"Was tut dann einer, der schwerst krank ist": So denkt Pfarrer Schießler über den Suizid der Kessler-Zwillinge

Alice und Ellen Kessler sind tot: Die Kessler-Zwillinge haben sich für assistierten Suizid entschieden. Doch wie steht die Kirche dazu – und was bedeutet das für eine eventuelle Beerdigung der Zwillinge? Die AZ hat nachgefragt.
Franziska Hofmann |
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Die Kessler-Zwillinge bei ihrem Auftritt während der Gala zum 70. Jubiläum der Abendzeitung.
Die Kessler-Zwillinge bei ihrem Auftritt während der Gala zum 70. Jubiläum der Abendzeitung. © Felix Hörhager/dpa

Sie gingen zusammen durch ihr Leben und in den Tod: Die Kessler-Zwillinge sind am Montag im Alter von 89 Jahren in ihrem Anwesen in Grünwald gestorben. Die prominenten Schwestern hatten sich für den assistierten Freitod entschieden. Zu groß war die Angst, dass eine von beiden irgendwann alleine zurückbleiben muss.

Doch was bedeutet das für die Beerdigung von Alice und Ellen Kessler? Und - wie bewertet die bekanntlich strenge katholische Kirche die Entscheidung der Kessler-Zwillinge? Die AZ hat mit Bayerns wohl bekanntestem katholischen Pfarrer, Rainer Maria Schießler, über das Thema gesprochen.

Schießler: "Nicht der Mensch soll entscheiden, wann er geht"

Schießler gilt gemeinhin als eher unkonventionell, zur rechten Zeit provokativ und direkt. Der Kirchenmann segnet homosexuelle Paare, veranstaltet Gottesdienste für Tiere und ist bekennender Kritiker des Zölibats in seiner aktuellen Form.

Beim Thema Suizid hat der Münchner Seelsorger allerdings eine klare Meinung: "Meine tiefste Überzeugung ist, dass nicht der Mensch entscheiden soll, wann er geht. Gott, dem wir alle, egal ob schwer gläubig oder nicht, zu verdanken haben, dass wir hier sind, ist auch zu überlassen, wann er uns einberuft."

Kirche hat in der Vergangenheit "schwere Fehler gemacht"

Auf der anderen Seite, so Schießler, habe die Kirche diesbezüglich in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht: "Wir haben diese Menschen früher verurteilt, nicht oder nur außerhalb von Friedhöfen bestattet."

Das sei heute "Gott sei Dank", nicht mehr der Fall: "Wir sind keine Richter und werden diese Menschen nicht mehr verurteilen. Wenn wir gebeten werden, die Angehörigen zu begleiten und diese Menschen zu bestatten, tun wir es auch." Genauso, wie man es bei gläubigen Menschen tun würde, betont Schießler.

Rainer Maria Schießler ist als katholischer Pfarrer bekannt für seine unkonventionelle und direkte Art.
Rainer Maria Schießler ist als katholischer Pfarrer bekannt für seine unkonventionelle und direkte Art. © dpa

Das beschäftigt Schießler am Tod der Kessler-Zwillinge

Doch im Fall der Kessler-Zwillinge beschäftigt den Pfarrer noch ein ganz anderer Aspekt. Regelmäßig hatte Schießler als Seelsorger mit schwerkranken Menschen zu tun. "Wenn schon Menschen wie die Kessler-Zwillinge, die über Jahrzehnte so viel Lebensfreude vermittelt haben, diesen Weg gehen, das Leben so gering schätzen, was tut dann einer, der schwerst krank ist und weiß, wenn er weiterlebt, wird er Monate durch die Hölle gehen?"

Es "jucke" ihn als Christ – "nicht als Pfarrer" – warum die Kessler-Zwillinge diesen Weg eingeschlagen haben. Schießler habe schon etliche Menschen beerdigt, die den Weg des Suizids gewählt haben: "Jedes Mal habe ich mir am Friedhof verzweifelt gedacht, warum hat derjenige nicht mit mir gesprochen? Ich bin 24 Stunden erreichbar – warum ist er nicht gekommen?" Die Kessler-Zwillinge bestatten würde der Münchner Pfarrer "selbstverständlich, wenn der Wunsch da wäre".

Schießler: Parallelen zum Fall Rudolph Moshammer

Schießler rechnet aber nicht damit und verweist auf den Fall des Modezaren Rudolph Moshammer vor 20 Jahren: "Als der Leichenzug über die Reichenbachbrücke kam, habe ich meine große Glocke läuten lassen, wenigstens als Zeichen der Anteilnahme."

Dass das Schwestern-Paar nicht gläubig war, bestätigte es in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" aus dem Jahr 2019. Schon damals sprachen Ellen und Alice Kessler darüber, "andere Maßnahmen" in Anspruch nehmen zu wollen. "Was hätte es für die überlebende Schwester für einen Sinn, weiter allein am Leben zu bleiben? Es wäre ein riesiges Leid", heißt es in besagtem Interview.

Ein Fakt, der Schießlers Unverständnis nur bestätigt: "Wenn ich nicht gläubig bin, also nicht glaube, dass es nach meinem Tod noch weitergeht, warum esse, trinke, lebe ich dann nicht umso mehr bis zum Anschlag und setze dem vorher ein Ende?"

Eine Frage, die die Kessler-Schwestern wohl nur sich selbst beantworten konnten.


Anmerkung der Redaktion: In der Regel berichtet die AZ nicht über Selbsttötungen – es sei denn, die Tat erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und geheilt werden. Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie bei der Telefonseelsorge: 0800–111 0 111 und 0800–111 0 222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist kostenlos.

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  • Zitzl-Duemont vor einer Stunde / Bewertung:

    Es ist Gott zu überlassen wann er sie einberuft:):). Wenns ums Zahlen für Medikamente, Pflegheimen und Aushalten von Schmerzen geht, dann will der Herr Gott aber nix davon Wissen!

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  • pittomuc vor einer Stunde / Bewertung:

    Schon wieder diese doppelbödige Moral der katholischen Kirche:
    Mein Mann war, wohl gemerkt als Gläubiger Christ, aus der katholischen Kirche ausgetreten.
    Mein Wunsch, bei der Beerdigung geistlichen Beistand zu haben, wurde von der Kirche strikt abgelehnt….
    Ergo:: Zuspruch und Mitleid und Beistand bekommt nur derjenige, der auch „ Vereinsmitglied“ ist.
    Schwer vorstellbar für mich, dass dies im Sinne Gottes ist.

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  • Monika1313 vor 2 Stunden / Bewertung:

    Wenn die kath. Kirche bei ihrer Verfolgung von 'Straftaten' immer so konsequent wäre und nicht nur den Freitod verurteilen würde, dann wäre sie nicht ganz so unglaubwürdig.

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