Nach dem Champions-League-Triumph des FC Bayern 2001: Uli Hoeneß beobachtete Vincent Kompany
Mechelen, im Jahr 2001. Der FC Bayern hat in Mailand gegen Valencia die Champions League gewonnen, endlich mal wieder, zwei Jahre nach dem Albtraum gegen Manchester United. Kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen, denkt sich Bayern-Boss Uli Hoeneß und macht sich auf, um im fernen Belgien einem 15-Jährigen beim Kicken zuzusehen. Dieser Teenager wollte als Kind Feuerwehrmann werden, später Ingenieur oder Soldat. Es sollte anders kommen.
In seiner Autobiografie "Der Teamplayer" gibt Vincent Kompany zu, dass er in seinem Umfeld kaum Menschen kannte, die Erfolg hatten. Was vielleicht erklärt, warum er seine Vorbilder ganz woanders fand: in Pelé und Muhammad Ali. Männer, die trotz bescheidener Lebensumstände in der Jugend zu Welt-Stars aufgestiegen sind. "Darin konnte ich mich wiederfinden", sagt er, "aber ich hatte schon immer eine fast arrogante Portion Selbstvertrauen. Ich bin, wer ich bin, und habe mir nie Grenzen gesetzt."
Kompany will in der Schule immer mit dem schwächsten Team spielen
Diesen Charakterzug verdanke er der Mutter, die er als rebellisch und freigeistig bezeichnet. Seine Mama sagt über ihn: "Wenn er auf dem Spielplatz Fußball spielte, konnte er es kaum ertragen zu verlieren. Manchmal lief er wutentbrannt weg und schmollte auf einer Bank."
Der junge Vincent läuft ständig im Anderlecht-Trainingsanzug herum, jeder nennt ihn nur "Anderlecht". In der Schule tritt er zum Elfmeterschießen lieber gegen den Lehrer an, will immer mit dem schwächsten Team spielen, kommandiert die Mitschüler herum: "Du und du, ihr spielt mit mir, der Rest auf die andere Seite!" Mathematik liegt ihm besser als Sprachen, Basteln, Zeichnen und Malen sind für ihn "Mädchenkram".
Kompany beginnt seine Karriere als Stürmer
Wenn in der Schule ein Konzert aufgeführt wird, will er bei allen Liedern dabei sein. Wenn ein Interview stattfindet, will er es leiten und greift sich das Mikrofon. "Drinnen zu bleiben, war für ihn verschwendete Zeit", erinnert sich ein Lehrer. Typischer Kompany-Satz: "Stell dich nicht so an, Herr Lehrer, es regnet doch kaum, oder? Darf ich draußen spielen?" Auf Klassenfotos zeigt er sein entwaffnendes Lächeln, zum Dahinschmelzen. "Er hat sich auch überlegt, wie er dich auf seine Seite ziehen kann", sagte eine ehemalige Lehrerin, "dieses Lächeln war Teil seiner Überzeugungskraft, seiner Ideen."
Seine Fußballkarriere beginnt Vincent als Stürmer, schießt bis zu 50 Tore pro Saison. Mit neun stellt ihn sein Jugendcoach als defensiven Mittelfeldspieler auf, als Box-to-Box-Spieler. Er hat einen strammen Schuss, ausgezeichnete Übersicht, nur Kopfbälle mag er nicht so - am Anfang zieht er sogar den Kopf ein. Ein Trainer erinnert sich: "Vincent ist ehrgeizig und sucht die Herausforderung. Wenn es zu einfach ist, langweilt er sich. Man muss ihm Verantwortung und Freiheiten geben, darf ihn aber nicht einschränken."
Jugendcoach über Kompany: "Er ist ein geborener Anführer"
Bald hat Kompany den Ruf, ein durchsetzungsfähiger, etwas anstrengender Typ zu sein. "Man muss gleichzeitig auf einer Ebene mit ihm, aber auch über ihm sein", sagt der Jugendcoach, "man kann ihn nicht von etwas überzeugen, wenn er nicht daran glaubt. Wenn doch, weiß er auch seine Mitspieler zu überzeugen, ohne dass es hochmütig rüberkommt. Er ist also ein geborener Anführer." Kein Wunder, Kompany ist ja Häuptlingssohn.
Wegen seiner langen Beine ist er etwas steif. Sich drehen, abstoppen und lossprinten fällt ihm schwerer als anderen. Einmal muss er mit einem Wachstumsschub von 13 Zentimetern innerhalb eines Jahres umgehen. Dennoch ist er der Anführer, der Chef in der Umkleidekabine.

Als Jugendspieler: Kompany "wollte selbst Trainer spielen"
Nach dem Spiel war er der Erste, der sein Trikot auszog – und sofort begann, mit den Kollegen über das Spiel zu philosophieren. Manchmal musste ein Teambetreuer nachschauen, wo er abgeblieben war: Oft hatte er noch nicht mal geduscht, weil er immer noch am Erklären war. "Er kam immer als Letzter aus der Kabine", erinnert sich ein Jugendcoach, "er wollte selbst Trainer spielen. In der Halbzeit kommentiert und motiviert er seine Mannschaftskameraden. Manchmal sogar so sehr, dass ich ihn zurechtweisen musste: 'Hey Vincent, das ist mein Job!'"
Mit 14 spielt er bereits Jugend-Nationalmannschaft, mit 15 die erste schwere Knieverletzung, die ihn zur Pause zwingt. Später schafft er es vom Einwechselspieler in der U17 in weniger als anderthalb Jahren zum Startelf-Einsatz in der A-Nationalmannschaft.
"Ich flog von der Schule": Kompany mit schwieriger Jugendzeit
Dabei musste er im Alter von 12 bis 15 Jahren "eine sehr schwierige Zeit durchmachen", wie er erzählt, "ich will nicht angeben, aber ich war ein Kind, das in so ziemlich allem gut war. Ich hatte gute Noten in der Schule, war gut im Fußball und hatte eine Menge Freunde. Dennoch habe ich diese Fähigkeiten nicht genutzt. Mein Vater hatte seinen Job als Ingenieur verloren, ich flog von der Schule, musste ein Jahr wiederholen und trat von der Jugendnationalmannschaft zurück. Ich hatte Probleme mit Lehrern und Trainern, trieb mich mehr und mehr auf der Straße herum und hatte Freunde, die auch schon mal Mist bauten."
Zum Glück unterschrieb er mit 16 einen Profivertrag bei Anderlecht für 1.000 Euro im Monat und begann damit, die Schulden meiner Eltern zu tilgen. Zwei Jahre später konnte er ihnen ein Haus kaufen.
Anderlecht hilft Kompany-Familie mit Geld aus
Als sich die Eltern scheiden lassen und die Situation um die zerrüttete Familie im Verein zur Sprache kommt, hilft Anderlecht öfter mit Geld aus. Vater Pierre hält sein Wort, Vincent nicht wechseln zu lassen. Mit jedem Jahr, das sein Sohn länger bei Anderlecht bleibt, steigt die Ablösesumme für den Verein. In Belgien darf einem Spieler vor dem 16. Lebensjahr kein volles Gehalt gezahlt werden, was die Klubs jedoch auf kreative Weise umgehen.

Kompanys Karriereplan: Mit 17 will er zum A-Kader gehören, ein Jahr später Stammspieler werden. Dabei stand er schon mit zwölf Jahren auf der Liste von Vereinen wie Ajax Amsterdam, PSV Eindhoven, Lille, Le Havre, Paris Saint-Germain, Kompanys damaliger Lieblingsverein Marseille und sogar Juventus Turin.
Bayern-Boss Uli Hoeneß beobachtet Kompany 2001 bei einem Turnier
Auch ein gewisser Uli Hoeneß nahm Witterung auf, hatte Kompany bei einem Turnier in Mechelen beobachtet und um ein Treffen mit seinen Eltern gebeten. Vater Pierre erzählt: "Ein paar Tage später erhielt ich einen Anruf von Uli, auf Englisch. Er sagte, dass sie kommen würden, um sich ein Spiel von Vincent anzusehen." Daraufhin sei Anderlecht "sofort in Aktion getreten". Es war also das Interesse des FC Bayern, das Anderlecht Vater Kompany schnell "einen Vertrag unter die Nase hielt, der meinen Sohn an den Verein band. Vincent erhielt ein Auto, Reisekosten, Benzin, Hotel und Mahlzeiten".
Vater Pierre bekam vom Verein ein Auto geschenkt, einen gebrauchten Mitsubishi, den er später gegen einen Geländewagen eintauschen darf, und noch etwas später fährt Papa Kompany mit einem Mercedes vor: ein eher ungewöhnlicher Anblick im Nordviertel von Brüssel. Aber was für eine Ironie des Fußballgotts, dass die Profi-Karriere des Vincent Kompany durch Uli Hoeneß Fahrt aufnahm – und ihn viele Jahre später wieder zu eben diesem Bayern-Boss führen sollte.