Beckenbauers Asche wird entsorgt

Beim SC 1906 München lernte Franz Beckenbauer einst das Fußballspielen. Nun steht der Verein vor dem Aus. „Der Franz schert sich kein bisschen um uns“, klagt man. Und jetzt steht auch noch die Fusion mit dem dem einst verhassten FC Haidhausen an.
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„Da drüben, da hat der Beckenbauer gwohnt. Im zwoatn Stock“: 1906-Urgestein Hans Schuller (82) ist traurig, dass die große Zeit des Obergiesinger Kreisklassisten SC 1906 München vorbei ist.
unitpicture „Da drüben, da hat der Beckenbauer gwohnt. Im zwoatn Stock“: 1906-Urgestein Hans Schuller (82) ist traurig, dass die große Zeit des Obergiesinger Kreisklassisten SC 1906 München vorbei ist.

Beim SC 1906 München lernte Franz Beckenbauer einst das Fußballspielen. Nun steht der Verein vor dem Aus. „Der Franz schert sich kein bisschen um uns“, klagt man. Und jetzt steht auch noch die Fusion mit dem dem einst verhassten FC Haidhausen an.

Von Oliver Griss

Hans Schuller (82) hat alles erlebt, was der Verein zu bieten hat. Doch wenn der rüstige Rentner, der langsam mit der AZ über den verschlammten Ascheplatz schreitet, an Franz Beckenbauer, das Jahrhundert-Talent des SC 1906 München, denkt, dann wird er richtig nostalgisch und auch ein wenig wehmütig: „Schaun’s“, sagt Schuller und deutet auf das frisch renovierte weiße Haus unweit des Platzes: „Da drüben, da hat der Beckenbauer gwohnt. Im zwoatn Stock.“

Nur ein paar Meter musste der kleine Franz von der Wohnung in der Zugspitzstraße rüber zum Sportplatz laufen, auf den legendären Ascheplatz, die „Kampfbahn Rote Erde“. Dort spielte Deutschlands bekanntester Fußballer seine ersten Doppelpässe. „Als Achtjähriger ist er bei uns aufgetaucht“, erinnert sich Schuller, „mit zehn hat er dann in der Schüler gespuit“, bevor er zum FC Bayern wechselte und seine Weltkarriere startete.

Der berühmt-berüchtigte Untergrund mit den gesundheitsgefährdeten roten Körnern war lange Zeit gefürchtet dort oben in Giesing: Der SC 1906 stieg in die höchste Amateurliga auf, testete gegen die deutsche Nationalmannschaft von Sepp Herberger und verlor nur denkbar knapp, 1:2. Geschichte. Der Platz hat ausgespielt – nach 51 Jahren. Beckenbauers Asche wird entsorgt.

Seit einigen Wochen stehen auf dem Gelände des SC 1906 an der St.-Martin-Straße die Bagger. Für 1,2 Millionen Euro wird die Anlage komplett renoviert: Die Fußballer, die ihre Heimspiele derzeit auf der Anlage von Siemens-Ost austragen, bekommen einen hochmodernen Kunstrasenplatz, außerdem neue Umkleidekabinen – und sogar ein eigener Schiedsrichter-Bereich ist geplant. „Das ist ein Segen für uns. Der Schiedsrichter hatte sich bei uns bislang immer im Ballraum umziehen müssen. Das ist jetzt vorbei“, meint Andreas Stolze, der seit 1978 dem Verein dient: Erst als Spieler, nun als Abteilungsleiter und Platzordner.

Auf das berühmteste Kind des Klubs, Ehrenmitglied Franz Beckenbauer, ist der 36-Jährige allerdings alles andere als gut zu sprechen. „Seit der Franz zum FC Bayern gewechselt ist“, sagt Stolze verärgert, „schert sich der kein bisschen mehr um seinen Heimatverein. Dabei sollte man nie vergessen, wo man herkommt.“

Nur einmal, vor etwa 15 Jahren, soll Beckenbauer einen Satz Trikots geschickt haben. Für die Kleinsten. Und als der Verein im WM-Jahr 2006 sein hundertjähriges Bestehen feierte, versuchte die Vorstandschaft wieder, zum FC Bayern Kontakt aufzunehmen. „Wir hätten gerne mit Beckenbauers Hilfe gegen die Bayern gespielt“, sagt Stolze, „beim FT Gern hat das dank Philipp Lahm letztes Jahr ja auch wunderbar funktioniert. Aber wir haben von den Bayern nichts mehr gehört, nachdem wir ihnen einen Brief geschrieben haben. Das ist schon enttäuschend. So kleine Vereine können solche Freundschaftsspiele ja gut gebrauchen, um die Kasse aufzubessern.“

Zum 100-Jährigen hat der Münchner Traditionsklub vor zwei Jahren gegen die A-Jugend des TSV 1860 gespielt – und 1:7 verloren. Überhaupt läuft es sportlich nicht rund, nur noch die vielen Schwarzweiß-Bilder der Helden von einst auf der Vereinshomepage erinnern an eine glorreiche Zeit. Immerhin gewann 1906 am Sonntag endlich mal wieder in der Kreisklasse 4 – gegen Academy Afrika mit 1:0. Die Abstiegsangst geht weiter um. Nur drei Punkte beträgt derzeit der Vorsprung auf den TSV Milbertshofen 2, den Tabellenzwölften.

Dabei sind Existenzängste eigentlich unbegründet, denn wie die AZ erfuhr, schließt sich Beckenbauers Ex in der neuen Saison mit dem FC Haidhausen, Fünfter der Kreisklasse 5, zusammen. Früher haben sich die beiden Klubs gehasst, jetzt fusionieren sie. Der SC 1906 gibt auf. Der Tod einer Münchner Fußball-Tradition. Des Kaisers erster Verein stirbt. Gerüchten zu Folge soll die Mannschaft in „1906 Haidhausen“ umgetauft werden. Es gibt Proteste. Nicht nur im Internet.

Die Giesinger Helden trauern. „1906 ist halt nicht mehr das, was es einmal war“, sagt Schuller, der seit 62 Jahren Vereinsmitglied ist, über 1000 Spiele für die Mannschaft bestritten hat und früher als gefürchteter Freistoßschütze galt. Doch Abteilungsleiter Stolze versucht die Mitglieder, die seit Tagen im Gästebuch ihren Unmut kund tun, zu beruhigen: „Was anderes als eine Fusion geht leider nicht mehr. Wir können unseren Spielern nur 20 Euro pro Sieg bieten. Wir würden gerne mehr bezahlen, damit wir auch mal gute Spieler bekommen.“ Vielleicht schaut dann der Kaiser auch mal wieder vorbei, droben am Ostfriedhof.

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