Schauspielieren Senta Berger: "Rache ist mir fremd"

Sexualstraftäter in der Nachbarschaft - wie Schauspielerin Senta Berger reagieren würde, hat sie im Interview mit spot on news verraten.
von  (ili/spot)
Dr. Eva Maria Prohacek (Senta Berger) und André Langner (Rudolf Krause, re.) sind entsetzt: Vor dem Haus eines entlassenen Sexualstraftäters kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen
Dr. Eva Maria Prohacek (Senta Berger) und André Langner (Rudolf Krause, re.) sind entsetzt: Vor dem Haus eines entlassenen Sexualstraftäters kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen © ZDF/Erika Hauri

Wenn Sexualstraftäter nach verbüßter Haftstrafe an ihren alten Wohnort zurückkehren, läuft das in der Regel nicht problemlos ab. Wie Schauspielerin Senta Berger reagieren würde, hat sie im Interview mit spot on news verraten.

München - Einen extremen, aber durchaus nicht unrealistischen Fall zeigt die neue Folge der Samstagskrimireihe "Unter Verdacht - ohne Vergebung" (20.15 Uhr, ZDF), in der sich Senta Berger (72, "Schlaflos") zum 20. Mal als interne Ermittlerin Dr. Eva Maria Prohacek für Gerechtigkeit stark macht.

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Es geht um einen entlassenen Sexualstraftäter, der in einem kleinen Dorf bei seinem Bruder Unterschlupf findet. Der Polizist Walter Maiberger (Marcus Mittermeier) zerrt den Sexualstraftäter Friedrich Schmolzer (Michael Stange) aus seinem Auto und schlägt ihn fast tot. Die umstehenden Passanten lassen es geschehen. Der ehemalige Häftling hat es verdient, finden sie. Vier Frauen hat er vergewaltigt und wenn er trinkt, verliert er die Kontrolle.

Da der Europäische Gerichtshof rückwirkende Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die Menschenrechte bewertet hat, musste Schmolzer entlassen werden. Kommissarin Prohacek und ihr Assistent Langner (Rudolf Krause) sollen die Gemüter beruhigen und den Fall Maiberger klären.

Anlässlich dieses brisanten Themas hat die Nachrichtenagentur spot on news bei der beliebten und meinungsstarken Hauptdarstellerin Senta Berger nachgefragt, wie sie auf einen solchen Nachbarn reagieren würde.

Wie würden Sie es finden, wenn ein Sexualstraftäter nach verbüßter Haftstrafe in Ihre Nachbarschaft zöge?

Senta Berger: Sicher würde ich mir einige Gedanken machen. Möglicherweise auch unnötige. Ich denke, ich würde versuchen, so viel wie möglich von diesem Menschen und seiner Tat zu erfahren. Um mir ein Bild machen zu können, ein Urteil bilden zu können, um zu verstehen - oder eben auch nicht.

Können Sie den Protest der Bürger im Film und oft auch im realen Leben verstehen?

Berger: Sicher entstehen diese Proteste aus Angst, aus Sorge hauptsächlich um die Kinder in der Familie und die Halbwüchsigen der Umgebung. Sicher auch aus dem Bedürfnis heraus, diese Nachbarschaft "rein" zu halten. Sauber. Ein Sexualverbrechen ist mit keinem anderen zu vergleichen. Es berührt unser innerstes Wesen, unser Selbstverständnis. Natürlich gibt es auch selbstgerechte Motive: Wir sind die Besseren, wir sind die Guten. Und nur allzu oft mangelt es an nötigen Informationen, um Toleranz üben zu können.

Im Film werden die Angehörigen der Opfer aus Ohnmacht zu Tätern. Braucht es mehr Schutz für die Opferfamilien?

Berger: Die Angehörigen eines missbrauchten, vielleicht getöteten Opfers brauchen Trost, Erklärungen und Begleitung. Das ist zumeist nicht oder nicht in dem nötigen Ausmaß möglich. Genauso wenig ausreichend erscheint mir die psychische und psychotherapeutische Betreuung der Sexualstraftäter in den Gefängnissen, auch wenn sich manche Täter einer Therapie verweigern und verweigern dürfen. Und wie sinnvoll ist es, diese abnormen, kranken und eben verbrecherischen Menschen mit Beruhigungsmitteln und Hormonbehandlungen ruhig zu stellen? Sexualität sitzt doch im Kopf und dort sitzt sie immer noch, wenn diese Menschen entlassen werden in die Sicherheitsverwahrung oder in die sogenannte Freiheit, die ihnen kaum Freiheit bieten wird.

Ist der Wunsch nach Selbstjustiz für Sie nachvollziehbar?

Berger: Nein. Das fügt dem schrecklichen Unrecht ein neues hinzu. Rache ist mir fremd.

Verzeihen und Vergeben ist in einem solchen Fall besonders schwierig. Sind Sie ein nachtragender Mensch?

Berger: Ach Gott, vermutlich bin in kleinen Dingen nachtragend: "Du hast damals gesagt" und so. Immer öfter will ich aber schnell verstehen, aufklären, auch nach meiner Schuld suchen. Aber ein Verbrechen wie dieses, das wir in "Unter Verdacht" erzählen, das könnte ich weder verzeihen noch vergeben. Ich könnte versuchen zu verstehen, wie das alles geschehen konnte. Sie wissen ja, dass der überwiegende Teil aller Sexualstraftäter selbst Gewalt erfahren hat. Selbst als Kind, als Junge missbraucht oder geprügelt worden ist. Sein verachtendes Menschenbild, die Gewaltphantasien sind schon in seiner Kindheit, in seiner Jugend angelegt worden. Das würde mir helfen zu verstehen, aber nicht zu verzeihen und zu vergeben.

Die Familie des Täters leidet im Film sehr unter der Situation. Lange zeigen es die Ehefrau des Bruders und die Töchter aber nicht. Wie wichtig ist Zusammenhalt in der Familie? Bis zu welchem Punkt sollte man die eigenen Bedürfnisse zurückstecken?

Berger: In einer Familie, die in schwierigen Zeiten zusammenhält, können auch die eigenen Bedürfnisse zurückgesteckt werden, eine Zeit lang. Bis zu welchem Punkt? Wahrscheinlich bis zu dem Zeitpunkt, da die Kinder beginnen, darunter zu leiden und selbst zu Außenseitern werden. Es ist ein schwieriges Dilemma.

Eine besonders unangenehme Vorstellung wird im Film auch thematisiert: Das einstige Opfer kann dem Täter nach dessen Rückkehr aus dem Gefängnis wieder über den Weg laufen. Sollte darauf mehr Rücksicht genommen werden?

Berger: Wie soll man darauf Rücksicht nehmen in einem kleinen Städtchen, in einem Dorf? Ich denke, die Menschen dort wissen schon nach einiger Zeit, wo sie sich bewegen können und wann, ohne sich zu begegnen. Aber alleine schon das Wissen um die Anwesenheit des Vergewaltigers, des Mörders, des Täters verdunkelt das Leben der Familien, die betroffen sind.

Macht es generell Sinn, dass ehemalige Sexualstraftäter zurückkehren können? Wie könnte eine alternative Lösung aussehen?

Berger: Ihre Strafe ist verbüßt, so ist das Gesetz. Jeder Mensch hat das Recht, sein Leben neu einzurichten. In Florida gibt es für Sexualstraftäter ein für sie und von ihnen erbautes kleines Dorf. Irgendwo in den Sümpfen. Sie dürfen diesen Ort nur in einem Umkreis von wenigen Meilen verlassen, organisieren ihr Leben dort selbst und arbeiten. Es gibt Bäcker und Köche, es gibt Handwerker und Männer, die von Landwirtschaft etwas verstehen. Einer hat geheiratet und einer hat eine kleine Bibliothek aufgebaut. Sie werden dort leben, bis sie sterben. Sie sprechen über ihre Taten, das erscheint mir sinnvoll.

"Keiner wird so geboren", heißt es an einer Stelle. Würden Sie dem zustimmen?

Berger: Ja, natürlich. Das Böse gibt es nicht, auch wenn uns das die Kirchen über die Jahrhunderte einreden wollten.

Seit ein paar Jahren gibt es an der Berliner Charité eine Stelle, an die sich Männer wenden können, wenn sie merken, dass sie kriminelle Fantasien haben. "Kein Täter werden", heißt das Forschungsprojekt. Was halten Sie davon?

Berger: Das ist eine ganz großartige Einrichtung. Menschen wollen Menschen helfen.

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