Interview

"Moppelbakterien" im Darm können heimlich dick machen: Was dagegen hilft

Die Darmflora beeinflusst unseren Körper stärker, als viele denken. Und: Sie kann uns schleichend dick machen. Woran das liegt, was Abnehmwillige wissen sollten und was die Expertin Michaela Axt-Gadermann von der Hochschule Coburg über die Abnehmspritze denkt.
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Eine Frau mit Bauchschmerzen. Anzeichen für Probleme mit dem Mikrobiom können etwa Verstopfung, Blähungen oder Durchfall sein.  imago
Eine Frau mit Bauchschmerzen. Anzeichen für Probleme mit dem Mikrobiom können etwa Verstopfung, Blähungen oder Durchfall sein. imago

Michaela Axt-Gadermann ist Ernährungs- und Sportmedizinerin, Dermatologin sowie Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Sie hat schon mehrere Bücher veröffentlicht, darunter "Der Neue Fasten Code" und aktuell "Was ist los mit meinem Darm?"

AZ: Frau Axt-Gadermann, der Sommer in Bayern steht bevor und das bedeutet kulinarisch häufig: Wurstsalat und Brezn im Biergarten, Pommes im Freibad und Gegrilltes auf der Terrasse: Wie gut oder schlecht ist all das für unsere Darmflora?
MICHAELA AXT-GADERMANN: Unser Mikrobiom liebt Ballaststoffe. Natürlich sind die klassischen Sommer-Grillgerichte in der Regel nicht so ballaststoffreich. Es ist aber nicht schlimm, wenn man das an einem lauen Sommerabend mal genießt. Unser Mikrobiom liebt nämlich auch Abwechslung. Das heißt: Es ist nichts verboten, aber der Hauptteil der Ernährung sollte pflanzenbetont und ballaststoffreich sein. Wenn ich morgens Haferflocken mit Nüssen und Samen esse, mittags Gemüse und Getreide, dann kann ich mir abends gelegentlich mal Pommes oder eine Bratwurst gönnen. Es sollte aber nicht jeden Tag sein und man sollte trotzdem die richtige Menge an Ballaststoffen pro Tag beachten: mindestens 30 Gramm.

Michaela Axt-Gadermann.
Michaela Axt-Gadermann. © privat

Das klingt nicht nach allzu viel.
Es bedeutet nicht 30 Gramm Gemüse. Je nachdem können in 100 Gramm Gemüse nur fünf Gramm Ballaststoffe stecken. Sehr ballaststoffreich sind Getreide, Chia-, Lein- und Flohsamen, Beeren und natürlich auch Gemüse und Obst.

"Auf diese Weise können sie jede Körperzelle erreichen"

Können Sie kurz zusammenfassen, was man unter Mikrobiom versteht?
Es bezeichnet die Gesamtheit der Mikroorganismen in unserem Körper. Bakterien sind dabei der am besten erforschte Anteil. Es gehören aber auch Viren, Pilze und Einzeller dazu. Die Bakterien verarbeiten das, was wir essen. Wenn wir viele Ballaststoffe, pflanzliche Öle sowie Obst und Gemüse zu uns nehmen, produziert unser Mikrobiom sehr viel nützliche Stoffwechselprodukte. Diese wirken im Darm, können aber durch die Darmwand auch ins Blut diffundieren. Auf diese Weise können sie jede Körperzelle erreichen. Deswegen hat das Mikrobiom Einfluss auf den gesamten Organismus - auf den Stoffwechsel, Immun- und Hormonsystem, unser Gehirn, die Psyche. Welche Botenstoffe das Mikrobiom allerdings produziert, hängt davon ab, was wir ihm als Baumaterial zur Verfügung stellen.

Das heißt?
Wenn das Baumaterial ausschließlich Bratwurst und Pommes ist, können die Bakterien nicht viel Gutes daraus herstellen. Wenn wir dagegen abwechslungsreich essen, fördern wir damit ein artenreiches Mikrobiom – und Artenvielfalt ist etwas sehr Gesundes.

Wer nur Pommes und Bratwurst isst, bietet seiner Darmflora zu wenig Abwechslung.
Wer nur Pommes und Bratwurst isst, bietet seiner Darmflora zu wenig Abwechslung. © Fernando Gutierrez-Juarez/dpa/dpa-tmn

Symptome – wann man hellhörig werden sollte

Wie merkt man, dass das Mikrobiom nicht gesund ist?
Es kann sehr unterschiedliche Beschwerden auslösen. Man sollte immer dann hellhörig werden, wenn man Verdauungsbeschwerden hat – Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen, Reizdarmsyndrom – und gleichzeitig ein chronisches Problem: etwa Übergewicht, Diabetes, Allergien, eine Autoimmunerkrankung. Auch Depressionen hängen ganz eng mit dem Mikrobiom zusammen.

Das würde man nicht sofort damit in Verbindung bringen. Können Sie den Zusammenhang erklären?
Es gibt eine sogenannte Darm-Hirn-Achse, über diese Verbindung beeinflusst unser Darm unsere Stimmung, unsere Verfassung oder wie wir mit Stress umgehen können. Und auch das Risiko von Depressionen hängt damit zusammen.

Bis zu 200 Kalorien pro Tag mehr durch "Moppelbakterien"

Das sind Auswirkungen, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Eine andere dagegen schon: Das Mikrobiom kann auch dick machen. Wie?
Forschungen haben ergeben, dass Normalgewichtige und Übergewichtige ein anderes Mikrobiom aufwiesen. "Moppelbakterien" ziehen im Schnitt zehn bis 15 Prozent mehr Kalorien aus dem Essen. Das sind pro Tag 150 bis 200 Kalorien mehr. Im Laufe des Jahres summieren sie sich auf sieben, acht Kilo zusätzliches Gewicht.

Fettleibigkeit spielt verstärkt schon bei Kindern und Jugendlichen eine Rolle. (Archivbild)
Fettleibigkeit spielt verstärkt schon bei Kindern und Jugendlichen eine Rolle. (Archivbild) © Lino Mirgeler/dpa

Wo kommen diese Moppelbakterien her?
Eine ballaststoffarme Ernährung führt zu dieser Veränderung des Mikrobioms. Man weiß aber auch, dass Antibiotika dies bewirken können. Wichtig ist dann, dass man ein ausreichend hoch dosiertes Präparat zum Wiederaufbau einnimmt, das viele unterschiedliche Bakterienstämme enthält. Man sollte es mindestens vier, besser acht Wochen nach der Antibiotika-Einnahme zu sich nehmen.

Nahrungsergänzung: Diese Bakterien können gegensteuern

Würde man so auch vorgehen, wenn man den Verdacht hat, das Übergewicht hängt mit dem Mikrobiom zusammen?
Man könnte mit einer Mikrobiom-Analyse schauen, wo das Problem konkret liegt. Es kann zum Beispiel sein, dass das Verhältnis zwischen den Bakterienstämmen verschoben ist oder die Artenvielfalt fehlt. Dann kann man relativ gezielt bestimmte Ballaststoffe oder Bakterien als Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Man kann zunächst aber auch versuchen, ob schon ein Präparat mit einer guten Mischung an probiotischen Bakterien hilft.

Ohne Abstimmung mit einem Arzt?
Das schadet nichts! Wer abnehmen will, sollte aber wissen: Studien zeigen, dass das Bakterium mit dem Namen Laktobacillus acidophilus eine Gewichtszunahme fördern kann, wenn man es längerfristig und hochdosiert zu sich nimmt. Ebenso sollte man auf Laktobacillus reuteri verzichten oder nur in Kombination mit anderen nützlichen Bakterien einnehmen. Das sind prinzipiell gute Bakterien, die etwa bei Reizdarm helfen. Wenn man Gewicht verlieren möchte, sollte man aber auf andere Bakterien zurückgreifen.

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Auf welche zum Beispiel?
Lactobacillus plantarum, Lactobacillus gasseri, Lactobacillus rhamnosus und bestimmte Bifidobakterien. Hier haben unsere Studien gezeigt: Nach vier Wochen hatte sich das Mikrobiom schon verändert, aber noch nicht das Gewicht. Erst im dritten Monat haben die Probanden angefangen abzunehmen.

Abnehmspritze: "Sie wirkt über das Gehirn"

Man muss also durchhalten.
Ja, das ist nichts, was man in zwei Wochen spürt.

Kann man die Darmflora auch einfach mit einer besseren Ernährung wieder ins Gleichgewicht bringen?
Die Grundlage eines gesunden Mikrobioms ist eine ballaststoffreiche, ausgewogene Ernährung wie klassisch mediterran mit Gemüse, Getreide, Fisch, Ölen – also nicht Pizza und Pasta. Oder auch eine vegetarische Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Samen, Nüssen, Mandeln. Natürlich dürfen auch Fisch und hin und wieder Fleisch auf dem Speiseplan stehen. Wenn ich mich dagegen miserabel ernähre, helfen die probiotischen Bakterien und Ballaststoffe auch nur am Rande.

Nun gibt es seit geraumer Zeit die Abnehmspritze. Wirkt sich diese in irgendeiner Form auf die Darmflora aus?
Die Abnehmspritze wirkt grundsätzlich über das Gehirn, also über die Produktion von bestimmten Sättigungshormonen. Die Patienten haben weniger Appetit. Das Problem bei der Abnehmspritze ist, dass sie langfristige Nebenwirkungen haben könnte. Diese zeichnen sich jetzt erst langsam ab. Denn für die Indikation Abnehmen ist sie noch nicht lange genug auf dem Markt, als dass man schon auf langjährige Erfahrungswerte zurückgreifen könnte.

Eine Abnehmspritze.
Eine Abnehmspritze. © Roberto Pfeil/dpa

"Nur bei sehr starkem Übergewicht"

Würden Sie empfehlen, dass man es mit der Abnehmspritze bei starkem Übergewicht versucht, oder sollte man erstmal am Mikrobiom arbeiten?
Die Abnehmspritze würde ich nur bei sehr starkem Übergewicht empfehlen. Wenn man in diesem Fall mit der Abnehmspritze den Einstieg schafft und gleichzeitig versucht, sich gesünder zu ernähren, dann ist das durchaus eine Möglichkeit, die man in Betracht ziehen könnte. Das Problem: Die meisten haben wieder den gleichen Heißhunger wie zuvor, sobald sie die Abnehmspritze absetzen. Im Prinzip müsste man sie wahrscheinlich ein Leben lang nehmen, um das Gewicht halten zu können. Ganz wichtig ist daher meiner Meinung nach, dass man sich ein anderes Ernährungsverhalten angewöhnt.

Was kann man neben der Ernährung noch für ein gesundes Mikrobiom tun?
In Bezug auf die Ernährung ist mir noch wichtig zu sagen: keine Süßstoffe! Denn durch sie können sich Bakterien entwickeln, die viel Kohlenhydrat-Kalorien aus dem Essen ziehen. Süßstoffe sind also überhaupt keine Alternativen. Jeder, der abnehmen möchte, sollte darauf verzichten.

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Gut fürs Mikrobiom: Bewegung und nicht zu viel Hygiene

Was tut dem Mikrobiom sonst noch gut?
Mehr Bewegung ist sowohl fürs Mikrobiom als auch fürs Gewicht gut. Und nicht zu viel Hygiene, also nicht ständig die Hände desinfizieren. Das brauchen wir jetzt nicht mehr, die Pandemie ist vorbei. Ebenso keine Desinfektionsmittel im Haushalt verwenden.

Regelmäßiger Sport kann das Immunsystem nachhaltig stärken. Aber auch schon ein Spaziergang an der frischen Luft tut dem Körper gut.
Regelmäßiger Sport kann das Immunsystem nachhaltig stärken. Aber auch schon ein Spaziergang an der frischen Luft tut dem Körper gut. © imago

Warum?
Die Bakterien im normalen Haushalt sind nicht gesundheitsschädlich. Wir sollten auch soziale Kontakte pflegen, weil wir dadurch Bakterien austauschen und unser Mikrobiom bereichern. Wir sollten zudem häufiger im Wald spazieren gehen oder in der Gartenerde buddeln. Es gibt Studien, die zeigen, dass dadurch unser Mikrobiom gesünder und vielfältiger wird.

"Die meisten Bakterien stimulieren unser Immunsystem"

Wobei es sich hier um "gute" Bakterien handelt.
Wir haben in der Vergangenheit eher auf die krankmachenden Bakterien geschaut. Aber die meisten Bakterien sind entweder unbedeutend für uns, also haben keine Effekte, oder sind eindeutig positiv. Die meisten Bakterien stimulieren unser Immunsystem.

Buch-Cover "Was ist los in meinem Darm?"
Buch-Cover "Was ist los in meinem Darm?" © Südwest Verlag

Sie haben angesprochen, wie vielfältig sich die ganzen Mikroorganismen in unserem Körper auf uns auswirken. Erwarten Sie hier in Zukunft noch weitreichende Studien und Lösungsansätze für Erkrankungen?
Da bin ich mir sicher. Schon in den letzten 20 Jahren ist enorm viel geforscht worden, vor allem zum Darm-Mikrobiom. Ich forsche inzwischen auch im Bereich Hautmikrobiom. Das Mikrobiom hilft in viele unterschiedliche Richtungen. In Zukunft wird man noch spezifischer sagen können, welche Bakterienstämme bei welchem Krankheitsbild wirken.


Michaela Axt-Gadermann, Barbara Klein: "Was ist los mit meinem Darm? Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Superorgan"; Südwest Verlag; 20 Euro.

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