Dieter Hoeneß im AZ-Interview: "Die Situation mit Haaland ist ganz schwierig für den FC Bayern"

München - AZ-Interview mit Dieter Hoeneß: Der 69-Jährige spielte von 1979 bis 1987 bei Bayern. Heute ist der Bruder von Uli Hoeneß und frühere Bundesliga-Manager als Spielerberater tätig.
AZ: Herr Hoeneß, der FC Bayern hat mit dem 7:1 gegen Salzburg ein Ausrufezeichen an die internationale Konkurrenz gesendet. Was trauen Sie Julian Nagelsmanns Mannschaft ab dem Viertelfinale der Champions League zu?
DIETER HOENESS: Man hat gesehen, dass die Bayern da sind, wenn es drauf ankommt. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Mit Bayern ist zu rechnen in dieser Champions-League-Saison. Es hängt immer auch ein bisschen von der Auslosung ab und davon, welche Spieler zur Verfügung stehen. Aber jetzt kommt die Crunchtime - und ich traue Bayern alles zu. Wichtig wäre natürlich schon, wenn Alphonso Davies und Leon Goretzka wieder zur Verfügung stehen würden.
Da hat sich Nagelsmann nach dem Salzburg-Spiel optimistisch gezeigt, er sei bei beiden "guter Dinge", sagte er.
Es ist noch ein Monat bis zum Viertelfinale, Davies und Goretzka brauchen bis dahin Spielrhythmus. Ich hoffe, dass sie schnell wieder voll mit der Mannschaft trainieren können.
"Gegen Salzburg hat Bayern sehr konsequent gespielt"
Nagelsmann hat gegen Salzburg offensiv aufgestellt, hinten mit Dreierkette agiert. Ist die Defensive der Bayern stabil genug, wenn es gegen andere Titelfavoriten wie Liverpool oder Manchester City geht?
Bis auf ein, zwei Situationen wirkte die Bayern-Abwehr sicher. Aber bei allem Respekt vor den Salzburgern, die wirklich eine tolle Entwicklung nehmen: Bayern ist ein anderes Kaliber, Salzburg nicht der Maßstab, um allerhöchsten Ansprüchen gerecht zu werden. Bayern hat sehr konsequent gespielt, defensiv gut gestanden. Das war perfekt. Was die Abwehr angeht, hat Julian Nagelsmann vor Kurzem etwas Wichtiges gesagt: Dass man den Ball auch einfach mal hinten rausschlagen muss, wenn man unter Druck steht. So kann man Fehlerquellen minimieren. Damit haben die Bayern gegen Salzburg begonnen und das werden sie auch im Viertelfinale zeigen.
Dayot Upamecano zählt aktuell nicht zur Stammelf. Warum ist er so verunsichert?
Da kann man nur Vermutungen anstellen. Bayern ist sicher noch mal eine andere Hausnummer als Leipzig, Upamecano ist mit 23 ein junger Spieler. Das erste Jahr beim FC Bayern ist immer ein großer Schritt - das sieht man auch bei Marcel Sabitzer, der in Leipzig ein guter Spieler war und sich nun sehr schwertut, bei Bayern Anschluss zu finden. Ich bin aber bei Upamecano überzeugt, dass er absolute Weltklasse wird - nur nicht in seinem ersten Jahr. Er muss mit gewissen Situationen noch gewissenhafter umgehen, im Passspiel ist er manchmal noch zu schlampig.
"Man weiß nicht genau, wie lange Lewandowski noch auf diesem Level spielen wird"
Robert Lewandowski hat mit drei Toren gegen Salzburg brilliert. Wie viele Jahre trauen Sie dem 33-Jährigen noch auf diesem Niveau zu?
Ich kann bei ihm keinen Leistungsabfall sehen. Dabei wäre das in seinem Alter ja völlig normal. Stattdessen spielt er jedes Spiel auf höchstem Niveau, das ist wirklich erstaunlich, fantastisch.
Sollte Bayern mit ihm über 2023 hinaus verlängern?
Wenn Lewandowski dieses Niveau halten kann - klar. Dann muss er bleiben. Das Problem ist nur für Bayern, das man nicht genau weiß, wie lang Lewandowski auf diesem Level spielen wird. Wenn man am Mittwochabend allerdings Luka Modric (36) und Karim Benzema (34) bei Real Madrid gesehen hat, kann man bei Lewandowski davon ausgehen, dass er dieses Niveau noch drei Jahre halten wird. Alter schützt vor Klasse nicht. Zuletzt ist der Generationenwechsel bei Bayern sehr gut gelungen nach der Ära Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Franck Ribéry und Arjen Robben, bald steht der nächste an: der nach der Generation Thomas Müller, Manuel Neuer und Robert Lewandowski. Aber wenn man diese drei Spieler so sieht aktuell, kann man sich gar nicht vorstellen, dass sie in wenigen Jahren nicht mehr auf den Platz stehen werden. Es ist ein Spagat für Bayern, diesen Übergang zu meistern.
"Bayern muss mit seinem Geld haushalten, andere Klubs nicht"
Als Lewandowski-Nachfolger wird Erling Haaland (21) gehandelt. Aber ist der Norweger von Borussia Dortmund nicht zu verletzungsanfällig?
Lewandowskis Fitness ist unglaublich, der will und kann jedes Spiel machen. Man hat nicht mal im Ansatz den Eindruck, dass er körperliche Problemchen hat. Und ich kenne seine Position als Mittelstürmer ganz gut, da kriegt man schon mal auf die Socken. Lewandowski drückt das einfach weg und springt in kritischen Situation hoch, bevor er getroffen wird. Die Situation mit Haaland ist daher ganz schwierig für den FC Bayern.
Warum?
Wenn man mit Lewandowski den weltbesten Stürmer hat, braucht man sich eigentlich nicht mit einem Kaliber wie Haaland befassen. Beide zusammen - das geht weder sportlich noch finanziell. Es ist schwierig, die Gegenwart so zu regeln, dass man die besten Spieler hält und parallel die Zukunft plant. Das ist eine Sisyphusaufgabe. Als Manchester City würde man vielleicht sagen: Hol' den Haaland einfach und wir schauen mal! Aber Bayern muss haushalten mit dem Geld, kann nur das ausgeben, was auch eingenommen wird. Das ist bei anderen Klubs wie ManCity nicht so.
"Gegen Hoffenheim ist alles möglich, Bayern hat zuletzt zwei Gesichter gezeigt"
Am Samstag kommt es zum Duell mit Hoffenheim, wo Ihr Sohn Sebastian Trainer ist. Die TSG ist Vierter, was sagen Sie zu dieser Entwicklung?
In Hoffenheim wird gut gearbeitet von allen Beteiligten. Der Spirit in der Mannschaft ist sehr gut. Der Sebastian macht einen guten Job, es ist zu erkennen, dass sein System funktioniert. Und er arbeitet exzellent mit Alexander Rosen (Direktor Profifußball, Anm.d.Red.) zusammen. Da passen viele Dinge sehr gut zusammen. Hoffenheim steht zu Recht auf Platz vier - allerdings sind noch neun Spiele zu absolvieren.
Leipzig und Freiburg liegen nur knapp dahinter, lauern auch noch auf Champions-League-Platz vier.
Genau. Der große Vorteil der Hoffenheimer ist, dass sie den Vorsprung auf die Ränge dahinter deutlich vergrößern konnten in den vergangenen Wochen. Bis zum siebten, achten, neunten Platz ist ein bisschen Luft. Die Chance auf die Qualifikation für die internationalen Plätze ist gestiegen.
Was für ein Spiel erwarten Sie am Samstag?
Das wird interessant, Hoffenheim ist eine geschlossene Mannschaft. Wenn man Bayern allerdings gegen Salzburg gesehen hat, weiß man, dass sie an einem guten Tag jeden Gegner zerlegen können. Aber es ist alles möglich, Bayern hat zuletzt zwei Gesichter gezeigt.
"Bayern ist die konstanteste Mannschaft Deutschlands"
Wie oft tauschen Sie sich mit Ihrem Sohn Sebastian eigentlich aus über Fußball und alle anderen Dinge des Lebens?
Schon sehr regelmäßig, wir telefonieren alle zwei, drei Tage. Aber da geht es nicht nur um Fußball.
Wenn Dortmund das Nachholspiel gegen Mainz gewinnt, beträgt der Rückstand in der Tabelle auf Bayern sechs Punkte. Wird der Meisterkampf noch mal spannend?
Ich bin überzeugt davon, dass Bayern Meister wird. Es ist die konstanteste Mannschaft in Deutschland. Ich hoffe, dass Davies und Goretzka bald wieder dabei sind, Corentin Tolisso kommt auch zurück, der gezeigt hat, wie wertvoll er ist bei voller Fitness. Wenn Bayern alle Spieler an Bord hat, wird es für jeden Gegner schwer - auch in Europa.