Bayern schlägt Gladbach: Nur das Jupp-Ständchen fehlte
MÜNCHEN - Der gut gelaunte neue Bayern-Trainer Jupp Heynckes feiert einen rundum gelungenen Einstand. Von den Fans wird er genauso wie Co-Trainer Gerland sofort angenommen. Doch die Krisenzeit unter Klinsmann wirkt in der Fankurve noch nach.
Die Blitzlicht-Wertung gewann Jupp Heynckes um Längen, doch für die beste Geschichte und den meisten Fan-Jubel sorgte der Bayern-Trainer Nummer zwei: Hermann Gerland. Es war nicht mehr allzu lange zu spielen, Gerland hatte sich bis dahin brav in seine Assistentenrolle gefügt, war nur an der Linie erschienen, um den ein oder anderen Einwechsler herbei zu winken. Aus dem so genannten heiteren Himmel startete er dann plötzlich die große Hermann-Gerland-Show: Trippelte während einer Spielunterbrechung an der Linie entlang Richtung Südkurve, kürzte an der Eckfahne übers Feld ab, ließ Gladbachs Keeper Logan Bailly rechts stehen, trippelte weiter, kürzte auch an der anderen Eckfahne ab und kam endlich seiner Bestimmung nahe: Philipp Lahm.
Der Linksverteidiger hatte Durst signalisiert, woraufhin Gerland den langen Weg auf die andere Spielfeldseite antrat, Trinkflasche in der Hand. Lahm trank, und Gerland trippelte wieder zurück. Ein Triumphzug. Jubelstürme aus der Kurve. "Hermann Gerland, du bist der beste Mann!" Jeder Cheftrainer wäre neidisch geworden. Nur Jupp Heynckes nicht. Der war einfach nur froh, als der Schlusspfiff ertönte und Bayern immer noch 2:1 führte.
Erhoffte Aufbruchstimmung gleich da
Es war viel von Aufbruchstimmung die Rede gewesen vor dem Heynckes-Debut. Und in der Tat: Die Fankurve schien wie ausgewechselt: "Fünf Spiele, fünf Siege! Deutscher Meister FCB!", stand da auf einem Plakat in der Südkurve. Diesmal kamen die Fans auch ganz ohne Klinsmann-raus-Rufe aus. Für ein Jupp-Ständchen reichte es dann allerdings doch nicht.
Der gescheiterte Erneuerer blieb dennoch Thema: Als Bayern in Führung ging, schallte es aus der Kurve: "Siehst du Klinsmann, so wird das gemacht!" Und spät in der zweiten Halbzeit wurde dann noch ein riesiges Spruchband entrollt, mit explosivem Inhalt: "Wer wollte Klinsmann haben? Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen!" Unterstützt wurde der mutige Text durch lautstarke "Vorstand raus!"-Rufe.
Die Fans singen "Siehst du Klinsmann, so wird das gemacht!"
Klinsmann-Nachfolger Heynckes kam in blendender Laune zum ersten Arbeitstag in die Allianz Arena. Dunkler Anzug, weißes Hemd, den Blitzlicht-Wahnsinn vor seinem Platz an der Trainerbank nahm er geduldig, ja gelassen hin. Er schien ihm nicht mal sonderlich unangenehm zu sein. Erster Ballkontakt: 9. Minute, ein sicherer Flachpass zu Lahm, beim Einwurf. Erst in Minute 30 tauchte er wieder an der Linie auf, als Ze Roberto rüde gefoult wurde. Beim 1:0 steht er kurz auf, zieht die Hose hoch, guckt auf die Uhr, setzt sich wieder. Auch beim 2:1 eher kontrollierte Offensive in Sachen Torjubel. In Halbzeit zwei ist er dann aber regelmäßiger Gast in der "coaching zone", die Hände zunächst meist in der Hosentasche; später wurden sie immer öfter zum Gestikulieren gebraucht.
Nach dem Schlusspfiff klatscht Jupp Heynckes ein Mal kurz in die Hand, schüttelt dann die von Gerland und die von Müller-Wohlfahrt, der ganz glücklich lacht: Er ist ja wieder dabei, bei den Siegern. Die Spieler marschieren dann endlich mal wieder alle gemeinsam vor die Südkurve - und bekommen fast so viel Applaus wie Hermann Gerland. Aber auch nur fast.
Heynckes glücklich, Gerland gefeiert
Nach getaner Tat: großes Lob vom großen Franz. Bayern-Präsident Beckenbauer sagt über seinen neuen alten Übungsleiter: "Wenn er zehn oder 15 Jahre jünger wäre, wäre er der ideale Trainer für uns." Darauf der Jupp: "Beim Franz darf man ja nicht alles auf die Goldwaage legen. Aber so schlecht habe ich mich ja auch nicht gehalten mit meinen 63 Jahren." Da hat er sicher recht, der Herr Heynckes. Aber dass er auch noch zur Koketterie neigt - wer hätte das gedacht? Auf eine Journalistenfrage nach dem Druck, den er in der momentanen Situation verspüre, sagte der Klinsmann-Nachfolger: "Druck? Sicher nicht mehr. In meinem Alter, mein Gott!"
Thomas Becker