FC Bayern: Franz, der Eisbrecher
Wie Beckenbauer es beim Mitternachtsbankett schaffte, die zunächst frostige Atmosphäre am Vorstandstisch zu lockern, und wieso sich nun alle Alphatiere der Bayern als Sieger fühlen dürfen.
CLUJ Meilenweit waren die Herrschaften voneinander entfernt. Uli Hoeneß, den Bayern-Präsidenten, und Louis van Gaal, den Cheftrainer, trennte am Tische der Bosse zu Beginn des Mitternachtsbanketts im Mannschaftshotel „Opera Plaza“ in Cluj genau: zwei Armlehnen, wenige Zentimeter also. „Oh, jetzt muss ich wieder zu meinem Freund“, meinte van Gaal, als er den Saal unter dem Applaus der Sponsoren und mitgereisten Vips eine knappe halbe Stunde nach Mitternacht betrat. Die Streit-Alphatiere setzten sich tatsächlich nebeneinander, recht verkniffen und schmallippig zunächst. Man stieß mit Rotwein an – „auf den Gerd!“ rief van Gaal und meinte Gerd Müller, der 65 geworden war, aber freilich gar nicht da war. Die Körpersprache war eindeutig: keine Annäherung. Nur nicht angucken. In die Augen schauen? Aber nein.
Und dann kam der Franz. Ach, wenn doch immer alles so einfach wäre. Jede Familie, jeder Betrieb sollte so einen haben wie den Beckenbauer Franz. Eine gute Dreiviertelstunde später, nach Ende seines Fernsehjobs, traf er ein, begrüßte die Runde am Tisch der Bosse und siehe da: es klarte auf. Unnachahmlich, diese Lässigkeit, diese Leichtigkeit, ein paar Sprüche und schon kamen sich Hoeneß und van Gaal näher. Durch Franz, den Eisbrecher.
Es gab gefüllten Lachs, Roastbeef mit Remouladensauce und Pilzen samt Gorgonzola, guten Rotwein und dicke Zigarren. Rummenigge, Hoeneß, Beckenbauer und später auch Nerlinger nebelten Nichtraucher van Gaal ein, es schien ihm nichts auszumachen. Die Stimmung stieg, lautes Männerlachen war zu vernehmen, und plötzlich flüsterte Hoeneß van Gaal stetig ins linke Ohr. Der Coach erhob sich erst um zehn vor zwei Uhr von seinem Platz, die Bosse blieben noch bis drei Uhr sitzen.
Versöhnung in Transsilvanien, nun muss doch aber alles wieder gut sein, oder? Wie die Feier gewesen sei, wurde van Gaal am Donnerstag gefragt: „Es gab ein Glas Rotwein. Wenn sie das feiern nennen wollen - okay. Wenn wir gewinnen, ist immer alles gut.“ Das hatte ihm Rummenigge bei der Bankettrede ja auch noch einmal eingetrichtert. Siege beruhigen, vollständig heilen konnte das 4:0 in Cluj die Wunde des Trainers jedoch nicht: „Was er gesagt hat, war für mich nicht so schön“, stellte van Gaal fest, „aber wir haben uns ausgesprochen und gehen weiter.“ Wie heftig der Krach war, zeigt, dass Rummenigge die Vokabeln „die Situation befrieden“ sowie „Neuanfang“ und „fruchtbare Zukunft“ gebrauchte nach dem Schlichtungsgespräch am Dienstag. Es war eine Zwangsmaßnahme, durchgesetzt vom Vorstand „Meine Losung ist immer: Nichts aussitzen. Am Dienstag nach der Pressekonferenz des Trainers hieß es: Zwangsverhaften und ab nach oben.“ Zur Aussprache im sechsten Stock. Samt Handschlag, der „ehrlich gemeint war“, wie Augenzeuge Rummenigge beteuerte.
Dennoch fußt diese Bis-auf-Weiteres-Versöhnung von Cluj auf Beckenbauers Charme. Schon bei seiner Ankunft am Nachmittag hatte er sich als Vermittler angeboten und gescherzt, ob es denn noch irgendwo etwas zu schlichten gäbe. Beim Bankett näherten sich die Parteien auf seine Initiative hin an. Beckenbauer weiß ja, wie es ist, wenn man sich beim Vorstand als Präsident durch Aussagen unbeliebt gemacht hat.
Irgendwie dürfen sich alle als Sieger fühlen. Hoeneß, weil er wieder am operativen Geschäft teilnehmen darf. Rummenigge und Beckenbauer als Verkuppler, van Gaal als Sieger nach Punkten in den Augen der Mannschaft.
So bleibt Johan Cruyff der letzte Holländer, den Uli Hoeneß zu Fall gebracht hat. In der zweiten Minute des WM-Finals von 1974 in München. Es gab Elfmeter für Oranje. Und danach doch ein Happy End für die DFB-Elf.
Patrick Strasser