„Wir sind die linke Mitte“
Während Schwarz-Gelb schwächelt, ziehen bei SPD, Grünen und Linken viele schon gemeinsam die Strippen für 2013. Ein Grünen-Politiker erklärt, was auf Deutschland mit Rot-Rot-Grün wartet
BERLIN Rechnerisch hätte Rot-Rot-Grün in den Umfragen schon jetzt eine Mehrheit. Nun arbeiten in den drei Parteien immer mehr Mitglieder über die Grenzen hinweg an einer Perspektive für ein solches Bündnis. Es gibt sogar zwei Plattformen: eine „Denkfabrik“ um die gescheiterte Ex-Chefin der Hessen-SPD, Andrea Ypsilanti. Und in Berlin haben sich 25 junge Bundestagsabgeordnete von SPD, Linken und Grünen zu einem „Oslo-Kreis“ zusammengefunden, um die Grundlagen für ein rot-rot-grünes Bündnis ab 2013 zu legen – eine Koalition, wie sie in Norwegen bereits praktiziert wird. Die AZ sprach mit dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler (24), der dem Kreis angehört.
AZ: Herr Kindler, Sie unterstützen einen Aufruf junger Bundestagsabgeordneter von SPD, Linken und Grünen, die für 2013 eine rot-rot-grüne Koalition planen. Wie soll das mit der zerstrittenen Linken funktionieren?
SVEN-CHRISTIAN KINDLER: Die Linkspartei muss in den nächsten zwei, drei Jahren klären, welche Richtung sie einschlagen will. Ob sie sich für pragmatische Regierungsmodelle mit SPD und Grünen öffnen und damit für mehr soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Bürgerrechte einsetzen möchte. Oder ob sie es sich mit einer Verweigerungshaltung weiter in der Opposition bequem macht.
Die Idee zu dem Aufruf soll in einem rot-rot-grünen Zirkel entstanden sein. Ist das ein sagenumwobener Geheimbund wie einst die Pizza-Connection junger schwarzer und grüner Politiker bei einem Edel-Italiener in Bonn?
Im Gegenteil: Das ist ein offener und konstruktiver Gesprächskreis aus 25 jüngeren, pragmatischen Abgeordneten von SPD, Linkspartei und Grüne, der sich bereits zweimal getroffen hat. Wir planen auch einen Sommerempfang, zu dem wir breit einladen wollen: Akteure der Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände, Wissenschaftler. Und es soll eine Sommertour in die Wahlkreise geben. Es reicht eben nicht aus, bei Rot-Rot-Grün 2013 nur an eine reine Machtkonstellation zu denken. Wir brauchen eine Bewegung dafür, gesellschaftlichen Druck.
Warum haben Sie den Aufruf ausgerechnet in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" lanciert?
Warum nicht?
Man könnte bei Ihrem Wählerklientel ja auch an die „taz" denken. Die „FAS" gilt ja eher als bürgerliches Blatt.
Auch in diesem Milieu wollen wir Ängste und Vorurteile vor Rot-Rot-Grün abbauen. Von daher ist das doch gar nicht schlecht gewählt.
Warum sind Ihnen junge Linke und Sozis eigentlich sympathischer als junge Liberale oder Konservative?
Das ist nicht alleine eine Frage der Sympathie. Ich gehe ja auch mit Jungen Liberalen weg. Was Rot-Rot-Grün eint, sind gemeinsame Ziele wie Bürgerversicherung, Finanztransaktionssteuer oder Atomausstieg. Und ein basisdemokratischeres Politikverständnis - wir diskutieren einfach mehr. Gerade die Leute von der Jungen Union denken dagegen sehr hierarchisch. Und wir sind anders sozialisiert, kennen uns von Demos gegen Nazis oder den Castor, sind in sozialen Bewegungen und Gewerkschaften aktiv.
Was unterscheidet Ihren „Oslo-Kreis“ vom Politikverständnis der in Amt und Mandat ergrauten Chefs?
Es geht uns nicht mehr darum, in alten Grabenkämpfen zu verharren und sich die Geschichten von vor 20 Jahren vorzuhalten, wie es vielleicht bei älteren Leuten von SPD, Linken oder Grünen noch der Fall ist. Wir diskutieren ideologiefreier, pragmatisch und in die Zukunft gerichtet darüber, welche solidarischen Antworten auf die Wirtschaftskrise die Gesellschaft jetzt braucht.
Wo trifft sich der Kreis?
Wir haben uns im „Pasternak" getroffen, einem russischen Restaurant in Prenzlauer Berg. Und in der „White Lounge" an der Spree haben wir darüber diskutiert, was eigentlich der Begriff „linke Mitte" meint.
Wo hakt's noch am meisten in der linken Mitte?
Bei der Außenpolitik müssen wir uns noch verständigen. So wichtig es ist, die Rüstungsausgaben zu kürzen und bei der zivilen Krisenprävention einen neuen Aufschlag zu machen, sollte sich Deutschland in begründeten Fällen auch an internationalen Friedenseinsätzen der UNO beteiligen. Nicht immer, nicht überall. Aber etwa im Sudan oder vor der Küste Libanons halte ich das für sinnvoll. Da muss sich die Linkspartei noch bewegen. Auch über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und wie und wann ein verantwortbarer militärischer Abzug gestaltet werden kann, müssen wir noch diskutieren.Interview: Markus Jox
- Themen:
- Andrea Ypsilanti
- Bundeswehr
- Gewerkschaften
- SPD
- UNO