Die zwei Gesichter des FC Bayern: Hübsch und erfolgreich in der Champions League, eher unattraktiv und kränkelnd in der Bundesliga. Die AZ erklärt, woran das liegt.
MÜNCHEN Allein dieses Gefühl. In den Zeitungen, im Videotext, online sowieso überall: Da ist eine Tabelle und da steht: 1.: FC Bayern. Auch wenn es nur vier Mannschaften sind, die sich in der Champions-League-Vorrunde duellierten, die Bayern sind oben. Ein gutes Gefühl, die anderen müssen aufschauen. Die gute, alte Bayern-Perspektive. Man blickt auf die anderen von oben herab.
Sechs Spiele, fünf Siege – eine beinahe makellose Bilanz. Die Bayern sind nach dem 3:0 vom Mittwoch gegen den FC Basel: Gruppensieger, Rekordpunkteausbeute-Erzieler, Rekordtorekonto-Ersteller, Millioneneinnahmen-Erspieler und Achtelfinalrückspielheimvorteilgenießer. Auf den Punkt gebracht von Louis van Gaal: „Ich bin sehr zufrieden: Wir waren nicht in der schwersten Gruppe. Es schaut einfach aus, war aber nicht so. Fünf Siege – das haben nicht viele Mannschaften geschafft. Ich denke, dass das gut ist. Es kann kaum besser sein.“ Es ist ja gut.
Das ist die eine Seite des FC Bayern, das eine Gesicht: Königsklasse macht Champions-Gesicht. Heiter bis strahlend. Das andere Gesicht: die Bundesliga. Finster, finster.
Eine Frage der Gegner? Nur Zufall? Was dahinter steckt?
Der Reiz:
Es liegt was in der Luft an diesen Abenden. Der Europacup-Flair, die Champions-Hymne. Selbst eine Partie gegen die Schweizer, in denen es für die Bayern nur um Ehre und Anstand ging, zogen die Profis konzentriert durch. Die Wunde Inter, zugezogen am 23. Mai 2010 in Madrid beim 0:2 gegen die Italiener, treibt weiter an. Das Finale kommenden Mai in Wembley ist das große Ziel – da wäre der verlorene Meistertitel locker zu verschmerzen. „Das sind die Festtage des Fußballs“, sagte Philipp Lahm, „die muss man sich erarbeiten und kann es dann genießen.“ Da wird die Bundesliga zum schnöden Alltag. Die Schale hat ohnehin jeder aus dem Kader schon einmal in Händen gehalten.
Die Wahrnehmung:
Es ist kurios, aber Vorrunden-Gegner wie Basel, Cluj und Rom schauen zu den Bayern auf, da sind die furchterregend-glücklichen Auftritte der Vorsaison noch im Hinterkopf. Der FC Bayern ist in Europa eine Marke, keiner der möglichen sieben Achtelfinal-Gegner (siehe Kasten) wird bei einem Zusammentreffen frohlocken. Anders in der Bundesliga: Kaiserslautern, Mainz, Dortmund und zuletzt Schalke haben es vorgemacht, wie man den Bayern den Schneid abkaufen kann. Ein tapsiger Meister als Tabellen-Siebter macht keinem wirklich Angst.
Die Lockerheit:
Okay, ab dem Achtelfinale beginnt das K.o.-System – dennoch: hier greift das Vertrauen in die eigenen Stärken, in die Fähigkeit, auf Knopfdruck Spiele zu drehen. „Wir wissen um unsere Situation, deshalb sind wir zum Siegen verdammt“, sagte Sportdirektor Christian Nerlinger und sprach damit von der Situation in der Bundesliga. Hier hat man sich größtmöglichen Druck durch den immensen Rückstand auferlegt, zwei Siege am Samstag gegen St. Pauli und eine Woche später in Stuttgart sind „ein Muss“ (van Gaal) vor Beginn der Weihnachtsferien.
Das Erreichen der Champions League in der jeweils nächsten Saison ist im Grunde in der Vereinssatzung verpflichtend vorgeschrieben. Ein Scheitern wäre ein dunkler Fleck.
Patrick Strasser