Virtuose am Kochlöffel

Jamie Oliver kocht heute beim G20-Gipfel für die Politiker – unter Hobbydünstern gilt der Brite längst als Superstar
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Starkoch Jamie Oliver.
ap Starkoch Jamie Oliver.

Jamie Oliver kocht heute beim G20-Gipfel für die Politiker – unter Hobbydünstern gilt der Brite längst als Superstar

Über die Ernährungsgewohnheiten von Barack Obama ist bisher wenig bekannt. Brät ihm Michelle abends einen Hamburger, wenn er von nervigen Gesprächen mit GM-Managern heimkommt? Oder fährt er gleich selber bei McDonald’s vorbei? Auch Nicolas Sarkozy ist bisher nicht als Feinschmecker in Erscheinung getreten, der er als Franzose doch naturgemäß sein müsste. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht zu reden. Wie gut, dass der britische Starkoch Jamie Oliver endlich diesen wichtigen Aspekt der Welt- und Ernährungspolitik ins Blickfeld rückt.

Oliver bekocht die Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel heute Abend in London. Offenbar bekam er den Auftrag, ein eher schlichtes Menü zu kreieren, mit Zutaten aus dem Supermarkt. Beim G8-Gipfel in Japan hatten die Premiers noch bei einem opulenten Mahl zusammengesessen und dabei über den Welthunger diskutiert. Das machte keinen guten Eindruck.

Es dauerte Monate, bis alle Diplomaten die Zutaten absegneten

Jetzt also: Jamie Oliver, „the Naked Chef“, wie ihn seine Fans nennen; ein Küchengott, der auf Einfachheit setzt und dabei der lässigste Typ weit und breit im Segment der Kochlöffel-Virtuosen ist. Der Kerl schafft es, auch mit den Resten aus dem Kühlschrank ein Super-Dinner herzustellen; man muss sich um die kulinarische Qualität des Gipfeltreffens keine Sorgen machen. Das Menü ist natürlich streng geheim. Wie es offiziell heißt, geht Oliver auf die „Diätgewohnheiten aller Teilnehmer ein“. Es habe Monate gedauert, bis die Zutaten von Diplomaten abgesegnet wurden.

Vermutlich haben Carla Bruni und andere Präsidenten-Gattinnen mehrere Bücher von Jamie Oliver im Schrank stehen; sie unterscheiden sich dabei nicht von Millionen anderer Hobbyköche, für die Jamie Oliver inzwischen als der Größte unter den Koch-Performern gilt. Ist man beispielsweise zu einem Abendessen eingeladen und der Gastgeber kündigt an, dass er jetzt gleich „gerösteten Spargel mit Rosmarin und Sardellen“ auftischen werde, erwidert der Gast mit Kennerblick: „Jamie, oder? Aus seinem zweiten Buch. Hab’ ich auch schon gemacht.“

„Okay Leute, diese Ricottaplätzchen sind echt phantastisch”

In erster Linie kennt man den furiosen Briten aus seinen Shows im Fernsehen, die in Deutschland auf RTL 2 laufen. Das Publikum hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass praktisch jeder passabel aussehende Dünster, der auch noch einen geraden Satz herausbringt, mit einer eigenen Kochshow im Fernsehen aufscheint. Jamie Oliver dagegen ist wirklich ein Entertainer.

In seinen TV-Shows bewirtet er gerne seine Musiker-Freunde zwischen zwei Songs, man trinkt Bier aus Flaschen, und der Koch sagt ständig Sätze wie: „Okay Leute, diese Ricottaplätzchen sind echt phantastisch, ihr müsst sie unbedingt probieren!” Oder: „Verwendet bitte richtig guten Parmesan. Wenn ihr den nicht bekommt, egal, jeder andere Käse ist auch super!” Danach setzt er sich wieder ans Schlagzeug. Damit können die deutschen Vorzeige-Küchenchefs bei ihren steifen Auftritten nicht mithalten.

Kein Hohepriester des kaltgepressten Olivenöls

Auch wenn Olivers Spaßkocherei völlig überdreht daherkommt, versteht jeder die sympathische Botschaft: Kochen ist eigentlich ganz einfach, auf die Leidenschaft kommt es an. Schon mit dieser Haltung unterscheidet er sich von all den Witzigmanns und Winklers und ähnlichen Hohepriestern des kaltgepressten Olivenöls.

Versteht sich, dass ein Star wie Jamie Oliver wie gerufen kommt, um den Koch-Boom ideologisch zu überhöhen. Wer kochen kann, zählt heute fast zur Avantgarde, Hobbyköche gelten als kreativ und politisch korrekt, als Menschen, die sich bewusst dem Diktat der Fertignahrungs-Industrie widersetzen.

Wie taut man einen gefrorenen Truthahn korrekt auf

Die Galionsfiguren der Bewegung werden zu Kulturhelden geadelt. So wie der spanische Koch-Spinner Ferran Adria, der seine Menüs in Reagenzgläsern serviert und bei der „Documenta“ aufgetreten ist. Jamie Oliver bringt es immerhin bis in die Feuilleton-Aufmacher über „kulinarische Sozialisationsdefizite”.

Auf seiner Homepage geht es bodenständiger zu. Aktuell diskutieren die User über die Frage, wie man einen gefrorenen Truthahn korrekt auftaut. Eine fachkundige Diskussion, aus der nur der Beitrag von Samantha etwas heraussticht: „Jamie, heirate mich!!!“

Arno Makowsky

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