Interview

Leo Reisinger enttarnt Münchner in eigenem Buch: "Jeder kämpft mit allen Mitteln"

Der Schauspieler Leo Reisinger hat ein Buch geschrieben, indem sich mancher Münchner Gastronom wiedererkennen könnte. Ehrliche Einschätzung oder knallharte Abrechnung? In der AZ erzählt der Münchner, was ihn zu seinem Erstlingswerk "Bavarese" bewegt hat.
von  Daniela Schwan
"20 Jahre lang habe ich ja selbst am Großmarkt gearbeitet, war darüber hinaus Wiesn-Kellner": Leo Reisinger hat nach dem Serien-Aus von "Toni, männlich, Hebamme" ein Buch geschrieben.
"20 Jahre lang habe ich ja selbst am Großmarkt gearbeitet, war darüber hinaus Wiesn-Kellner": Leo Reisinger hat nach dem Serien-Aus von "Toni, männlich, Hebamme" ein Buch geschrieben. © Thomas Vonier

Leo Reisinger ist ein erfolgreicher Schauspieler, der unter anderem für seine Rolle in "Toni, männlich, Hebamme" bekannt ist. Mit seinem neuen Buch "Bavarese" schafft sich der gebürtige Münchner nun ein weiteres Standbein – und gewährt Einblicke in die dunklen Seiten der Münchner Gastronomiebranche. Im Gespräch mit der AZ verrät Reisinger, wie es zu diesem Buchprojekt kam und was ihn privat und beruflich antreibt.

"Zehn Jahre mit mir rumgeschleppt": Wie Leo Reisingers Buch-Idee zustande kam

Am Mittwoch (11. September 2024) erschien "Bavarese" im Heyne-Verlag: Ein erstaunliches Erstlingswerk von Leo Reisinger über die Münchner Schickeria und die Tiefen des Großmarkthallenmilieus. Die AZ traf den Schauspieler und Musiker zum ausführlichen Gespräch bei Kamillentee mit Ingwer.

AZ: Servus, Herr Reisinger! Leben Sie generell gesund?
LEO REISINGER: Ich versuch's. Meine Frau Mareike ist in der Gesundheits- und Präventionsbranche unterwegs und vertreibt Nahrungsergänzungsmittel. Ich hab anfangs nichts davon gehalten, inzwischen merke ich, wie gut sie mir tun. Außerdem habe ich meinen Fleischgenuss eingeschränkt und trinke kaum Alkohol.

Und sie ist auch Yogalehrerin, da trainiere ich auch mit. Früher habe ich Fußball gespielt und mich öfter dabei verletzt. Jetzt habe ich meine Sicht auf den Sport angepasst und mir geht es rundum gut.

Fieberten Sie der Veröffentlichung von "Bavarese" entgegen? Der Stoff schreit ja geradezu nach einer Verfilmung.
Natürlich. Irgendwie hatte ich den Instinkt, den Stoff hatte ich schon mehr als zehn Jahre lang mit mir herumgeschleppt und mir immer wieder Notizen gemacht. Das Ganze war ursprünglich als Drehbuch geplant, dann kam der Heyne-Verlag ums Eck – und ich endlich in die Puschen!

20 Jahre lang habe ich ja selbst am Großmarkt gearbeitet, war darüber hinaus als Wiesn-Kellner und auch als Animateur in Clubs tätig. Immer, wenn ich gedreht habe, konnte ich mir freinehmen. Als die Serie "Toni, männlich, Hebamme" nach zehn Folgen eingestellt wurde, war die doch recht große Fangemeinde entsetzt, besonders über das abrupte Ende.

Natürlich war auch ich traurig. Aber wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf und ich konnte mich anderem widmen: meinem Roman. Als Schauspieler hat man ja ein Faible für schöpferische Prozesse.

Leo Reisinger und Wolke Hegenbarth standen für zehn Folgen von "Toni, männlich, Hebamme" gemeinsam vor der Kamera.
Leo Reisinger und Wolke Hegenbarth standen für zehn Folgen von "Toni, männlich, Hebamme" gemeinsam vor der Kamera. © © ARD Degeto/Jacqueline Krause-Burberg

"Vieles habe ich mitbekommen": Das inspirierte Leo Reisinger zu "Bavarese"

Korrupte Wiesn-Wirte, brutale Küchenchefs, unerwiderte Liebe, Drogen, Materialismus, der tägliche Kampf ums Überleben, mafiöse Zustände, die dunkle Seite der Weltstadt mit Herz: Müssen sich da einige aus der Branche warm anziehen?
Meine Figuren sind allesamt fiktiv. Ich hab Christian Schottenhamel und Peter Inselkammer (die Sprecher der Wiesn-Wirte, d. Red.) angerufen und gleich vor dem Erscheinen den Wind aus den Segeln genommen und gesagt, dass mein Buch in keiner Weise eine Abrechnung mit der Gastronomie darstellen soll.

Ich schätze dieses Umfeld, habe auch viele Freunde dort. Ich habe für Antje Haberl gearbeitet und bin nach wie vor mit ihr befreundet. Wenn dir gewisse Konsorten jahrelang über den Weg laufen, speicherst du das ab, und das kommt dann als kreativer Prozess zum Vorschein.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Vieles habe ich mitbekommen, wie zum Beispiel das, was meine alleinerziehende Protagonistin Lene erlebt: Sie muss ihren kleinen Sohn in der Früh zum Großmarkt mitnehmen, das Jugendamt steht schon mit erhobenem Zeigefinger da, und sie kann sich nicht für ihr Herz entscheiden, sondern muss der Absicherung ihres Kindes den Vorrang geben und sich dem patriarchischen Wiesn-Wirt Pfeiffer mit Dollarzeichen in den Augen unterordnen.

Wer in ihm Ähnlichkeiten zu Münchner Wirten entdeckt – dafür kann ich nichts. Gewisse Berufe führen gewisse Verhaltensmuster mit sich. Andererseits habe ich ein paar Dinge mit dem Kriminalhauptkommissar Ludwig Waldinger vom LKA besprochen, er fragte mich ganz erstaunt: "Ja, woher wissen Sie denn, wie es in der Branche zugeht?"

"Getarnt durch Lederhosn und Dirndl": Leo Reisinger schaut hinter Münchens Kulissen

Was ist die Botschaft hinter Ihrem Buch?
Geld oder Liebe – wofür würde sich jeder einzelne in dem Fall entscheiden? Außerdem schaue ich immer hinter die Kulissen. München ist ein Paradebeispiel für das saubere Deutschland, eine bayerische Postkartenidylle. Aber trotzdem ist Kriminalität vorhanden – und wird getarnt durch die ganzen Lederhosn und Dirndl.

Wir sind ja so lustig, zünftig, wie wir immer dargestellt werden. Wenn es aber wirklich ans Eingemachte geht, dann kämpft jeder mit allen Mitteln. Wir schreien alle nach Gleichberechtigung, Gender hier, Diversität da. Im Endeffekt aber wird sie gar nicht wahrgenommen.

"Dieses Kribbeln habe ich nicht mehr": Was Leo Reisinger heute vom Oktoberfest hält

Gehen Sie selbst denn noch auf die Wiesn?
Ja. Aber dieses Kribbeln, das ich früher empfunden habe, hab ich nicht mehr. Ich brauche es nicht, um Punkt 19 Uhr auf den Wiesn-Tisch zu springen und "Hulapalu" zu trällern. Heuer bin ich primär mit den zwei jüngsten meiner drei Kinder unterwegs.

Cosima (11, d. Red.) und Silas (7) sind dieses Jahr die rasenden Wiesn-Reporter bei Corinna Binzer, die ja bei "München.TV" die Wiesn-Sendungen mitmoderiert. Sie hat auch in der Gastronomie gearbeitet, wir sind seit langem befreundet.

Was ist Ihr Antrieb, Ihr Motor?
Ich will die Welt verändern, einen kleinen Beitrag mit Tiefgang dazu leisten, vielleicht sogar mit diesem Buch. Ich mag auch keine Ungerechtigkeiten und will, dass man alles mit Anstand regelt. Heiligenschein hab ich aber keinen. Dafür eine sensible, tolle, schöne Frau, die Mareike, eine Frau mit viel Gespür. Das überträgt sich.

"Windhund": Warum Leo Reisinger bei seiner Frau zunächst abblitzte

Wie haben Sie Ihre Frau eigentlich kennengelernt?
Das war 2003 im Robinson-Club, Mareike hatte dort mein Erbe als Snowboard-Lehrer angetreten und sie hat mir gleich gefallen. Leider eilte mir da mein Ruf voraus – und ich hatte erst mal keine Chance bei ihr. Denn als Animateur giltst du als Windhund. Es hat dann drei Jahre gedauert, bis wir zusammengekommen sind.

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