Van der Bellen und die Öster-Leichterung

Es wird also doch keinen rechtspopulistischen Bundespräsidenten geben in Österreich. Alles gerade noch einmal gut gegangen? Der Eindruck könnte täuschen - Ein Kommentar von AZ-Online-Chef Stephan Kabosch.
München - Österreich hat es also geschafft und im vierten Anlauf ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Das Ergebnis ist nicht mehr "arschknapp" (O-Ton Van der Bellen nach der ersten Stichwahl im Mai), sondern überraschend deutlich. Die Wähler haben den Einzug eines Rechtspopulisten in die Wiener Hofburg abgewendet, der EU-freundliche Alexander Van der Bellen wird neuer Bundespräsident. Ein guter Tag für Österreich, ein guter Tag für Europa? Ja, mit Sicherheit ein guter Moment. Ein Grund zum Aufatmen auf jeden Fall. Aber die Atempause könnte kurz sein.
Van der Bellen hat gewonnen, weil er in der entscheidenden Phase dieses fast ein Jahr währenden Dauerwahlkampfs ein breites Bündnis hinter sich vereinen konnte: Politiker aus dem sozialdemokratischen und dem bürgerlichen Lager, Industrielle und Künstler. Er hat die Wahl aber nicht etwa deshalb für sich entschieden, weil er mit seiner Person und mit seinen Positionen zu einer überparteilichen Lichtgestalt geworden wäre. Alexander Van der Bellen wird Bundespräsident, weil eine mehr oder weniger große Mehrheit der Österreicher Norbert Hofer und die FPÖ ausdrücklich nicht wollte. Weil sie nicht möchte, dass Hetze und Intoleranz salonfähig werden, weil sie Furcht hat vor einem Klima der Fremdenfeindlichkeit und des Nationalismus, weil sie ihr Land nach wie vor zentral eingebettet sieht in der europäischen Integration und nicht bestenfalls noch am Rand in der Gemeinschaft etwa eines Ungarn von Viktor Orbán. Für viele aus diesem "anderen Österreich" war Van der Bellen das kleinere Übel.
Angesichts der Klarheit des Ergebnisses konnte die FPÖ gar nicht anders, als den Sieg des Wirtschaftsprofessors noch am Sonntag anzuerkennen. Die Rechtspopulisten in der Alpenrepublik und wohl auch in anderen europäischen Ländern haben einen Dämpfer erhalten. Aber vermutlich schon morgen wird Parteichef Heinz-Christian Strache versuchen, diese Niederlage als den größten Erfolg ihrer Geschichte zu verkaufen, was ihm bei einem Stimmenanteil von 35 Prozent im ersten Wahldurchgang (damals noch mit sechs Kandidaten) und 46 Prozent in der entscheidenden Stichwahl nicht schwerfallen wird. Und spätestens übermorgen dürfte die FPÖ die Klingen schärfen für einen nächsten, noch viel wichtigeren Wahlkampf - jenen um den Nationalrat, der spätestens im Jahr 2018 gewählt wird.
Ein Kanzler Strache ist nicht unwahrscheinlicher geworden
Da sind dann auch wieder die beiden Gründungsparteien der Zweiten Republik im Spiel, die bei der Bundespräsidentenwahl marginalisierten einstigen Großparteien SPÖ und ÖVP. Die Große Koalition in Wien muss endlich Erfolge vorweisen: in der Bildungspolitik, der Wirtschaftspolitik, der Beschäftigungspolitik - mitunter Felder, in denen Österreich viele Jahre lang zur europäischen Spitze zählte und inzwischen den Anschluss verloren hat. Dringend notwendige Reformen gehen Rot und Schwarz nach wie vor bestenfalls halbherzig an. Dazu kommt, dass auch nach der Wahl vom Sonntag der Frust und der Protest bleiben werden, die Vorstellung von einem Rechtspopulismus und Nationalismus als ein Gegengewicht zu einer aus dem Ruder gelaufenen Globalisierung und zu den unzureichenden Antworten auf die Flüchtlingskrise. All das hat den Aufstieg der Strache-Partei weiter beflügelt.
Auch wenn die FPÖ den Kampf um die Hofburg verloren hat: Das Ergebnis hat gezeigt, wie groß ihr Potenzial ist, diesen Frust und diesen Protest zu sammeln. Österreich hat am Sonntag einen Bundespräsidenten Norbert Hofer verhindert. Ein Kanzler Heinz-Christian Strache ist dadurch nicht weniger wahrscheinlich geworden.