Interview

Politik-Expertin Ursula Münch über Krieg in der Ukraine: "Es gibt nicht die eine Lösung"

Der Krieg in der Ukraine jährt sich am Freitag. Die AZ hat mit der Politik-Expertin Ursula Münch über seine Auswirkungen und die von Kanzler Scholz angekündigte "Zeitenwende" gesprochen.
Heidi Geyer |
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Der Krieg in der Ukraine jährt sich heute. Die AZ hat mit der Politik-Expertin Ursula Münch über seine Auswirkungen und die von Kanzler Scholz angekündigte "Zeitenwende" gesprochen.
Der Krieg in der Ukraine jährt sich heute. Die AZ hat mit der Politik-Expertin Ursula Münch über seine Auswirkungen und die von Kanzler Scholz angekündigte "Zeitenwende" gesprochen. © picture alliance/dpa/AP

AZ Interview mit Ursula Münch: Die 62-Jährige ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München sowie Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See.

AZ: Frau Münch, der Angriff auf die Ukraine jährt sich heute. Hatten Sie sich vorher vorstellen können, dass so etwas passiert?
URSULA MÜNCH: Nein. Ich gehöre zu denen, die gehofft hatten, dass das schon noch mal gut gehen würde. Ein paar Tage nach dem Einmarsch hatte ich eine Lehrveranstaltung an der Universität der Bundeswehr. Die Öffentlichkeit war ja insgesamt geschockt, aber im Gespräch mit den studierenden Offiziersanwärtern wurde mir klar, welch gravierende Folgen die "Zeitenwende" hat.

Ursula Münch
Ursula Münch © IMAGO/Jürgen Heinrich

"Die Friedensbemühungen von Angela Merkel waren zu optimistisch"

Im Nachhinein ist man immer schlauer. Dennoch: Was hat Deutschland in der Sicherheitspolitik falsch gemacht?
Ich maße mir keine Verurteilung politisch Verantwortlicher an. Natürlich waren die Sanktionen mit Blick auf die Krim zu wenig, um Putin einzubremsen. Die Friedensbemühungen von Angela Merkel, Putin "einzuhegen", waren zu optimistisch. Mit Blick auf die Energiepolitik sind wir von einer wechselseitigen Abhängigkeit ausgegangen, schließlich haben wir ja auch Technologie geliefert. Aber es war naiv, darauf zu setzen, dass diese wechselseitige Abhängigkeit Putin in seinem Machtstreben aufhalten könnte. Aber ich richte dennoch auf niemanden den Finger. Wir haben zu wenig auf die Erkenntnisse zum Beispiel der Osteuropawissenschaft gehört. Außerdem hat Corona sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Tut Olaf Scholz denn nun das Richtige?
Ich bin immer ein bisschen hin- und hergerissen. Ich glaube nicht, dass es die eine richtige Lösung gibt, zumindest keine, die jetzt schon feststeht. Im Großen und Ganzen finde ich, dass der Kanzler nicht zögerlich, sondern umsichtig handelt und dass das größtenteils richtig ist. Ich bin froh, dass niemand in der Regierung vorgeprescht beziehungsweise an unseren Verbündeten und vor allem den USA vorbeigeprescht ist. Vielleicht sagen wir in einem halben Jahr oder einem Jahr, dass wir schneller hätten sein müssen, die Forderungen der Ukraine zu erfüllen. Nur: Es ist gleichzeitig auch die andere Lesart möglich. Nämlich, dass man Putin zu einer massiven Überreaktion provoziert hätte.

Annalena Baerbock scheint Scholz schon zum Jagen tragen zu wollen.
Ich kann verstehen, dass die Außenministerin die Ukraine noch mehr unterstützt sehen will. Nur fand ich die Art und Weise unangemessen, diesen Streit über Bande zu spielen. Etwa die Amerikaner und französische Medien zu nutzen, um die eigene Position durchzubringen. Das war vermeintlich gewieft. Aber aus meiner Sicht ist es ihr nicht gelungen und ich fand es ein wenig anmaßend, es gilt schließlich das Prinzip der Richtlinienkompetenz des Kanzlers.

Zugleich ist Baerbock sehr populär. Wie beurteilen Sie ihre Leistung?
Mit Ausnahme des Amtsvorgängers genießen Bundesaußenminister immer ein hohes Ansehen. In anderen Ressorts ist der Bürger unmittelbar betroffen. Ob es eine Autobahn gibt oder nicht, das merken die Leute. Bei Außenpolitik ist das anders: Wie registriere ich als Bürger oder vor allem Bürgerin feministische Außenpolitik?

Grünen geht es nicht um Interessenspolitik, sondern "um Menschenrechte"

Was halten Sie denn von diesem viel kritisierten Begriff?
Ich bin kein Fan dieses Ausdrucks. Gleichwohl spielen Frauen in internationalen Konflikten eine große Rolle, die bisher zu wenig betrachtet wird. Den Punkt kann ich nachvollziehen. Das Kämpferische, das im Begriff steckt, damit kann ich nur wenig anfangen.

Der Kosovo-Konflikt hätte die Grünen fast zerrissen. Woher kommt dieser Wandel in Bezug auf Waffen?
Es hat sich schon angedeutet. Habeck hatte sich schon vor dem Krieg dafür stark gemacht, dass die Ukraine Waffen bekommt. Die Grünen sehen die Außenpolitik weniger als Interessenpolitik von Staaten, sondern es geht ihnen um Menschenrechte. Man muss auch sehen, dass die Grünen immer schon der russischen Staatsführung gegenüber reserviert waren und auch skeptisch sind in Bezug auf die Volksrepublik China.

Noch weiß man nicht, wie die zukünftige deutsche Sicherheitspolitik aussehen soll. Was halten Sie für zentral?
Die Frage ist, welche Konsequenzen man aus der aktuellen Krise zieht. Verlässt man sich auf Europa und gesteht sich selbst ein, dass die Amerikaner doch auch andere Interessen haben? In Europa sehe ich derzeit noch kein eigenes Sicherheitskonzept. Die aktuelle Entwicklung deutet nicht darauf hin, dass wir es uns erlauben könnten, uns von den Amerikanern abzuwenden. Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass die Bundeswehr noch nie in der Lage war, das Territorium der Bundesrepublik zu verteidigen. Da lügt man sich in die Tasche, und wir müssen realistisch sein, dass wir uns nicht autonom ohne Verbündete verteidigen können. Dennoch kommen wir nicht um die angekündigte Zeitenwende herum. Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr werden aber nicht reichen.

Der globale Süden hat auf der Sicherheitskonferenz dem Westen Untätigkeit vorgeworfen. Geht Putins Strategie hier auf, gewinnt er den Süden für sich?
Diese Länder pokern auch ein bisschen. Das ist verständlich, weil sie jetzt Aufmerksamkeit bekommen. Gleichzeitig fällt es uns schwer zu verstehen, dass es Länder gibt, die den Ukraine-Krieg völlig anders bewerten. Im Grunde geht es um die Anerkennung des Völkerrechts, der Gültigkeit von Grenzen und damit der Souveränität von Staaten. Für welche Seite sich die Staaten des Südens entscheiden, kann man nicht absehen. Die Wahrnehmung ist sicher oft: Ihr interessiert euch jetzt für uns, weil ihr Verbündete braucht. Hinzu kommt, dass die "Governance" in vielen dieser Länder problematisch ist: Korruption ist an der Tagesordnung. Zugleich muss man auch sagen, dass schon sehr viel Geld in Entwicklungszusammenarbeit geflossen ist. Es ist nicht so, dass der Westen nie etwas getan hätte.

China bietet sich als Vermittler an. Ist das sinnvoll?
Das ist aus meiner Sicht keine beruhigende Ankündigung. Mein Eindruck war, dass die chinesischen Positionen auf der Sicherheitskonferenz eher besorgniserregend waren. Die Chinesen sprechen bis heute von einer Krise, nicht von einem Krieg. Wie kann man unter so einer Prämisse eine Lösung finden, die aus ukrainischer Sicht akzeptabel ist? Zumal in China der "Konflikt", also der russische Angriffskrieg, als Provokation der Amerikaner dargestellt wird.

Mönch setzt auf Friedensverhandlungen

Wirtschaftlich sind wir von China ohnehin abhängig, speziell in Bayern.
In der Tat. Die Industriepolitik kann das nur teilweise ausgleichen, das sieht man beispielsweise bei den Subventionen für die Ansiedlung von Chip-Fabriken. Aber Autarkie werden wir nicht erreichen, das wäre auch nicht sinnvoll. Wir müssen schlicht auf mehrere Pfeiler setzen. Eines muss man aber auch sehen: Diese Entscheidungen hat ja nicht die Politik getroffen, sondern viele Unternehmen. Der Staat kann nur gewisse Rahmenbedingungen setzen. Ich möchte aber an dieser Stelle an die Diskussion um Chlorhühnchen bei den TTIP-Verhandlungen erinnern. Wir wollten damals noch nicht mal mit den USA ein Handelsabkommen schließen.

Russland möchte sich auch Belarus einverleiben. Was bedeutet dieser Schritt, wenn er denn kommt?
Schon jetzt gehört Belarus zu Putins Lager. Die Bevölkerung wird dort schon jetzt geknechtet, aber das ist ein neuer Schrecken für die Menschen dort. Und eine Sorge für viele Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Putin hat imperiale Ansprüche. Das sind die Kategorien, in denen er denkt.

Wie kann dieser Krieg enden?
Die Vizepräsidentin der USA, Kamala Harris, hat sehr eindrücklich gesagt, dass sich die Ukraine auf eine lange Zeit des Leidens einstellen muss. Es muss irgendwann mal Friedensverhandlungen geben, sonst hat man einen eingefrorenen Konflikt. Staaten begeben sich allerdings nur an den Verhandlungstisch, wenn sie selbst nicht mehr die Chance sehen, dass sich die militärische Situation zu ihren Gunsten verändert. Das sehe ich im Moment nicht: Putin hat einen gewissen Tunnelblick und die Ukraine will verständlicherweise keine Territorien aufgeben. Nicht zuletzt wird es dann um die Frage der Reparationen gehen. Wer bezahlt für die materiellen Schäden der Ukraine?

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Wird der Westen die Krim langfristig aufgeben?
Es wird wohl sehr schwierig sein, sie zu halten. So ein entsetzliches Dilemma es ist: Aber irgendwann wird man die Frage stellen, ob der Westen eine Rückeroberung materiell und finanziell unterstützen kann.

Wird Deutschland durch diese Krise kommen, ohne weitere Schulden zu machen?
Das ist ja die Kernfrage im Konflikt zwischen Habeck und Lindner. Man wird an der einen oder anderen Stelle an Einsparungen nicht vorbei kommen. Oberste Priorität haben aus meiner Sicht Sicherheitspolitik, Klima und Energie. Wobei Frau Esken darauf pocht, dass Soziales und Bildung dieselbe Priorität haben. Wir brauchen tatsächlich mehr Investitionen und ich befürchte, dass das mit der Schuldenbremse nicht gehen wird. Das bereitet mir erhebliche Bauchschmerzen im Hinblick auf die Belastungen für die künftigen Generationen.

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