Taliban rücken immer näher an afghanische Hauptstadt Kabul
Mit Tirinkot in der Provinz Urusgan und Kalat in der Provinz Sabul haben die militant-islamistischen Taliban zwei weitere Provinzhauptstädte im Süden des Landes übernommen. Das bestätigten lokale Behördenvertreter der Deutschen Presse-Agentur am Freitag.
Demnach sind beide Städte friedlich an die Islamisten übergeben worden. Damit haben die Taliban binnen einer Woche 18 der 34 Provinzhauptstädte eingenommen.
In Tirinkot mit geschätzt 116.000 Einwohnern hätten sich alle Sicherheitskräfte den Taliban ergeben, sagte ein Parlamentarier. Sie hätten ohnehin nirgendwohin fliehen können, weil alle Straßen aus der Stadt von den Islamisten blockiert worden seien.
Die Hauptstadt der Nachbarprovinz Sabul, Kalat mit geschätzt 44.000 Einwohnern, sei ebenso kampflos an die Islamisten übergeben worden, hieß es weiter. In den vergangenen Wochen noch hatten die Sicherheitskräfte sich immer wieder Gefechte mit den Taliban am äußeren Ring der Stadt geliefert.
Zweitgrößte Stadt Afghanistans eingenommen
In der Nacht zum Freitag (Ortszeit) war die zweitgrößte Stadt Kandahar im Süden des Landes an die Taliban gefallen, am Freitagmorgen noch die wichtige Stadt Laschkargah in Kandahars Nachbarprovinz Helmand.
Firus Koh in der Provinz Ghor im Westen des Landes sei von den Islamisten übernommen worden, bestätigten ein Provinzrat und eine Parlamentarierin der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Damit fiel die 15. Provinzhauptstadt innerhalb einer Woche an die Taliban.
Die Stadt mit geschätzt 130.000 Einwohnern sei ohne jeglichen Widerstand von den Islamisten übernommen worden, sagte der Provinzrat Fasel-ul Hak Ehsan. Die Sicherheitskräfte und mehrere Regierungsvertreter hätten sich in eine Militärbasis in der Stadt zurückgezogen.
Die Abgeordnete Fatima Kohistani, die die Provinz im Parlament vertritt, machte dem Gouverneur von Ghor Vorwürfe. Dieser habe fliehen wollen, aber als ihm das nicht gelungen sei, habe er die Stadt an die Islamisten praktisch übergeben. Die Sicherheitskräfte und Offiziellen in der Militärbasis würden nun darauf warten, dass die Taliban ihnen Autos geben würden, damit sie die Stadt verlassen könnten. Es seinen praktisch keine Menschen geflohen, sagte die Parlamentarierin weiter. Viele hätten die gleichen Einstellungen wie die Taliban.
Mit Firos Koh haben die Taliban binnen einer Woche 15 der 34 Provinzhauptstädte eingenommen. In der Nacht zu Freitag (Ortszeit) war die zweitgrößte Stadt Kandahar im Süden des Landes an sie gefallen, am Freitagmorgen noch die wichtige Stadt Laschkargah in Kandahars Nachbarprovinz Helmand.
Drei Großstädte noch in Händen der Regierung
Die Aufständischen nähern sich damit weiter einer völligen militärischen Machtübernahme im Land. Drei Großstädte, darunter die Hauptstadt Kabul, sind noch unter Kontrolle der Regierung. Es gibt Berichte über Angriffe auf weitere kleinere Provinzhauptstädte des Landes.
Laschkargah in der Provinz Helmand war seit Wochen schwer umkämpft. Viele Afghanen gingen aufgrund der heftigen Angriffe davon aus, dass sie die erste wichtige Stadt sein werde, die an die Islamisten fällt. Als die Regierung Ende Juli nur mehr zwei der zehn Polizeibezirke in der Stadt mit geschätzt 200.000 Einwohnern hielt, wurden aus Kabul noch einmal Spezialkräfte entsandt. Diese schafften es mit Unterstützung durch viele Luftangriffe der afghanischen und der US-Streitkräfte zunächst, die Lage zu stabilisieren, wobei aber auch ein Krankenhaus und eine Universität getroffen wurden.
Sicherheitskräfte verließen die Stadt
Nach anhaltenden schweren Angriffen und dem Einsatz auch von Autobomben gegen das noch von der Regierung gehaltene Polizeihauptquartier allerdings wendete sich die Situation in der Nacht zu Freitag zugunsten der Taliban. Der Provinzrat Abdul Madschid Achundsada sagte am Freitagmorgen (Ortszeit), die Taliban hätten die gesamte Stadt eingenommen. Der Kommandeur des 205. Armeekorps, Sami Sadat, sei mit dem Gouverneur ausgeflogen worden. Restliche verbliebene Sicherheitskräfte hätten die Stadt auf dem Landweg verlassen.
Am Freitagmorgen bestätigten Parlamentarier die Einnahme der zweitgrößten Stadt des Landes, Kandahar, durch die Taliban, ihre bislang wichtigste Eroberung. Kandahar mit seinen mehr als 650.000 Einwohner ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und das wirtschaftliche Zentrum des Südens. Kandahar war der Geburtsort der Taliban-Bewegung in den 1990er Jahren. Die Stadt diente zudem als Hauptstadt der Islamisten während ihrer Herrschaft zwischen 1996 und 2001.
Mehr als drei Wochen lang kam es innerhalb der Stadt zu schweren Zusammenstößen zwischen der Regierung und den Taliban in Kandahar, bevor die Sicherheitskräfte die Stadt räumten, sagte der Parlamentarier Gul Ahmad Kamin, der die Provinz im Parlament vertritt. Die Regierungstruppen hätten schließlich die wichtigsten Behörden verlassen und im 205. Armeekorps der Provinz Zuflucht gesucht.
Am Donnerstag alleine konnten die Islamisten drei Städte einnehmen - darunter die drittgrößte Stadt Herat und die strategisch wichtige Stadt Gasni, die nur 150 Kilometer von Kabul entfernt liegt. Vertreter der afghanischen Regierung haben die sich überschlagenden Ereignisse noch nicht kommentiert.
USA verlegten Streitkräfte
Mehrere Staaten bereiten sich mittlerweile auf die Evakuierung ihrer Botschaftsmitarbeiter und anderer Staatsbürger vor. Die US-Streitkräfte verlegen sofort rund 3000 zusätzliche Soldaten an den Flughafen in Kabul. Damit solle eine geordnete Reduzierung des US-Botschaftspersonals unterstützt werden, hieß es von einem Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Zudem verlegen die USA demnach bis zu 4000 weitere Soldatinnen und Soldaten nach Kuwait und 1000 nach Katar - für den Fall, dass Verstärkung gebraucht wird.
Der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan solle aber bis 31. August abgeschlossen werden, so der Sprecher am Donnerstag (Ortszeit). Auch Großbritannien will rund 600 zusätzliche Soldaten schicken, um die Rückführung von Briten aus Afghanistan zu sichern. Zuletzt hatte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag im Weißen Haus erklärt, die Afghanen müssten nun "selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen".
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