Ausgebrannt

Jan Ullrich (36), gefallener Rad-Held, verliert einen Doping-Prozess und meldet sich krank. Er begibt sich „für längere Zeit“ in Behandlung – wie andere Stars vor ihm. Ein Experte erklärt das Krankheitsbild.
von  Abendzeitung
Jan Ullrich (36) leidet am Burnout-Syndrom.
Jan Ullrich (36) leidet am Burnout-Syndrom. © dpa

Jan Ullrich (36), gefallener Rad-Held, verliert einen Doping-Prozess und meldet sich krank. Er begibt sich „für längere Zeit“ in Behandlung – wie andere Stars vor ihm. Ein Experte erklärt das Krankheitsbild.

HAMBURG Schon lange hatte sich Jan Ullrich zurückgezogen. In die Schweiz. Abgewandt vom Publikum in Deutschland, das ihn einst hochgejubelt, dann aber nach immer neuen Dopingvorwürfen fallen gelassen hatte. Das hat der sensible Ex-Rad-Star nie verwunden.

Immer wieder betonte er, dass er „niemanden betrogen“ habe. In einem Sport, in dem Doping, also Sportbetrug, gang und gäbe ist, keine besonders harte Aussage. Betrügt man eigentlich, wenn alle anderen auch betrügen?

Der Heldenstatus, den er 1997 innehatte, als er als erster Deutscher die Tour de France gewonnen hatte, war längst dahin. Wie sehr Ullrich darunter offenbar gelitten hat, offenbart sich jetzt: Der 36-Jährige leidet an einem Burnout-Syndrom. Er teilte mit, er werde sich „die nächsten Monate aus der Öffentlichkeit“ verabschieden und für „längere Zeit“ in professionelle Behandlung begeben.

Diese Auszeit nimmt er sich ausgerechnet am Tag, bevor er vor dem Hamburger Landgericht die wohl schwerste Niederlage nach seiner Karriere einstecken muss. Ullrich hat Dopingjäger Werner Franke verklagt, weil der behauptet hatte, der Radstar habe an den berüchtigten Dopingarzt Eufemiano Fuentes 35000 Euro an Zahlungen geleistet. Das Gericht entschied, dass „diese Behauptung hinsichtlich ihrem tatsächlichen Gehalts als wahr anzusehen“ sei. Ullrich, der Verlierer.

Nun also Burnout. Der Star von einst ist ausgebrannt – auch wenn er scheinbar seit Jahren das Leben eines gut situierten Sport-Rentners führt.

„Es ist tatsächlich ungewöhnlich, dass jemand unter Burnout leidet, der sich eigentlich zurückgezogen hat“, erklärt Michael Soyka, Professor für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in München. „Burnout ist eine stressbezogene Erkrankung. Aber der Dauerstress, der durch die Gerichtsprozesse, die immer neuen Anschuldigungen entstanden ist, war sicher mitauslösend.“

Soyka betreibt in Meiringen (Schweiz) eine Privatklinik mit einer eigenen Abteilung für Burn-out-Patienten. Er sagt: „Es erwischt sehr oft die besonders Engagierten: Ärzte, Manager, aber eben auch Leistungssportler sind oft betroffen. Auch sehr sensible, emotionale Menschen erwischt es häufiger. Die Symptome sind Freudlosigkeit, Schlaffheit – man flüchtet sich in eine Art Zynismus.“

Ullrich ist nur einer unter vielen prominenten Sportlern, bei dem ein Burnout-Syndrom diagnostiziert wurde. Skisprung-Legende Sven Hannawald – der einzige, der jemals (2002) alle vier Events der Vierschanzenturniere gewinnen konnte – zog sich 2004 vom Sport zurück. Mit Burnout. „Ich hatte keinerlei Antrieb mehr“, sagt Hannawald heute.

Auch Star-Torwart Oliver Kahn gestand ein, 1999 wegen Burnout in Behandlung gewesen zu sein: „Wer im Burnout steckt, sollte ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.“ Auch bei Ex-Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld wurde 2004 ein Burnout festgestellt. Max Fedra, Eishockey-Manager des DEL-Vizemeisters Augsburg Panther, nimmt gerade eine Auszeit.

Experte Soyka: „Beim Burnout setzt man auf einen multimodalen Ansatz zur Heilung. Man muss Entspannungstechniken lernen, es gibt Gesprächstherapien, in einigen Fällen werden spezielle Antidepressiva eingesetzt. Der Betroffene muss lernen zu akzeptieren, dass er nicht unersetzlich ist. Er muss sich und seinen Wert anders definieren. Er braucht Raum für sich.“ Den nimmt sich Ullrich jetzt.

Matthias Kerber

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