Aufwind auf Gras
Warum sich die deutschen Tennis-Asse ausgerechnet bei der Wimbledon-Generalprobe in Halle besonders wohl fühlen – und Davis-Cup-Kapitän Patrik Kühnen begeistern.
HALLE Wenn er den Koffer packt für die Gerry Weber Open, dann ist Patrik Kühnen immer gut gelaunt. Er freut sich auf die Tage im deutschen Tennis-Wimbledon, er freut sich auf die gute Stimmung, auf das spektakuläre Rahmenprogramm, ganz einfach auf „Tage, an denen Tennis in Deutschland sich auf hohem Niveau präsentiert.“ Kühnen weiß, wovon er spricht - schließlich ist er selbst bei den BMW Open in München Turnierchef.
Natürlich schaut Kühnen immer und überall hin, wenn er bei einem Turnier zu Gast ist. Welche Traditionen werden wie bewahrt? Welche Neuerungen gibt es, welche sind sinnvoll, welche machbar? Aber im Grunde seines Herzens ist er doch zuerst einmal der Trainer, der die Leistungen seiner Schützlinge beobachtet. Und der dann Konsequenzen für seine Arbeit zieht. Die Gerry Weber Open sind da jedes Mal wie ein Stimmungsschub für Kühnen, emotionaler Aufwind. Denn wenn es bei einem deutschen Turnier in den letzten Jahren gute deutsche Leistungen zu bestaunen gab, dann beim Rasentreff im Grünen mit seiner offenbar inspirierenden Atmosphäre. „Halle“, sagt Kühnen, „bietet den Spielern die richtige Plattform, um Höchstleistungen abzurufen.“
Und sowohl das letzte wie auch das laufende Turnierjahr lieferten dafür eindrucksvolle Nachweise, mit neuen Deutschen Wellen der ganz besonderen Art, die Fans buchstäblich mitriss. Gleich acht deutsche Achtelfinalisten grüßten nach der ersten Turnierrunde stolz und animierten Kühnen akut zu der Bemerkung: „Die Luft für unsere Profis muss hier ganz besonders gut sein.“ Hinzu komme, so Kühnen, dass sich die deutschen Spieler inzwischen auf den schnellen Böden „extrem wohl“ fühlen, „zum Glück, denn ein Großteil der Saison wird ja inzwischen auf diesen Belägen bestritten, also auch auf Hartplatz und über einen Monat auf Gras.“
Im letzten Jahr glaubte Kühnen an bemerkenswerte Auftritte seiner jüngeren Schützlinge wie Andreas Beck, Mischa Zwerev oder auch Daniel Brands. Aber dann kam, sah und siegte auf einmal der tüchtige Routinier Tommy Haas, der sich nicht einmal mehr im Finale vom Weltranglisten-Vierten und Favoriten Novak Djokovic stoppen ließ. „Ein wunderbares Ende für das Turnier, ein toller, unvergesslicher Augenblick für Tommy“, sagt Kühnen, „zu schade, dass er seinen Titel wegen seiner Hüft-Operation nicht verteidigen kann.“
Doch die Stellvertreter von Haas machten auch 2010 mobil, boten Spitzenleistungen. Und so wurde denn auch der turnierinterne Rekord von fünf deutschen Viertelfinalisten eingestellt, mit Andreas Beck, Benjamin Becker, Mischa Zwerev, Philipp Kohlschreiber und Philip Petzschner. „Den meisten liegt dieses schnelle, intuitive Spiel gut“, sagt Kühnen, der sich freute, „dass sich hier auch immer andere Gesichter ins Rampenlicht spielen.“
Natürlich weiß Kühnen, dass sich auch jeder Deutsche hinten anstellen muss, wenn Roger Federer in Bestform ans Handwerk geht. Der Schweizer, der auf der Höhe seiner Kunst in einer eigenen Tennisliga unterwegs ist, ist für Kühnen auch in Wimbledon der Favorit Nummer eins sein: „Wer Titel auf Rasen will, muss ihn schlagen. Es gibt nur wenige Kandidaten, denen ich dieses Kunststück derzeit zutraue.“
Jörg Allmeroth