"Hat eine enorme Sprengkraft": Der Fall Diarra könnte laut Dreesen das System im Fußball komplett verändern
AZ: Herbert Hainer hat neulich bei uns im AZ-Talk darauf hingewiesen, dass er sich eine Gehaltsobergrenze wünschen würde. Wie sehen Sie das – und wäre das überhaupt rechtlich umsetzbar?
JAN-CHRISTIAN DREESEN: Wünschen würde ich mir das auch, aber wir wissen auch alle, dass das nur schwierig mit europäischem Recht vereinbar ist. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir andere Mechanismen finden, die greifen. Hier gibt es gibt von der Uefa ja die Regel, dass nur 70 Prozent des Umsatzes für Kaderkosten verwendet werden dürfen. Und in diesen 70 Prozent sind nicht nur die Gehälter drin, sondern auch die Berater-Provisionen und die Abschreibungen auf Transfers. Da kommen einige Klubs aktuell drüber. Es wäre also wichtig, dass die Uefa hier auch Sanktionen verhängt und dabei auch vor den großen Klubs nicht Halt macht. Es müssten harte Sanktionen sein bis zu Punktabzügen oder Ausschlüssen aus dem Wettbewerb. Nur wenn ich die Sanktionen auch konsequent durchsetze, führt es dazu, dass alle die Kriterien einhalten. Das ist mit geltendem Recht vereinbar und aus meiner Sicht ein geeignetes Mittel. Man muss es nur wirklich wollen. Mit aller Konsequenz. Es braucht einen europäischen Konsens.
Dreesen: "Die immer höheren Gehälter und Berater-Honorare sind das größte Problem"
Wobei einige Klubs immer wieder Schlupflöcher nutzen. . .
Und das darf eben nicht der Fall sein. Da muss genau hingeschaut werden. Das große Problem sind ja gar nicht die Ablösesummen, die zwischen den Klubs hin und her wandern. Die immer höheren Gehälter und Berater-Honorare sind das größere Problem, denn im Gegensatz zu den Ablösesummen fließt dieses Geld aus dem Kreislauf heraus. Und das ist dauerhaft für einen Klub wie den FC Bayern nicht durchzuhalten.
Wie haben Sie in diesem Zusammenhang den Fall Lassana Diarra verfolgt? Der Franzose hat vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen seinen Ex-Klub Lokomotive Moskau geklagt und Recht bekommen, dass die Transferregeln der Fifa zum Teil gegen EU-Recht verstoßen. Etwa bei der Freizügigkeit der Spieler oder dem Wettbewerb zwischen den Vereinen. Daraus könnte resultieren, dass Fußballprofis in Zukunft einfacher aus bestehenden Verträgen herauskommen können.
Der einzige Grund, warum so wenig über den Fall Diarra geschrieben wird, ist, weil er so kompliziert ist. Er hat aber enorme Sprengkraft in sich, er kann unser komplettes System im Fußball verändern wie damals das Bosman-Urteil. Wenn man es auf eine einfache Formel bringt, geht es um Folgendes: Ein Spieler hat einen längerfristigen Vertrag und möchte raus aus diesem Vertrag. Sein Klub will ihn aber nicht verkaufen. Der Spieler unterschreibt jetzt trotzdem woanders einen Vertrag – und sein alter Klub erhält keine Entschädigung. Das kann nicht sein. Unser gesamtes europäisches Transfersystem beruht darauf, dass Verträge eingehalten werden. Und wenn ich vorher gehen will, dann muss eine Lösung gefunden werden zwischen den Klubs, denn dadurch entstehen Ablösesummen. Wenn sich jetzt aber ein Spieler aus seinem Vertrag rausklagen kann, dann bricht unser System zusammen. Gerade für kleinere und mittelgroße Klubs sind die Transfereinnahmen sehr wichtig. Die Entwicklung des Fußballs in Europa, besonders in Ländern mit niedrigen TV-Einnahmen, braucht ein funktionierendes Transfersystem, welches auf Vertragsstabilität beruht.

EFC und FIFA wollen neuen Rechtsrahmen entwickeln
Was kann man dagegen tun?
Die Fifa arbeitet intensiv mit der EFC (European Football Clubs, d.Red.) zusammen, um Lösungen zu finden. Es geht darum, was bei einem solchen Fall an Kompensation an den abgebenden Klub gezahlt werden müsste. Ich bin da sehr skeptisch, dass eine Strafzahlung an die Höhe der bisherigen Ablösesumme herankommen würde. Sie merken schon: Ich bin leidenschaftlich bei dem Thema und auch selbst in einer Arbeitsgruppe der EFC zu diesem Thema involviert. Ich kann einfach nicht erkennen, warum das Individualrecht eines Spielers, der in dem Fall Arbeitnehmer ist, über die Gemeinschaft und den Solidaritätsgedanken innerhalb des europäischen Fußballs gestellt wird. Und das bei großteils Einkommensmillionären, das möchte ich gern verstehen.
Es könnte sogar Sammelklagen vor europäischen Gerichten geben nach Diarras Vorbild. . .
Genau. Viele könnten diesem Beispiel folgen. Daher sind wir jetzt mit der Fifa dabei, einen neuen Rechtsrahmen zu entwickeln. Wir versuchen, mit diesem im Laufe des kommenden Jahres fertig zu sein. Dann haben wir hoffentlich wieder ein Stück weit Sicherheit für unser Transfersystem.

"Es hat eine enorme Resonanz in den USA gegeben"
Wie sehen Sie die Perspektive für die Super League? Real Madrid verklagt die Uefa auf Schadenersatz in Milliardenhöhe.
Das schaue ich mir aus der Ferne an. Unsere Meinung als FC Bayern und meine persönliche habe ich mehrfach gesagt: Für uns ist die Tür geschlossen. Wir wollen ein offenes System, eine Pyramide der Wettbewerbe. Und die haben wir ja heute. Wir haben eine fantastische Champions League, gerade in dem neuen Format mit mehr Spannung in der Ligaphase. Ich weiß gar nicht, warum wir das ändern sollten. Der Reiz ist gerade der, dass sich die Klubs über ihre nationalen Ligen für Europa qualifizieren können. Ich würde es langweilig finden, in einer Super League ständig gegen Real Madrid zu spielen.
Lassen Sie uns auf die USA schauen, wo im Sommer 2026 die Weltmeisterschaft stattfindet. Wird das der Durchbruch für "Soccer" in Amerika?
Nach der WM 1994 hat sich der Soccer in den USA sicherlich nicht so entwickelt, wie man das damals vielleicht erwartet hat. Wir sind mit dem FC Bayern jetzt seit zwölf Jahren in den USA, haben unser Büro in New York. Und es ist unzweifelhaft, dass in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung zu erkennen ist. Das hat man auch bei der Klub-WM gesehen. Die Stadien waren vielfach voll, es hat eine enorme Resonanz in den USA gegeben. Natürlich ist der Soccer nicht US-Sport Nummer eins, aber die Klub-WM hat geholfen, den Klubfußball in den USA zu präsentieren. Gerade bei den Südamerikanern und Hispanics ist die Begeisterung riesig, da müssen wir schauen, ob wir als Europäer an dieser Entwicklung teilnehmen können. Das hängt auch von uns selbst ab, wir müssen präsent sein vor Ort. Wir sind als FC Bayern gerade dabei, wieder neue Fußballschulen in den USA mitzugründen. Du brauchst einfach diesen Austausch.

Dressen: "Der Fußball besteht nicht nur aus Europa"
Befürchten Sie, dass US-Präsident Donald Trump die WM in besonderem Maße zur Selbstinszenierung nutzen wird?
Nachdem eine Großveranstaltung an ein Land vergeben ist, kann man sich nur noch mit den Gegebenheiten arrangieren. Grundsätzlich gibt es in den USA einen größeren Anteil an Show als in Europa. Wir werden im Sommer sehen, wie viel Show bei dem Turnier dabei ist und wie viel sportliche Qualität. Durch das größere Teilnehmerfeld nehmen einige Nationen teil, die in der Vergangenheit nicht dabei gewesen wären. Dadurch gibt es ein größeres Abbild des globalen Fußballs. Die Wahrheit ist: Der Fußball besteht nicht nur aus Europa.

