Bayerns Fan-Historie: Die rote Wehmut nach den wuiden Zeiten
Gegen den modernen Fußball", steht auf einem Plakat, das seit vielen Jahren in der Südkurve der Allianz Arena aufgehängt wird. Wie das rote Fan-Leben war, damals, als der Fußball kein Hochglanzprodukt war, das in den rausgeputzten neuen Arenen mit all ihrem Komfort stattfindet, sondern: Im völlig überfüllten Grünwalder Stadion oder dem zugig-kalten Olympiastadion, auf diese Zeit wirft Christoph Leischwitz in seinem neuen Buch den Blick.
Ein Fußball-Buch, in dem kaum ein Fußball, kaum ein Spieler zu sehen ist, stattdessen ein Stück wenig beachtete Münchner Geschichte erzählt wird, von einer Jugendkultur im Wandel, Treffpunkten in Laim oder Milbertshofen - und von Zeiten, in denen es oft viel wuider zuging. Die "Wuiden" heißt dann treffenderweise auch eine der alten Fangruppen, von denen Leischwitz berichtet.

Drei Stadt-Derbys müssen abgebrochen werden
Doch seine Anekdoten-Sammlung beginnt viel früher. Vor dem Zweiten Weltkrieg - nur ein Beispiel - müssen drei Derbys gegen die Sechzger abgebrochen werden. Einmal, 1917, wegen schlechten Wetters, zwei Jahre später aber schon, weil es auf dem Platz zu vielen Tätlichkeiten gekommen war und 1927 stürmen Zuschauer den Platz.
Spannend sind aber vor allem die Geschichten ab den Sechzigerjahren, als sich eine echte Fankultur zu entwickeln beginnt. Noch staunt man über ein Foto der Westkurve im Grünwalder, wo Löwen- und Bayern-Fans gemeinsam standen, da liest man schon über die ersten festen Rituale um 1970. Damals trafen sich viele Fans vor dem Spiel am Fischbrunnen - dann ging es in die Mathäser-Bierstadt, später in den Raintaler Hof in Giesing, 300 Meter vom Stadion entfernt. "Schlachtenbummler von damals erwähnen immer wieder, dass sie viel mehr gesungen hätten als heute", heißt es in dem Buch. "Ständig und überall."

Ab den Siebzigern brechen im Olympiastadion - und der Stadt - wuidere Zeiten an, von vielen Raufereien und erheblichen Auseinandersetzungen, etwa einem Angriff von Fans mit Schottersteinen auf einen Stuttgarter Sonderzug in Pasing - wird berichtet. Auch von Ärger mit den Schwarzen Sheriffs an der U-Bahn ist die Rede, vom Ritual, am Petuelring Gästefans aus der U-Bahn zu zerren.
Insgesamt verfestigt sich beim Lesen der Eindruck, den viele langjährige Stadiongänger haben. Heute geht es beim Fußball in München insgesamt sehr friedlich zu - gerade im Vergleich dazu, wie es früher beim Fußball in München zuging.
Ultra-Kultur wird heutzutage stark ausgebremst
In dieser vor-modernen Fußball-Zeit zog schon auch mal die halbe Südkurve im Olympiastadion mehr oder weniger ungehindert rüber hinter die Nordkurve, um Ärger mit Gästefans zu suchen - auch aufgrund der Sicherheitsstandards in der modernen Arena undenkbar.
Doch die vielen Regeln und die Überwachung in den neuen Zeiten hat die heutige Ultra-Kultur auch in ihren kreativen Teilen oft ausgebremst. So, als die Fans in der Arena anfangs nicht mal Fahnen und Megafone mitnehmen durften.

Die Wuiden haben es heute eh schwer. Im Olympiastadion stürmte man einst nach großen Siegen ziemlich selbstverständlich den Rasen. Und, auch daran erinnert Leischwitz, so mancher wusste doch immer, wo man notfalls auch ohne Karte über einen Zaun hineinklettern konnte.
Im weitläufigen Olympiastadion, ja, da zog an eisigen Abenden eine Glühwein-Wolke über die Südkurve. Die Wehmut nach den alten Zeiten übrigens haben nicht nur die Jungen in der Arena-Kurve, die diese Zeiten selbst kaum erleben durften.

Sondern auch die Alten, die kritisch auf die Ultra-Kultur mit ihrem Dauer-Singsang schauen. Da Spruchbänder und Gesänge heute oft so durchgeplant sind, dass sie sich kaum daran orientieren, ob man um den Ausgleich kämpft oder weit in Führung liegt - das macht es schwer, etwa Fans auf der Gegentribüne zum Mitmachen zu motivieren. Und so teilen sie irgendwie ganz verschiedene Fans: die Wehmut bei der Erinnerung an die wuiden Zeiten.
"Mia san die Bayern", Werkstatt-Verlag, 18 Euro