DFB-Team in der Schweiz - Löw eröffnet Polen-Poker

Ascona (dpa) - Sonne, Ruhe, Seeblick - Ascona hatte für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft den Roten Teppich ausgerollt. Doch die EM-«Gipfelstürmer» von Joachim Löw hielten sich nach der Ankunft im hochsommerlichen und malerischen Tessin nicht lange mit Begrüßungszeremonien auf.
Wenige Stunden nach der Ankunft standen die DFB-Auswahl schon auf dem Trainingsgrün. Die Zeit drängt - am 8. Juni muss der Bundestrainer in Klagenfurt gegen Polen ein top-fittes Team im ersten Spiel bei der Europameisterschaft auf den Rasen schicken. «Wir müssen jeden Tag konzentriert und fokussiert arbeiten», betonte der Bundestrainer, der den Countdown am Abend mit einer kurzen Ansprache an die 23 Akteure auf dem Übungsgelände in Tenero eröffnete. Sieben weitere Trainingseinheiten sollen den «Feinschliff» bringen für das geplante neue Fußball-Sommermärchen, das am 29. Juni in Wien mit dem Titelgewinn enden soll.
Alle 20 Feldspieler und die drei Torleute standen unter immer noch praller Sonne auf dem feinen Rasen-Teppich in Tenero. Dabei präsentierte sich Torhüter Jens Lehmann erstmals als künftiger Stuttgarter. Der 38-Jährige hängt nach der EM wie erwartet noch ein Jahr als Profi beim VfB an. Nach einem intensiven Vertrags-Poker einigten sich die Schwaben mit der deutschen Nummer 1 auf einen Einjahresvertrag. Ablöse an Arsenal London fällt nicht an, da Lehmanns Vertrag dort ausläuft. «Ich freue mich auf den VfB und die Bundesliga», verlautete von Lehmann, der noch am Abend zuvor mit VFB-Manager Horst Heldt abschließend verhandelt hatte und schon für Schalke und Borussia Dortmund in der Bundesliga gespielt hat. Auch Löw dürfte froh über das Ende der Hängepartie sein, denn nun kann sich sein Stammkeeper ganz auf die EM-Aufgaben konzentrieren.
Nach einem knapp einstündigen Flug von Frankfurt nach Lugano war der Mannschaftsflieger trotz eines Streiks in Frankfurt/Main bei der «Lufthansa Cityline» überpünktlich um 12.12 Uhr in Lugano gelandet. Auf dem Rollfeld wurden Kapitän Michael Ballack & Co. von Kindern, die schwarze, rote und goldene Shirts trugen, auf einem roten Teppich empfangen. Die von Präsident Theo Zwanziger angeführte Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hielt sich allerdings nicht lange bei der offiziellen Begrüßung durch Vertreter von Stadt und Kanton auf, sondern bestieg rasch den EM-Mannschaftsbus mit der Aufschrift «Deutschland - ein Team - ein Ziel» und fuhr weiter ins rund 45 Minuten entfernte Quartier am Lago Maggiore.
Auch dort war ein roter Empfangs-Läufer vor dem exklusiven Fünf-Sterne-Hotel «Giardino» ausgelegt worden. Rund 50 Urlauber und eine Schar von Medienvertretern sorgten für eine eher beschauliche Ankunft in dem ruhigen Urlaubsort. Die Chance zur Kontaktaufnahme oder auf ein paar Autogramme gab es praktisch nicht. Ein einheimischer Polizist kommentierte die Absperr-Maßnahmen süffisant: «Das ist abgeschirmt, noch schlimmer als eine Festung.»
Als Empfangschef fungierte der aus dem Tessin stammende Oliver Neuville, der nicht mit dem Team angereist war, sondern schon den zweitägigen Kurzurlaub nach dem 2:1-Sieg gegen Serbien in seiner Heimat im Kreise der Familie verbracht hatte. Wie bestellt strahlte auch die Sonne über dem Lago Maggiore, über dem am Vortag noch ein Unwetter getobt hatte. Neuville, der einst als 18-Jähriger schon einmal im Trainingscamp in Tenero gewesen war, will aber nicht den Fremdenführer geben: «Wir sind hier, um eine EM zu spielen und nicht, um Urlaub zu machen.»
Nach der kurzen Regeneration über das Wochenende, an dem aber einige Akteure wie der zuletzt erkrankte Tim Borowski Konditions-Nacharbeit leisten mussten, will Löw die Belastung bei allen 23 Akteuren wieder hochfahren. «Nach den zwei Tagen Pause müssten alle gut erholt und auf einem guten Level sein», äußerte der Chefcoach, der den Fokus nun ganz auf das erste Gruppenspiel gegen Polen richten will. Dabei wird auch Chef-Scout Urs Siegenthaler wie schon bei der WM 2006 eine zunehmend wichtige Rolle zukommen.
«Am Mittwoch und Donnerstag werden wir uns bei Siegenthaler die letzten Informationen über Polen besorgen. Danach wird das Wichtigste der Mannschaft nahegebracht. Schon zuvor werden wir einzelnen Spielern immer wieder einzelne Informationen geben», gab Löw einen Einblick in die Planungen. «Ich hoffe, dass wir das Tor dieses Mal früher machen», sagte Neuville in Anspielung auf seinen späten 1:0-Siegtreffer gegen das Team Polska bei der WM 2006.
Eine zentrale Frage ist, welchen Platz Lukas Podolski, der an diesem Mittwoch 23 Jahre alt wird, in der Startelf erhält: Den neben Miroslav Klose im Angriff, oder doch den im linken Mittelfeld. Löw pokert bei seinem taktischen Konzept und seiner personellen Besetzung der höchstens noch zwei offenen Positionen in der EM-Startelf: «Wir legen die Karten nicht so einfach auf den Tisch. Wir werden noch die eine oder andere Möglichkeit einspielen», kündigte der 48-Jährige an. Routinier Neuville, der mit seiner Joker-Rolle im DFB-Team gut leben kann, glaubt bereits: «Der Trainer weiß schon, wer spielt.»
Die Übungsstunden bis zur Stunde der Wahrheit im Wörthersee-Stadion von Klagenfurt werden wohl fast alle im Geheimen durchgeführt. Auch bei der ersten Einheit durften die mehr als 100 Journalisten nur zu Beginn das Aufwärmen beobachten. Die Trainingsplätze im Jugend-Sportzentrum sind extra mit 2,50 Meter hohen Sichtblenden gegen Spione geschützt worden. In Tenero wehen schwarz-rot-goldene Fahnen, großformatige Poster von Löw und den deutschen Kickern schmücken das DFB-Medienzentrum. Und am Ortseingang von Ascona grüßt sogar eine schwarz-rot-golden angemalte Plastik-Kuh.