Roger Willemsen zum 70.: Erinnerungen an einen großen Intellektuellen

Er wäre am heutigen Freitag 70 geworden: Roger Willemsen prägte als Autor, Moderator und Intellektueller die deutsche Kulturlandschaft. Ein Rückblick auf sein Leben, Werk und Vermächtnis.
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Der Bestsellerautor und frühere Fernsehmoderator Roger Willemsen ist 2016 im Alter von 60 Jahren gestorben.
Der Bestsellerautor und frühere Fernsehmoderator Roger Willemsen ist 2016 im Alter von 60 Jahren gestorben. © ddp/ PublicAd
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Er fehlt. Das sagt sich so leicht, doch das ist es nicht. So einen wie ihn gibt es im deutschen Fernsehen nicht (mehr). Selbst heute, fast zehn Jahre nach Roger Willemsens (1955-2016) Tod, sieht man in der deutschen Medienlandschaft, vor allem im Fernsehen, keine Nachfolge, die ihm nur annähernd gleichkäme. Das ist das eigentlich Schmerzhafte an dieser durch seinen Tod entstandenen Leere im öffentlichen Raum.

Bei Roger Willemsen bleibt leider nur der Rückblick

Roger Willemsen würde am 15. August seinen 70. Geburtstag feiern. 70 - das wäre für einen der führenden Intellektuellen des Landes ein schönes Jubiläum, keinesfalls das Ende. Es könnte ein Zeitabschnitt der Altersmilde gegebenenfalls des Alterszorns folgen, geprägt von der Weisheit des Jubilars. Bei Roger Willemsen bleibt leider nur der Rückblick.

"Er galt schon früh als weiser Mann", schrieb der Publizist und Weggefährte Manfred Bissinger. Andere bezeichnen ihn als "Universalgenie". Mit 50 war Roger Willemsen eine große Nummer, hatte einen Namen als erfolgreicher Buchautor und Kolumnist (ZEITmagazin, Die Woche), war Honorarprofessor an der Humboldt Universität (HU) Berlin und Radiomoderator. Und er war eines der markantesten Fernsehgesichter.

Hochkarätige Gäste in "Willemsens Woche"

Von 1994 bis 1998 war Roger Willemsen jeden Freitagabend im ZDF zu sehen. 1,96 Meter groß, kantiges Gesicht, Wuschelkopf, Brille, offener Blick und eine unerwartet hohe Stimme - so präsentierte er in "Willemsens Woche" 60 Minuten lang Themen mit Witz, Schärfe und Tiefgang.

Er sprach mit Gästen wie Gerhard Schröder, Sting, Yoko Ono, Billy Joel, Jeanne Moreau, Isabelle Huppert, David Copperfield, Isabel Allende, Jassir Arafat oder Joan Baez. Mit Isabella Rossellini, Michail Gorbatschow und Peter Ustinov gab es Sondersendungen mit nur einem einzigen Interviewgast.

"Willemsens Woche" polarisierte Zuschauer wie Kritiker. Der Journalist Nils Minkmar, seinerzeit Redakteur von "Willemsens Woche", schrieb später: "Eine Marktforschung ergab einmal, dass er besonders gut bei älteren, nicht besonders gebildeten Hausfrauen aus dem ländlichen Raum ankommt, und das traf wirklich zu. Wenn entsprechende Gruppen auf ihn warteten oder ihn erkannten, flüsterte er hingerissen: 'Meine Zielgruppe!' Er erwiderte diese Zuneigung hemmungslos und musste sich nicht verstellen, denn er war ohne jeden Dünkel und ohne Scheu vor den Leuten."

Innerhalb des ZDFs war Willemsen wegen seiner häufigen Kritik am Medium Fernsehen nicht unumstritten. Nachdem er die Doktorarbeit von Bundeskanzler Helmut Kohl als "Leistungsverweigerung" verspottet hatte, bekam er ebenso Ärger wie nach einem Interview mit der Mutter der RAF-Terroristin Birgit Hogefeld.

Nichts deutete auf eine Karriere beim Fernsehen hin

Eigentlich wollte er nie zum Fernsehen, er selbst hatte bis 1991 zu Hause kein TV-Gerät. Seine Welt waren die Bücher und die Kunst. Das kannte er aus dem Elternhaus. Der Vater des gebürtigen Bonners war Ernst Willemsen, ein bekannter Kunsthistoriker, Konservator und Maler, Mutter Regine arbeitete als Kunsthändlerin und Expertin für ostasiatische Kunst in einem Kölner Auktionshaus.

Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn, Florenz, München und Wien wurde er 1984 mit einer Dissertation über die Literaturtheorie von Robert Musil zum Dr. phil. promoviert. Während seiner Studienzeit arbeitete er in Bonn zweieinhalb Jahre als Nachtwächter, "aus dem einfachen Grund, weil man dann zwölf Stunden lesen konnte und dabei auch noch Geld verdiente. Wie er später erzählte. "Ich machte zwischendurch einen Rundgang, dann las ich weiter."

Beruflich und privat mit Sandra Maischberger verbunden

Roger Willemsen begann seine Fernsehkarriere 1991 beim neuen Pay‑TV-Sender Premiere als Moderator der Talkshow "0137" - benannt nach der Telefonvorwahl. Er moderierte mehr als 600 Ausgaben und empfing werktäglich drei Gäste. Zu seinen Gesprächspartnern zählten unter anderem Audrey Hepburn kurz vor ihrem Tod, Palästinenserführer Jassir Arafat sowie ein japanischer Kannibale.

Ab 1992 wechselte er sich in der Moderation mit der jungen Sandra Maischberger (58) ab, mit der er eineinhalb Jahre liiert war. Willemsen hat nie geheiratet und lebte kinderlos in seinem Haus in Wentorf bei Hamburg.

Seine Bücher wurden Bestseller

2002 war für ihn Schluss mit TV. Er widmete sich später seiner Lehrtätigkeit als Honorarprofessor am Institut für deutsche Literatur an der HU Berlin. Und er schrieb. Sämtliche Willemsen-Bücher wie "Gute Tage", "Kleine Lichter", "Afghanische Reise", "Der Knacks", "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort" und vor allem "Die Enden der Welt" oder "Momentum" standen monatelang auf der "Spiegel"-Bestsellerliste.

Für "Das Hohe Haus" setzte er sich lange auf die Besuchertribüne des Bundestags und protokollierte, was er dort sah - und nicht mehr aushielt: "Die Stereotypen, die Rituale, das tote Fleisch der Kommunikation, das zur Schau gestellt wird. Das Bild der Erregung, schlecht gespielt, weil Politiker keine Schauspieler sind. Die gespielte Überzeugung, die gespielte Auseinandersetzung um Sachargumente, die alle längst ausgetauscht sind, von denen sich niemand mehr bewegen lässt."

Er verliert den Kampf gegen den Krebs

Kurz nach seinem 60. Geburtstag wurde bekannt, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist. Schon sein Vater war mit 57 an Krebs gestorben. Am 7. Februar starb Roger Willemsen in seinem Haus in Wentorf.

Sein ehemaliger Mitarbeiter Nils Minkmar schrieb mit Blick auf die Zukunft: "Dieses lästernde, lüsterne, kiffende, krähende Genie ist unersetzlich. Wir werden ganz schön arbeiten, ja kämpfen müssen, um ohne ihn nicht in einer Republik von Spießern zu enden."

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  • Futurana vor einer Stunde / Bewertung:

    Ach - ich vermisse ihn sehr .

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