Unionsfraktion im Bundestag für Sexkaufverbot – das sagen Sexarbeitende zu dem Nordischen Modell
Berlin - Die Datenlage ist unklar. Offiziell 23.700 Menschen waren 2021 bei den Behörden als Prostituierte nach dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) gültig angemeldet. Die Dunkelziffer ist groß: Es gibt Schätzungen, die von bis zu 400.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Deutschland ausgehen. Ein Vielfaches mehr nimmt die Dienste wiederum in Anspruch – Schätzungen hierzu gehen in die Millionen.
Debatte um Nordisches Modell: Ein Sexkaufverbot für Freier
Politisch schien das Thema immer etwas unter dem Radar zu laufen. Das änderte sich allerdings als das EU-Parlament Mitte September dieses Jahres ein einheitliches Vorgehen zum Thema forderte – und mit dem aktuellen Unions-Vorstoß. Seither wird über die Einführung des Nordischen Modells diskutiert, das ein Sexkaufverbot zur Folge hätte. Die Freier würden dann bestraft, um so die Zahl der Prostituierten insgesamt zu senken.
Aussagen wie die von Dorothee Bär seien realitätsfremd und falsch, sagt Johanna Weber, politische Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), der AZ. Sie selbst hätte als Sexarbeiterin schon in verschiedensten Einrichtungen gearbeitet und es könne gar nicht stimmen, dass Zustände, wie sie die CSU-Politikerin beschreibt, in Massen vorkämen.

Weber warnt vor möglichen Folgen des Verbots: Sexarbeitende seien weniger geschützt
Weber ist seit 30 Jahren in der Sexarbeit tätig. Angefangen in klassischen Wohnbordellen ist sie mittlerweile eine sogenannte "Bizarrlady" – eine Domina, die auch Geschlechtsverkehr mit ihren Klienten hat. Diese beschreibt sie als "klassischen Durchschnitt der Gesellschaft". "In der Debatte wird immer nur über uns anstatt mit uns gesprochen", sagt Weber. Gerade Menschen, die meinten zu wissen, was das Beste sei und Prostituierte "retten wollen" seien sehr schwierig.
Weber warnt vor den Folgen eines Sexkaufverbots. Die Kundschaft der zahlreichen Sexarbeiterinnen würde sich dann strafbar machen und größtenteils wegfallen. "Die verbleibenden Kunden sind dann diejenigen, die es mit Recht und Ordnung ohnehin nicht so genau nehmen", sagt sie. Verboten wären alle Bordelle, Terminwohnungen und Studios. So müsse sich Sexarbeit dann in den privaten, ungeschützten Bereich verlagern. All das sorge, so Weber, dann zu weniger Schutz der Sexarbeitenden.
Es ginge um die Abschaffung der Prostitution, so Weber
Im Vergleich findet Weber die Gesetzeslage für Sexarbeit in Deutschland gar nicht so schlimm: "Die Bedingungen sind zum Teil sehr gut", sagt sie. Dennoch gebe es Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse gegen die vorgegangen werden müsse. Zudem sei die gesellschaftliche Stigmatisierung von Sexarbeitern noch sehr hoch.
Das Nordische Modell werde an dieser Situation aber nichts verbessern, sagt Weber. Es sei weltweit im Gespräch und weltweit würden alle Prostituiertenorganisationen es ablehnen. "Es geht nicht darum, uns zu helfen, sondern um die Abschaffung der Prostitution."
Auch männliche Sexarbeiter müssen in der Debatte gehört werden
Die Perspektive männlicher Sexarbeiter – auch "Callboys" genannt – müsse ebenso gehört werden, sagt Noah Danke, ehemaliger Callboy und mittlerweile Betreiber der Seite callboy-verzeichnis.com, der AZ. "Ein Sexkaufverbot wird viele Frauen in die Illegalität treiben." Und zwar sowohl Sexarbeiterinnen als auch Kundinnen.

Dankes ehemaliges Klientel waren nämlich ausschließlich Frauen und er habe gemerkt, dass für sie die Inanspruchnahme eines Callboys teils mehr war als nur Sex. Es sei etwa auch darum gegangen, den Frauen einen geschützten Bereich und eine Schulter zum Anlehnen zu geben.
"Ich hatte Klientinnen, die eine Vergewaltigung erlebt haben und einen Callboy engagieren, um die Sicherheit zu behalten und Regisseurin zu bleiben." Diese Einzelschicksale würden in der Debatte nicht berücksichtigt, so Danke.
Die nächsten Entscheidungen werden erst ab 2025 getroffen
Mehr organisierte Kriminalität und weniger Sicherheit wären die Folge eines Verbotes, so Danke. Hilfsangebote müssten geschaffen und ausgebaut werden. Wenn Zwang stattfindet, dann müsse man das, laut Danke, auch härter bestrafen. Aber: "Ich bin schockiert, wie die Debatte auf einmal aufgekeimt ist – da hängen Existenzen dran!"
Die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter würden als Opfer stilisiert. "Man bekommt den Eindruck, niemand macht das freiwillig." Das sei aber nicht der Fall: "Ich kenne nur Sexarbeiter, die das freiwillig machen und ich kenne auch viele Frauen, denen das Spaß macht."
Für Danke ist sein Portal wichtig und erhaltenswert. "Es geht um ein Grundbedürfnis und das ist menschlich – Callboys lassen die Klientinnen schlussendlich in einem besseren Zustand gehen als sie gekommen sind."
Auch Weber findet, die Debatte kommt zum falschen Zeitpunkt. Im Jahr 2025 werden die Ergebnisse der Evaluation des 2017 verabschiedeten Prostituiertenschutzgesetzes erwartet. "Erst dann kann man konkret sagen, was wirklich verbessert werden muss.
Das ist das Nordische Modell
Das Nordische Modell ist eine Form des Verbots von Prostitution. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern werden in Staaten mit dem Modell nicht die Prostituierten, sondern die Freier kriminalisiert (Sexkaufverbot). Schweden war 1999 das erste Land, welches dieses Gesetz eingeführt hat. Befürworter des Modells und die entsprechenden Länder bewerten es meist als Erfolg im Kampf gegen Menschenhandel. Kritiker befürchten etwa eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, zu viel Strafverfolgung, Verlagerung der Dienste in den ungeschützten Raum oder eine Stigmatisierung von Prostituierten.
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- Dorothee Bär