Christian Winkler: "Wir sind Papa und Mama"
AZ: Der EHC München ist zum zweiten Mal nach 2009 von den AZ-Lesern zu Münchens Mannschaft des Jahres gewählt worden. Welche Momente 2011 sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben, Herr Winkler?
CHRISTIAN WINKLER: Bezeichnenderweise hat das Jahr mit einer vollen Eishalle am 2. Januar gegen Hamburg angefangen und am 30. Dezember mit einer vollen Olympiahalle mit 11000 Zuschauern gegen Augsburg aufgehört. Das war die richtige Verpackung für dieses Jahr. Wir haben fast jedes Team einmal geschlagen, auch Topteams wie Berlin und Mannheim. Ganz besonders in Erinnerung bleibt mir das Playoff-Spiel gegen Köln mit den drei Verlängerungen. Da haben wir zwar verloren, aber das sind Momente, die kann dir keiner mehr nehmen.
Der EHC galt als Aufsteiger als Außenseiter in der DEL und kam in die Pre-Playoffs – und ist damit bester DEL-Aufsteiger aller Zeiten.
Und das, obwohl uns niemand auf der Rechnung hatte! Wir haben ja viele Spieler aus der Zweiten Liga mitgenommen. Es war toll, die Jungs dabei zu beobachten, wie sie an der Aufgabe wachsen. Unsere Philosophie war, dass jene, die den Aufstieg geschafft haben, auch dafür belohnt werden sollen. Ich bin generell kein Freund von „Hire & Fire”, denn dann kann eine Mannschaft nie ein Fundament haben. Wir, Trainer Pat Cortina und ich, haben an unsere Jungs geglaubt, aber es waren viele Prophezeiungen dabei, dass wir abgeschlagen Letzter werden.
Der EHC kam in die Pre-Playoffs, stand zwischenzeitlich sogar auf Platz eins.
Das war wie im Traum! Ich hatte Angst, dass ich am nächsten Tag aufwache und alles stimmt nicht. Aber da habe ich schon mal an die lange Strecke gedacht, die wir alle gemeinsam zurückgelegt haben. Noch vor sieben Jahren stand der EHC in der Oberliga. Ich bin im zweiten Jahr dazu gekommen – und nun lebe ich meinen Traum!
Was zeichnet das aktuelle EHC-Team aus?
Unsere Spieler haben einen wahnsinnig guten Charakter.
Das sagt doch jeder Manager.
Ein EHC-Spieler muss Anstand und einen gesunden Lebenswandel haben – und er muss fähig sein, über Grenzen zu gehen. Wer das kann, hat einen guten Charakter.
Wie kriegen Sie das raus, wie sieht der Charaktertest aus?
Ich spreche mit Ex-Trainern und Ex-Mitspielern. Vor allem aber führe ich Gespräche mit dem Spieler. Ich habe da meine zwei, drei Fragen, bei denen ich erkennen kann, ob einer die Wahrheit sagt.
Ein Beispiel?
Etwa dies: „Ist München der beste Verein, für den man spielen kann?” Wenn er darauf sagt: Ja, das war schon immer mein Traum, dann lügt er mich an. Denn so ist es nicht! Als Eishockeyspieler will ich ja wohl beim Deutschen Meister spielen. Da höre ich lieber: Ich spiele gerne in München, weil der EHC ein charakterstarkes Team hat, weil der EHC einen tollen Trainer hat – und weil München als Stadt toll ist. Das sind ehrliche Antworten.
Es ist Ihr Ziel, möglichst viele Spieler aus Bayern zu holen.
In erster Linie kommt der Charakter, dann die Qualität als Spieler, aber ja: Unser Ziel muss es sein, dass alle Spieler aus Bayern bei uns in München spielen wollen. Aber wir sind ja schon sehr bayerisch – nehmen Sie Buchwieser, Maurer, Kathan, Reimer. Unsere Bayern lassen die Tradition leben, das kommt bei den Fans gut an – und das gefällt auch unseren Kanadiern gut. Die kaufen sich Lederhosen und gehen damit auf die Wiesn.
Beim EHC gibt es sogar Burschen aus Übersee, die gefühlte Münchner sind: Kompon, Dietrich, Reid...
Weil wir beim EHC leben, was wir versprechen! Unser Verein ist tatsächlich eine große Familie. Pat und ich sind Mama und Papa – und die Spieler sind unsere Kinder.
Wer ist Mama, wer Papa?
Da wechseln wir uns ab.
Was macht Papa Winkler dann mit den Kids?
Ich versuche immer für die Spieler da zu sein. Auch wenn mal was neben dem Eis passiert, können sie jederzeit zu mir kommen. Und ich habe auch das Gefühl, dass die Jungs davon Gebrauch machen. Es ist mir wichtig zu wissen, was neben dem Eis läuft. Es wäre schlimm, etwas zu hören, was ich nicht wusste.
Und wie hat man sich Dolomitenvulkan Cortina als Mama vorzustellen?
Pat ist einer der wundervollsten Menschen überhaupt. Man kennt ihn nur als harten Hund, aber er hat eine unglaublich weiche Seite. Er kann nicht schlafen, wenn er glaubt, jemandem Unrecht getan zu haben. Er tobt zehn Prozent seiner Zeit, die anderen 90 Prozent ist er feinfühlig. Und das mit der Familie ist nicht nur im übertragenen Sinne so: Wir sind das DEL-Team mit den meisten Kindern. Bei uns tragen die Kleinen nach den Spielen im Kabinengang Bobbycar-Rennen aus. Da geht mir das Herz auf.
Wie sehen Sie den Kampf um die Fangunst: Ist das Basketball-Projekt des FC Bayern eine Gefahr für den EHC?
Das sehe ich nicht so. In einer Sportstadt wie München mit 1,3 Millionen Einwohnern, gibt es doch 5000 bis 6000 Fans fürs Eishockey und 5000 bis 6000 Fans fürs Basketball.
Am Ende könnten die Basketballer nützlich sein. Schließlich wollen beide Vereine bald in einer neuen Halle spielen.
Ich liebe unsere Eishalle, von der Atmosphäre her ist sie einzigartig. Aber du musst auch etwas bieten: Business-Logen, Bequemlichkeit, Komfort. Um neue Einnahmequellen zu generieren, brauchen wir mittelfristig eine neue Halle. Denn noch sind wir ein Underdog, ein Low-Budget-Team. Wir spielen immer am Limit, was auf Dauer nicht gut gehen kann.