Politischer Aschermittwoch: Wie ein Wall aus Witz
PASSAU - " Der Horst war doch heut’ wie der Franz Josef Strauß": CSU-Chef Horst Seehofer zeigt beim politischen Aschermittwoch in Passau, was er am besten kann: Als Redner eine Festhalle zum Kochen zu bringen.
Sie lässt ihre Hüften schwingen, tänzelt über das Parkett zur Marschmusik der Passauer Stadtkapelle – und darf sich ein bisserl wie ein Star fühlen: Stilla Spreng weiß, dass sich gleich alle Fotografen um sie scharen werden. „San mir ned guad?“ jubelt die 70-Jährige stolz und zieht ihren Mann Andreas (73) zu sich her. Übers Wochenende haben die beiden zwei Schilder gebastelt: „Seehofer ist unser Obama“. Und: „Yes we can mit Horst“.
Das bringt ihnen am 57. Aschermittwoch der CSU einen Ehrenplatz in der Dreiländerhalle ein. An Tisch Nummer 1 dürfen die Seehofer-Fans sitzen. Dafür hat sich Stilla rausgeputzt. Über ihren grauen Jeans-Anzug hat sie einen US-Schal mit Stars und Stripes geschlungen. Den hat sie in Deutschland gekauft. In den USA war sie noch nie. Ihr Tante-Emma-Laden, den sie in Nassenfels im Landkreis Eichstätt ihr ganzes Leben lang betrieb, ließ sie nie weg. Nassenfels, das ist Seehofer-Land. Vor drei Jahren kam das Paar zum ersten Mal zum Politischen Aschermittwoch. Damals kämpfte Seehofer noch gegen Erwin Huber. Und die Sprengs bastelten ein Schild: „Seehofer für Bayern und Deutschland!“ „Doch damit hat uns damals keiner beachtet“, sagt Andreas Spreng, der 25 Jahre CSU-Ortsvorsitzender von Nassenfels war. „Da schau hin“, dirigiert sie ihn zu den Kameras. „Heb’ dein Schild näher zu mir.“ Im vergangenen Jahr stand auf dem: „Edmund, wir vermissen dich“. Da waren sie die Einzigen. Heuer, beim dritten Anlauf, klappt es.
Zum dritten Mal ist auch ihr Idol Horst Seehofer erst beim Politischen Aschermittwoch in Passau. Vorher hatte ihn das schwarze Spektakel nicht gelockt. Diesmal sitzt er nicht mehr unten in der ersten Reihe bei den CSU-Honoratioren, denen die Partei auf jeden Tisch ein Schüsselchen mit Keksen gestellt hat. Diesmal ist er der Redner. Das zelebriert er wie kein anderer vor ihm, kostet jede Sekunde aus. Fünf Mal hintereinander muss die Passauer Stadtkapelle den Defiliermarsch spielen, bis Seehofer mit Gefolge die 50 Meter vom Eingang bis zum Podium zurückgelegt hat.
Stilla Spreng und ihr Mann dürfen mit ihren Obama-Schildern hinter ihm einziehen. Das sind die Bilder, die die CSU in die ganze Republik schicken will. „Ich fühle mich, als wäre ich hinter dem Kaiser von China marschiert“, sprudelt es aus ihr heraus.
Seehofer schaut eher wie der König von Bayern aus. Er trägt einen Trachtenanzug, sein Generalsekretär Alexander Dobrindt auch. Vize-Generalin Dorothee Bär darf im knallroten Dirndl strahlen. Karin Seehofer hat ein hellbraunes Fischgrät-Trachtenkostüm gewählt und ist sprachlos. Es ist ihr erster Aschermittwoch. „Ich bin beeindruckt von den Massen“, sagt sie zur AZ.
"Vielleicht gibt's den Seehofer im nächsten Jahr nicht mehr"
Vor allem die Neugierde hat 4000 CSU-Fans nach Passau gelockt. Sie wollen Seehofer sehen, wie er sich macht. „Der Saal ist bummvoll. Und das ist gut so“, jubelt CSU-Niederbayern-Chef Manfred Weber.
„Vielleicht gibt’s den Seehofer im nächsten Jahr nicht mehr“, sagt Heinrich Mohr (74) aus Bad Füssing, der schon zum 30. Mal mit dabei ist. „In der CSU ist das ja jetzt so eine Sache“, meint er.
Doch Seehofer setzt auf seine „Spätpensionierung“, als er um 10.45 Uhr die blaue Bühne erklimmt. Wie ein Wall aus Witz steht der 1,93-Meter-Hüne da. Wie eine Mauer des Lächelns. Bei seiner Aschermittwochs-Premiere hat er alle Rollen drauf: ein bisserl Obama. Ein bisserl Willy Brandt („Mehr Demokratie wagen“), ein bisserl Franz Josef Strauß, ein bisserl Edmund Stoiber. Vor allem aber sich selbst, den „Formel-Eins-Piloten“ der CSU.
"In der Kurve das Tempo wegnehmen"
„Damit Bayern auch in Zukunft vorne ist, muss man in der Kurve das Tempo wegnehmen“, erklärt er die Wirtschaftskrise, „und im rechten Augenblick wieder Gas geben.“ In Passau drückt Seehofer voll aufs Pedal: „Ich verstehe nicht, wenn eine Kassiererin wegen 1,30 Euro gekündigt wird und Manager, die Milliarden verscherbelt haben, noch immer im Amt sind.“ Das bringt die Zuschauer auf Hochtouren.
„Niemand im Saal hätte geglaubt, dass der Horst Seehofer hier stehen wird. Ich auch nicht“, kokettiert er. „Wir hatten in der CSU ein bisschen Rotationsprinzip.“ Er lästert über Bayerns Oppositions-Chef Franz Maget: „Irren ist menschlich. Immer irren ist sozialdemokratisch.“ Bayerns Bald-SPD-Chef Florian Pronold macht er nieder: „Sein Superman-Kostüm ist dem Spargel-Tarzan zu groß.“
Zur Grünen Claudia Roth wird er musikalisch: „Bei ihr fällt mir der Schlager ein: Eine Träne geht auf Reisen.“ Die abtrünnige CSU-Rebellin Gabriele Pauli nennt er „Glühwürmchen“ und warnt: „Die will die Türkei in die EU holen.“ Seehofer gibt ein bisserl den Büttenredner, als wäre er noch beim Ingolstädter Faschingsverein, spricht die CSU-Fangemeinde als „Liebe schwarzen Schwestern und Brüder“ an. Und er prostet ihr zu: „Da ist fei Bier drin. Hoffentlich bin ich noch bei Sinnen am Ende meiner Rede.“ Das kommt an.
Ein "Vertrauenspakt zwischen Bevölkerung und Politik"
Er verspricht die CSU zur „frischesten und modernsten Partei“ Deutschlands zu machen. Fordert „mehr Demokratie und Mitbestimmung des Volkes“. Und: „einen Vertrauenspakt zwischen der Bevölkerung und der Politik, damit wir Neues wagen“. Er geißelt den „Spekulations-Kapitalismus“, verlangt eine „Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft“ und sagt, wie es geht: „Fleiß statt Raffgier. Substanz statt Luftnummern.“
Er zieht alle Register: „Es gibt nichts Schöneres, als sich für die kleinen Leute einzusetzen.“ Er hetzt gegen Fremde: „Wer zu uns kommt, muss Deutsch können. Wer es nicht kann, soll es gefälligst lernen. Wir Bayern haben es auch lernen müssen.“ Seehofer schaltet noch einen Gang höher. „Für die Insassen von Guantánamo sind zuerst die Amerikaner verantwortlich. Wir sind doch nicht das Sozialamt für die ganze Welt. Wir sind keine Rehaklinik.“ Die Halle tobt. Dann macht er noch ein bisschen auf Mitleid, damit seine Turbo-Fahrt als noch größere Leistung erscheint. „Bis gestern Abend war ich im Bett gelegen. Mit einem Grippe-Virus.“ Karin Seehofer ist da ein bisserl irritiert. „An Husten hat er gehabt“, sagt sie zur AZ. Er dagegen jammert: „Ich habe Kreislaufprobleme und zwischendrin sogar an Müntefering gedacht.“ Der war 2005 im Saarland zusammengesackt.
Stilla Spreng ist selig. Während die Menge nach der 75- minütigen Rede „Zugabe, Zugabe“ johlt, springt sie in die Luft: „Super, super! Besser geht’s gar nicht mehr! Der Horst war doch heut’ wie der Franz Josef Strauß.“ An den Obama auf ihrem Schild denkt sie da nicht mehr.
Angela Böhm