Rückenschmerzen: Wege aus einer Volkskrankheit

Die Rückenschule ist ein Vorbeugungsprogramm, das den Rücken gesund halten soll. Es hat nichts mit Schulbank drücken zu tun, im Gegenteil: Es geht um einen bewegteren Lebensstil und so ein Kurs darf auch Spaß machen
Ralf Schlenger |
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Rückenschmerzen können viele Ursachen haben und gelten als Volkskrankheit
Rückenschmerzen können viele Ursachen haben und gelten als Volkskrankheit © Christin Klose/dpa

Auf kaum ein anderes Leiden trifft der Begriff „Volkskrankheit" so zu wie auf Rückenschmerzen. Satte 85 Prozent der deutschen Bevölkerung haben es im Laufe ihres Lebens mit „dem Rücken". Etwa vier von zehn Frauen und drei von zehn Männern berichten von Kreuzschmerzen innerhalb der vergangenen Woche. Keine andere Beschwerde sorgt für so viele Arbeitsausfälle: Rund ein Viertel aller betrieblichen Fehltage geht auf das Konto des Rückens.

Rückenschmerz und seine Ursachen

Der akute Kreuzschmerz (Lumbalgie) sitzt im „verlängerten Rücken" unterhalb des Rippenbogens, oberhalb der Geäßfalte. Meist handelt es sich dabei um sogenannte unspezifische oder „funktionelle" Schmerzen. Beim unspezifischen Kreuzschmerz lässt sich keine körperliche Schädigung als Ursache finden, oft noch nicht einmal ein konkreter Auslöser, etwa, dass man sich „verhoben" hätte.

Die meisten Betroffenen sind zwar nach wenigen Tagen wieder schmerzfrei, 90 Prozent nach spätestens sechs Wochen. Wer sich dann wieder schmerzfrei bewegen kann, ist leider nicht aus dem Schneider: Eine Rückenschmerz-Vorgeschichte verdoppelt das Risiko, dass sie wiederkehren. Bei sieben von zehn Rückenschmerzpatienten ist das der Fall.

Der Teufelskreis der Rückenschmerzen

Was macht unseren Rücken so anfällig? Wieso ist der Rückenschmerz ein Wiederholungstäter? Fast immer spielen mehrere Faktoren zusammen: höheres Alter, Übergewicht, Bewegungsmangel, schwache Rückenmuskulatur. Vielleicht zu schwere oder monotone Belastung, Fehlhaltungen, ungeeignete Sitzund Schlafmöbel. Auch Stress oder Depressionen können eine Rolle spielen. Einzelne Auslöser verstärken sich gegenseitig: Übergewicht und Fehlbelastung sehr häufig durch langes, gebeugtes Sitzen am Computer setzen die Bandscheiben unter Druck. Sie verlieren an Elastizität, flachen ab. In der Folge lockern sich die zwischen den Wirbeln gespannten Bänder; auch die kleinen Zwischenwirbelgelenke (Facettengelenke) werden nun stärker abgenutzt. Der ganze Wirbelsäulenabschnitt wird instabiler.

Um dies zu kompensieren, schalten sich Rückenmuskeln ein, sie spannen sich an. Eine untrainierte Rückenmuskulatur wird mit dieser Aufgabe rasch überfordert und verspannt sich. Verspannte, harte Muskeln können in der Nähe liegende Nerven reizen. Das empfinden wir als Schmerz. Schmerz wiederum führt zu Schonund Fehlhaltungen, die ihrerseits Verspannungen und weitere Schmerzen hervorrufen entsteht ein Teufelskreis. Weiter angetrieben wird er durch psychische Faktoren: Angst vor dem Schmerz, Stress und jede weitere psychische Anspannung, wenn sie nicht durch Entspannungstechniken gemildert wird.

"Richtige" und "falsche" Bewegungen?

Eigentlich weisen die genannten Auslöser den Weg zur Vorbeugung von Rückenschmerzen. Wir haben alle schon gehört, dass langes, monotones Sitzen „Gift für den Rücken“ sei, dass man Fehler beim Heben von Lasten machen kann, dass man die Wirbelsäule nicht überlasten darf, und so weiter. Aber: „Diese negativen Botschaften fördern eher negative Gedanken und Gefühle und führen damit zu Vermeidungsverhalten und Hilflosigkeit", schreibt Hans-Dieter Kempf, der maßgebliche Begründer der Rückenschulen in Deutschland, ehemals Vorstandsmitglied des „Forum Gesunder Rücken“.

Die von Kempf und seinen Kollegen in den 80er Jahren entwickelte „Rückenschule“ ist das bekannteste und am häufigsten angebotene Programm zur Prävention (Vorbeugung) von Rückenschmerzen. Es folgte jahrzehntelang einer strengen Unterscheidung von „richtigem“ und „falschem“ Bewegungsverhalten. Kempf und seine Mitstreiter entwickelten das Konzept in den 2000er Jahren weiter zur „Neuen Rückenschule“. Darin hat sich der Umgang mit dem Rückenschmerz geändert. Die zentrale Frage laute jetzt: „Was hält den Rücken gesund?“ und nicht „Was macht den Rücken krank?“

Die zehn goldenen Regeln für einen gesunden Rücken

  • Selbstwahrnehmung: Vertraue deinem eigenen Gefühl du kennst deinen Rücken am besten!
  • Aktivität: Bewege dich täglich ausreichend, baue Bewegung in den Alltag ein.
  • Balance: Bringe Kopf und Becken ins Gleichgewicht.
  • Kraft: Trainiere regelmäßig und gezielt deine Rumpfmuskulatur.
  • Zuversicht: Bleibe auch bei Rückenbeschwerden möglichst körperlich aktiv.
  • Entspannung: Fördere deine psychische Balance; Stress verstärkt Rückenschmerzen.
  • Lebensfreude: Pflege die Beziehungen zu Personen, die dir wichtig sind.
  • Ergonomie: Gestalte deinen Arbeitsplatz und dein häusliches Umfeld ergonomisch.
  • Stoffwechsel: Ernähre dich bewusst vollwertig.
  • Regeneration: Sorge für gesunden Schlaf.

Vielfältige Bewegung ist gut

Im Konzept der Neuen Rückenschule werden angstmachende Botschaften und starre Regeln durch eine positive, realistische Betrachtung ersetzt, zum Beispiel: Die meisten Rückenschmerzen sind harmlos keine Angst vor Rückenschmerzen! Viel Bewegung, variantenreich und vielfältig, ist gut keine Angst vor falschen Bewegungen! Es gibt nicht die einzig richtige Haltung keine Angst vor falschem Sitzen und falschen Haltungen! Rückenschmerzen lassen sich beeinflussen, keine Angst vor Hilflosigkeit!

In Rückenschul-Kursen sollen die Betroffenen ein höheres Maß an Selbstbestimmung und Selbstbefähigung erlernen, erfahren und in den Alltag mitnehmen. Sie lernen, die Rückengesundheit zu fördern und einer Chronifizierung von Rückenbeschwerden vorzubeugen.

Die Lizenz als „Rückenschullehrer/ in“ nach den Richtlinien der Konföderation der deutschen Rückenschulen (KddR) und des Forum Gesunder Rücken besser leben e.V. erwerben Kursleiter in einer einwöchigen Vollzeit-Fortbildung; alle drei Jahre sind die Kenntnisse in einem Aufbaukurs aufzufrischen. Die Zertifizierung kann Voraussetzung für die Erstattung der Kursgebühr oder einen Zuschuss seitens der gesetzlichen Krankenkassen sein.

Für wen ist die Rückenschule geeignet?

Rückenschul-Kurse sollen vor allem Menschen ansprechen, die

  • sich wenig bewegen (weniger als eine Stunde körperliche Aktivität/Woche),
  • schon Rückenschmerzen hatten, vor allem innerhalb des letzten Jahres
  • ärztlich abgeklärte, unspezifische Rückenschmerzen haben,
  • Risikofaktoren für Rückenschmerzen aufweisen (z. B. arbeitsbedingte wie langes Sitzen, psychologische wie Stress oder Depression, Vorgeschichte von Schmerzen) oder ihr Risiko selbst als hoch einschätzen.

Nach Absprache mit dem Arzt können selbst chronische Schmerzpatienten an dem multimodalen Programm teilnehmen, sofern sie in der Lage sind, sich aktiv an Bewegungsvorgaben zu beteiligen. Akute Rückenschmerzen, selbst ausstrahlende Schmerzen in Beine oder Arme stellen keinen generellen Ausschlussgrund für die Teilnahme dar.

Allerdings sollten sie zuvor ärztlich abgeklärt werden. Dies gilt auch für neurologische Symptome wie Gefühlsminderungen im Bereich der Hände und Füße, Schwindel, Kopfschmerz und einem allgemeinen Krankheitsgefühl. Erst recht gehören Personen mit ausgeprägten Wirbelsäulenfehlstellungen, schwerwiegenden Beinlängendifferenzen oder einem akuten Bandscheibenvorfall (bis circa sechs Wochen danach) nicht in eine Rückenschule, sondern zunächst zum Facharzt.

Ran an den Rücken und dranbleiben

Zwar ist „Neue Rückenschule“ ein geschützter Begriff, dessen Konzept in einem umfangreichen Praxishandbuch für Kursleiter niedergelegt ist. Allerdings sind auch zertifizierte Anbieter innerhalb dieses Rahmens in der Gestaltung ihrer Kurse frei. So findet man etwa auf den Internetseiten der Krankenkassen oder der Münchner Volkshochschule (MVHS) unter dem Stichwort „Rücken“ nicht immer eine „Neue Rückenschule“, sondern Kurse wie „Rückenfit“, „Rückentraining“, „Wirbelsäulengymnastik“, „Kräftiger Rücken starker Beckenboden“, „Ausgleichsgymnastik“ und so weiter.

Nach welchem Konzept ein Kursleiter arbeitet, ob er oder sie zertifizierte/r Rückenschullehrer/in ist, lässt sich meist erst auf persönliche Anfrage erfahren. „Es liegt beim Kursleiter, was er aus dem BaukastenKonzept macht“, sagt Claudia Brockmann, Gymnastiklehrerin mit der Lizenz zur Rückenschule in Sendling.

Und wie stets, sollte auch die,Chemie' zwischen Lehrer und Teilnehmer stimmen.

Claudia Brockmann

Sie setzt auf ein Erstgespräch zum Kennenlernen der Vorgeschichte als Basis, um auf den oder die Einzelne eingehen zu können. In ihren Rückenkursen, die sie über die MVHS anbietet, kommen überwiegend Menschen, die schon mit Rückenschmerzen und Verspannungen in Nacken und Schultern zu tun haben. „Die meisten sind im Alter ab 50 Jahren, etwa zwischen 40 und 70, aber es fällt auf, dass immer jüngere Menschen kommen."

Eine Hauptursache des Volksleidens sieht sie im zunehmenden Bewegungsmangel infolge langer sitzender Tätigkeit, etwa im Beruf oder Homeoffice, denn: „Steifes Sitzen ist Gift für den Rücken!“

Das Ziel ihrer Rückenkurse beschreibt sie folgerichtig als „Hinführung zu einem bewegteren Lebensstil“.

Die Wirksamkeit körperlicher Übungsprogramme hänge gar nicht so sehr von der Art und Intensität des Programms ab, als vielmehr von der regelmäßigen und ununterbrochenen Weiterführung der Übungen im Anschluss an den Kurs. „Ran an den Rücken und dann dranbleiben!“ sei ein Appell an die Vernunft.

Was lernt man eigentlich in der Rückenschule?

Ein variables Baukasten-System

Die Rückenschule ist ein variables „Baukastensystem“ zur Prävention von Rückenschmerzen und kann folgende Module umfassen:

  • Körpererfahrung z. B. mit Übungen zum Wahrnehmen von Bewegungen, beund entlastenden Haltungen,
  • kleine Spiele (Kennenlernen, Aufwärmen) und Bewegungsspiele (z. B. einfache Rückschlagspiele, Alltagstrainingsparcour),
  • Training der körperlichen Grundeigenschaften: Ausdauer (z. B. Walking, Jogging, Aerobic), Muskelkraft (insbesondere der Rumpfund Extremitätenmuskulatur), Beweglichkeit (Dehn-, Lockerungs-, Mobilisationsübungen),
  • Haltungsund Bewegungsschulung: Vermittlung, körpergerechter, rückenund gelenkfreundlicher Verhaltensweisen in Alltag, Beruf, Frei zeit und Sport (z. B. dynamisches Sitzen, Aufstehen und Hinsetzen; dynamisches Stehen, Gehen und Laufen; Heben, Tragen, Absetzen, Schieben und Ziehen von Lasten; Hinlegen, Liegen, Aufstehen),
  • Entspannung und Stressbewältigung z. B. durch Progressive Muskelentspannung, Autogenes Trainings, Atemübungen, individuelles Stressmanagement,
  • verschiedene Strategien der Verhaltensänderung, z. B. Ziele setzen und Maßnahmen planen, Einsatz von Hilfsmitteln,
  • Strategien zur Schmerzbewältigung, Hilfe zur Selbsthilfe (Coping),
  • Wissensvermittlung: Informationen zu Ursachen, Verlauf und Auswirkungen von Rückenschmerzen, zur Bedeutung regelmäßiger körperlicher Aktivität, zur individuellen Belastungssteuerung, (Belastungsdosierung, korrekte Durchführung von Übungen oder Sportarten).

Quelle: Dein Kompass zur Rückengesundheit. Bundesverband deutscher Rückenschulen e.V. (www.bdr-ev.de) und Aktion Gesunder Rücken e.V. (www.agr-ev.de)

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