"Zu viel Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität": So kommt die Idee zum Rentner-Pflichtjahr an

Rentnerinnen und Rentner sollten ein soziales Pflichtjahr absolvieren - dieser brisante Vorschlag kommt vom Wirtschaftsinstitut DIW. Er stößt umgehend auf Kritik.
AZ/ dpa |
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DIW-Präsident Marcel Fratzscher zieht mit einem Vorschlag für eine Rentner-Pflichtjahr Kritik auf sich.
DIW-Präsident Marcel Fratzscher zieht mit einem Vorschlag für eine Rentner-Pflichtjahr Kritik auf sich. © Bernd von Jutrczenka/dpa
Berlin

Der Vorschlag des Ökonomen Marcel Fratzscher zur Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahrs für Rentner und kontroverse Aussagen des Wissenschaftlers über die ältere Generation haben Kritik und Widerspruch ausgelöst.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) wies Vorwürfe des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus einem aktuellen "Spiegel"-Interview zurück, wonach die sogenannte Boomer-Generation (zwischen Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre Geborene) zu wenig Kinder bekommen habe. "Wieso sollten ausschließlich die Jungen für diese Lebensentscheidungen der Babyboomer geradestehen?", hatte Fratzscher gefragt.

"Empfinden wir als respektlos"

"Die 'Lebensentscheidung', keine vier Kinder zu bekommen, erfolgte bei Millionen Menschen auch aus finanziellen Gründen", sagte SoVD-Chefin Michaela Engelmeier der Deutschen Presse-Agentur und verwies auf eine gestiegene Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit für beide Partner wegen steigender Kosten. "Ihnen nun daraus einen Strick zu drehen, dass man sich zur Strafe gefälligst im Rentenalter engagieren müsse, empfinden wir als respektlos", fügte Engelmeier hinzu.

Kritik kommt auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): "Ein Pflichtjahr für Rentner lehnen wir ab. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, hat seinen Ruhestand unbedingt verdient. Wir warnen davor, mit solchen Vorschlägen Generationen gegeneinander auszuspielen", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der dpa. "Die Frage, wer tatsächlich auf wessen Kosten lebt, ist in allererster Linie eine Frage zwischen Reich und Arm, also zwischen Kapital und Arbeit, und nicht etwa zwischen den Generationen."

Fratzscher: "Mehr Solidarität der Alten mit den Jungen"

Der DIW-Präsident hatte im "Spiegel" kritisiert, Lösungen von Problemen wie Personalmangel in Bereichen wie Pflege, Gesundheit oder Verteidigung würden häufig den Jungen aufgebürdet und eine fairere Verteilung der Lasten gefordert. "Wir brauchen mehr Solidarität der Alten mit den Jungen", sagte Fratzscher.

"Wir sollten ein verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentnerinnen und Rentner einführen. Gesundheitlich werden das manche nicht können, aber dafür gibt es auch bei jungen Leuten Regelungen", schlug der 54-Jährige vor. Mit Blick auf den Verteidigungsbereich erläuterte Fratzscher, benötigt würden technische Fähigkeiten. "Warum sollten wir die nicht nutzen, gerade von Leuten, die früher bei der Bundeswehr ausgebildet wurden?"

Kritik von AfD und BSW

Der AfD-Sozialpolitiker René Springer schrieb bei X: "Das ist ein Schlag ins Gesicht unserer Ältesten. Wer dieses Land aufgebaut hat, verdient Respekt und eine sichere Rente – keine Zwangsdienste." BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sagte, der Vorschlag, "alten Menschen, die ihr Leben lang geschuftet haben und zum Dank dafür in Deutschland oft genug mit Armutsrenten abgespeist werden" ein Pflichtjahr aufzudrücken, sei an Zynismus kaum zu überbieten.

Neue Generationendebatte?

Fratzscher beschäftigt sich in einem Buch, das kommende Woche erscheint, mit dem Thema Generationengerechtigkeit. Im "Spiegel"-Interview wirft er der älteren Generation "zu viel Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität" vor. Die Last für die junge Generation müsse tragfähig bleiben. Auch der Soziologe und Generationenforscher Klaus Hurrelmann (81) hatte sich für einen sozialen Pflichtdienst für Senioren "am Ende ihres Arbeitslebens" ausgesprochen. Gesellschaftliche Aufgaben wie die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sollten von allen Generationen getragen werden.

Rentner-Dienst und "Boomer-Soli" 

Der Vorschlag für einen Rentner-Dienst ist nicht der einzige kontroverse Vorstoß aus Fratzschers DIW. Mitte Juli hatte das Institut sich bereits für einen "Boomer-Soli" starkgemacht – eine Solidaritäts-Sonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte. Dies könne ein wichtiger Baustein zur Stabilisierung des Rentensystems in Deutschland sein.

Der Soli würde fällig auf alle Alterseinkünfte von Senioren, deren Einkommenshöhe zu den obersten 20 Prozent gehört, erläuterte Fratzscher im "Spiegel". Beamte und Selbstständige und "auch Vermögende mit fünf Immobilien" würden einzahlen. "Zugutekäme das den 40 Prozent Rentnern mit den geringsten Einkommen."

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3 Kommentare
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  • Himbeergselchts am 22.08.2025 18:50 Uhr / Bewertung:

    1,9 Mio arbeitsfähige Menschen unter 30 sitzen im Bürgergeld. Wer anderes als ein Rentner sollte aber auch nach 48 und 50 Arbeits- und enormen Einzahlungsjahren länger arbeiten und ein Pflichtjahr für dieses Land leisten? Da fällt mir niemand ein.
    Die fürstlichen Renten von 1 500,— im Schnitt wollen verdient sein. Wer sonst soll die 10 Mrd Euro für die GKV Beiträge der Bürgergeldempfänger im Jahr zahlen? Wer soll Beamte und Politiker finanzieren? Die keine Sozialabgaben zahlen und nicht in ihre Pensionen einzahlen? Wer soll die Wirtschaft wieder ankurbeln?
    Etwa die Bürgergeldempfänger oder Schulabgänger?
    Gratulation Herr Fratzscher: Die intellektuelle deutsche Elite in Politik und Wirtschaft schießt sich auf die „Boomer“ ein. Wer sonst soll für die 71% an Pension des letzten Gehalts vom Beamten nach 40 Jahren aufkommen?
    Ich schätze mal Herr Fratzscher, sämtliche Politiker, Wirtschaftsweise und Beamte haben ihre Schuldigkeit nach 40 Jahren getan und sind davon ausgenommen?

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  • FRUSTI13 am 25.08.2025 11:33 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Himbeergselchts

    Ja richtig, Beamte und Politiker zahlen nicht in dieses System! Sie bekommen aber auch nichts aus diesem System!

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  • FRUSTI13 am 22.08.2025 16:14 Uhr / Bewertung:

    Was für ein Nonsens! Selbständige zahlen jetzt schon mehr als genug. Man muss froh sein, wenn sich überhaupt noch jemand selbständig machen will, bei der Bürokratie und Abgabenlast!
    Der Herr Fratscher suggeriert mit seinen Argumenten, dass die Rentner die letzten 50-70 Jahre auf der faulen Haut gelegen wären. Die meisten haben ein langes Arbeitsleben hinter sich, Kinder groß gezogen, und die Männer dieser Generationen haben noch Wehrdienst bzw. Zivildienst geleistet! Was denn noch??

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