Ex-Siko-Chef Heusgen kritisiert Baerbocks UN-Nominierung: "Unverschämtheit"
München/Berlin - Außenministerin Annalena Baerbock soll Präsidentin der UN-Generalversammlung werden – ein Schritt, der beim früheren Diplomaten Christoph Heusgen, selbst langjähriger außenpolitischer Berater von Angela Merkel und ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, für Kritik sorgt. Die Entscheidung, Baerbock vorzuschlagen, bezeichnet er gegenüber dem "Tagesspiegel" als "Unverschämtheit" und kritisiert, dass eine erfahrene Diplomatin wie Helga Schmid damit übergangen werde.
Politikerin statt Diplomatin: Heusgen bezeichnet Baerbock als Auslaufmodell
Schmid, derzeit Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), sei ursprünglich für den Posten im Gespräch gewesen. Die gebürtige Dachauerin genießt hohes Ansehen und verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in multilateralen Verhandlungen.

"Helga Schmid war Büroleiterin von Joschka Fischer, Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes, die das Iranische Nuklearabkommen verhandelt hat und dann Generalsekretärin der OSZE, die sie vor dem Auseinanderfallen geschützt hat." Die Entscheidung des Auswärtigen Amts, stattdessen die eigene Ministerin zu nominieren, sei "ein Affront gegen die internationale Diplomatie".
Die Kritik von Heusgen, der selbst CDU-Mitglied ist, fällt ungewöhnlich scharf aus: Dass Baerbock, die er ein "Auslaufmodell" nennt, nun ausgerechnet in einem Wahljahr für dieses prestigeträchtige Amt ins Rennen geschickt werde, lässt aus Sicht von Kritikern wie Heusgen parteipolitische Motive vermuten. "Ist das feministische Außenpolitik?", fragt Heusgen in Hinblick auf Baerbocks eigenes oft genutztes Schlagwort.
Sigmar Gabriel sieht falsches Signal in der Entscheidung
Heusgen ist mit seiner Kritik nicht allein. Auch der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) äußerte sich kritisch. Ohne Baerbock direkt zu nennen, lobte Gabriel öffentlich die Qualifikationen von Helga Schmid und sprach von einer verpassten Chance für die deutsche Außenpolitik. Die Personalentscheidung sende "ein falsches Signal an die internationale Gemeinschaft", so Gabriel.
Die Rolle der Präsidentin der UN-Generalversammlung ist, anders als die des UN-Generalsekretärs, vor allem repräsentativ, aber politisch nicht unbedeutend. Deutschland hätte mit Baerbock erstmals eine Frau auf diesem Posten. Im Auswärtigen Amt wird die Entscheidung verteidigt: Baerbock sei international anerkannt, vor allem für ihr Engagement in Fragen des Klimaschutzes, der feministischen Außenpolitik und ihrer klaren Haltung im Ukraine-Krieg.
Wahl von Baerbock gilt als gesichert
Trotz der Kritik gilt Baerbocks Wahl zur Präsidentin der 80. UN-Generalversammlung im Juni als nahezu sicher. Im September würde sie ihre einjährige Präsidentschaft antreten. Ihr Bundestagsmandat würde sie in dieser Zeit niederlegen.
Das letzte Mal, dass dieser Posten mit einem Deutschen besetzt wurde, war 1980 mit dem BRD-Diplomaten Rüdiger von Wechmar und 1987 mit dem stellvertretenden DDR-Außenminister Peter Florin. Ein Blick in die Liste der Personen, die den Posten seit 1946 bekleidet haben, zeigt aber auch: Die Präsidenten der UN-Vollversammlung wurden schon immer aus Politikern ihrer Länder wie auch Diplomaten besetzt.