Hinsicht.
Und nun könnten Sie ihm weh tun: mit einem Sieg in München, ausgerechnet im letzten Bundesligaspiel vor der Mitgliederversammlung.
Es ist doch aus meiner Sicht nicht so schlimm, wenn der FC Bayern wie in der vergangenen Saison einmal keinen Titel holt. Aber in München wird da gleich so ein Drama gemacht. Das ist doch kein Problem, meine Güte! Man muss doch die Gesamtleistung des Klubs sehen und etwas lockerer und gelassener damit umgehen. Bayern ist ein Vorzeigeklub, und die vielen Neider sind ein Beweis des Erfolgs. Auch beim Uli wird immer nur die aktuelle Lage bewertet, der Augenblick. Das ist doch unglaublich! Man muss doch bewerten, was ein Mensch in seinem Job über all die Jahre geleistet hat.
Bei Ihnen sieht die aktuelle Lage rundum positiv aus. Ist Bayer Leverkusen ein Meisterkandidat?
Wissen Sie, was witzig ist? Wir werden von den Journalisten hier und aus dem Rest des Landes immer gefragt: Ja, wann geht es denn mit Bayer nach unten? Für uns ist es ganz gut, wenn wir unterschätzt werden. Aber wir gehen nach München mit dem Bewusstsein, dort selbstverständlich auch gewinnen zu können.
Früher hat Bayer Leverkusen in München stets versagt...
Diese Mannschaft ist gelassen, unaufgeregt. Das imponiert mir. Wir sind Erster, dürfen aber nicht übermütig werden.
Interview: Patrick Strasser