"Rentenkürzung durch die Hintertür": Wen ein höheres Eintrittsalter hart trifft

Rund 63 Prozent der Deutschen würde am liebsten mit 63 Jahren oder früher in Rente gehen, wie eine Studie des gemeinnützigen Demografienetzwerks aus dem Herbst vergangenen Jahres zeigt. Auf dementsprechend wenig Gegenliebe dürfte die Empfehlung des wissenschaftlichen Beraterkreises von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) stoßen, den Renteneintritt an die Lebenserwartung zu koppeln – nach dem Vorbild Dänemarks.
Bei den nordischen Nachbarn wurde dieses Jahr festgelegt, dass das Renteneintrittsalter dort bis 2040 auf 70 steigen soll. Gemäß den aktuellen Prognosen würde es bis 2060 sogar auf 73 ansteigen.
Eins zu eins lassen sich diese Zahlen aber nicht auf Deutschland übertragen. Schließlich ist die dänische Gesellschaft nicht so überaltert wie die deutsche und die Geburtenrate höher. Für die Idee, dass das Eintrittsalter auf 70 oder mehr hochgeschraubt werden könnte, ist Ministerin Reiche jedenfalls offen.

In einem Interview mit der "FAZ" sagte die CDU-Politikerin diesen Sommer: "Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen."
Ökonomen: "Wir werden mehr arbeiten müssen"
Ihre Berater kommen nun in ihrem Papier zum selben Schluss. Sie setzen sich aus einer Reihe an renommierten Wirtschaftswissenschaftlern zusammen, wie etwa die Wirtschaftsweise Veronika Grimm von der TU Nürnberg. Ihr Argument: "Wir werden mehr arbeiten müssen, wenn wir den Umfang der Sozialversicherungen bewahren wollen, ohne zeitgleich den nachfolgenden Generationen noch mehr Lasten zu hinterlassen", heißt es laut "Bild" in der Studie.
Das Vorbild Dänemark ist mit seinem flexiblen Renteneintrittsalter keine kuriose Ausnahme. Auch die Niederlande, Schweden und Finnland setzen auf eine Kopplung mit der Lebenserwartung. Das Ifo-Institut befürwortet etwa die niederländische Zwei-zu-Eins-Faustregel: Drei zusätzliche Jahre Lebenserwartung bedeuten demnach, zwei Jahre länger zu schuften und ein Jahr extra von der Rente zu leben.
Auf Deutschland übertragen hieße das: Bis Mitte der 50er-Jahre würde das Renteneintrittsalter auf 69 steigen – ausgehend von der derzeitigen Prognose für die Entwicklung der Lebenserwartung. Momentan liegt diese für Frauen bei 83,5 Jahren und für Männer bei 78,9 Jahren. Im Schnitt beziehen Männer knapp 19 Jahre und Frauen rund 22 Jahre Rente.
VdK und DGB lehnen höheres Eintrittsalter ab
Gewerkschaften und Sozialverbände können mit so einer Kopplung nur wenig anfangen. Verena Bentele, Präsidentin vom Sozialverband VdK Bayern, sagt dazu: "Solche Forderungen sind ökonomisch einseitig, sozialpolitisch unfair und fantasielos." Unfair sei eine solche Forderung nicht etwa für Professoren, sondern für Bauarbeiter, die vorzeitig aus dem Beruf ausscheiden müssen und keinen anderen Job mehr im höheren Alter finden.
Der DGB warnt vor einer "Rentenkürzung durch die Hintertür": "Wer viele Jahre hart arbeitet, hat eine deutlich geringere Chance, gesund ein hohes Lebensalter zu erreichen." Das zeige sich daran, dass Menschen mit langen Erwerbsbiografien und belastenden Arbeitsbedingungen deutlich früher als der Bevölkerungsdurchschnitt sterben. Im Klartext heißt das: Es bleibt für sie weniger Zeit, um von ihrer Rente auch etwas zu haben.
VdK will Beamte in die Rente einzahlen lassen
VdK-Präsidentin Bentele plädiert stattdessen für eine gesetzliche Rentenversicherungspflicht für alle Erwerbstätigen, inklusive Politiker und Beamte. Das sehen wiederum Ökonomen wie etwa vom Ifo-Institut kritisch: Beamte hätten im Mittel eine höhere Lebenserwartung als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das heißt, die Lasten würden so noch weiter steigen.
Verbindlich sind die Vorschläge des Beraterkreises nicht. Ohnehin ist für die gesetzliche Rente das SPD-geführte Bundesministerium für Arbeit und Soziales zuständig. Und erst vor einigen Monaten hatte die Regierung zu dieser Frage auf den Koalitionsvertrag verwiesen: Eine Erhöhung des Eintrittsalters wird darin abgelehnt.