Pflegebranche: So soll der Betrug bekämpft werden
München - Es ist ein Milliarden-Schaden, der den Sozialkassen entstanden ist: Ärzte, Apotheker, Pflegedienste sowie auch Pflegebedürftige und ihre Angehörigen selbst machten gemeinsame Sache und ließen Leistungen abrechnen, die gar nicht erbracht worden waren. Der Anfang April bekanntgewordene Pflegeskandal ist der wohl größte in Deutschland dagewesene.
Jetzt sagen Patientenschützer der Kriminalität in der Pflegebranche den Kampf an – und erhöhen den Druck auf Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). „Organisierter Betrug in der Pflege ist nichts Neues“, erklärt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Er wirft Gröhe vor, nicht dynamisch genug zu reagieren.
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Das geplante Pflegestärkungsgesetz III müsse zu einem Betrugsbekämpfungsgesetz weiterentwickelt werden. „Das ist eine Chance, die nicht vertan werden darf“, betont Brysch. Seine Stiftung hat deshalb am Dienstag einen Acht-Punkte-Plan gegen den Pflegebetrug vorgestellt. Was die Patientenschützer im Einzelnen fordern:
1. Eine einheitliche Patientennummer: Derzeit können für Pflegebedürftige, die Leistungen der Krankenkasse und der Pflegekasse erhalten, bei der Abrechnung zwei unterschiedliche Versichertennummern genutzt werden: die Kranken-Versichertennummer und die Pflege-Versichertennummer. „Das schafft Intransparenz und erschwert die Überprüfung von Abrechnungen“, kritisieren die Patientenschützer.
Deshalb soll es künftig eine einheitliche, lebenslange Patientennummer geben. „Sie lässt sich unbürokratisch einführen, indem die Kranken- und die Pflege-Versichertennummer in Zukunft identisch sein müssen“, heißt es im Forderungskatalog der Stiftung.
2. Pflegeleistungen künftig ausschließlich elektronisch abrechnen: In der Pflegeversicherung sind Abrechnungen in Papierform immer noch begrenzt möglich. Bei Abrechnungen mit der Krankenkasse ist der elektronische Datenaustausch hingegen bereits verpflichtend.
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„Die digitale Abrechnung ermöglicht, Daten besser auszuwerten und so auch Auffälligkeiten schneller aufzuspüren“, erklären die Patientenschützer.
3. Kontrollen stärken: Die Stiftung kritisiert Versäumnisse im Kontrollsystem. Eine Lücke bestehe etwa in Fällen, in denen der Pflegeversicherte neben der häuslichen Krankenpflege auch Pflegegeld, jedoch keine Pflegesachleistungen bezieht. „Die Pflegekassen haben hier bislang kein Prüfrecht. Dies muss ergänzt werden“, heißt es im Acht-Punkte-Plan.
Zusätzlich gebe es in der Krankenversicherung keine wirksamen Kontrollmechanismen bei der häuslichen Krankenpflege. Die Patientenschützer fordern deshalb, hier regelmäßige Kontrollen der Krankenkassen bei den ambulanten Pflegediensten vorzuschreiben. Verbindlich zu prüfen sei dann auch die Abrechnungen der Leistungen.
Korruption: Anonyme Hinweisgeber sollen geschützt werden
4. Pflege-WGs definieren: Pflege-Wohngemeinschaften werden immer beliebter. Allerdings gibt es bislang keine einheitlichen Standards. Einige WGs sind selbstorganisiert, andere von einem Träger gesteuert. Dabei komme es in diesen Gemeinschaften laut den Patientenschützern immer wieder zu Abrechnungsbetrug und nicht fachgerechter Betreuung der Bewohner. Die Stiftung Patientenschutz hält es daher für dringend erforderlich, Pflege-WGs bundesweit einheitlich zu definieren und eine Meldepflicht einzuführen.
5. Anonyme Hinweise ermöglichen: „Wo Korruption und verdeckter Betrug stattfinden, sind anonyme Hinweise eine wichtige Hilfe für die Strafverfolgungsbehörden. Dies gilt zumal für das komplexe und intransparente Gesundheitswesen“, erklären die Patientenschützer. Zwar seien bereits „Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ in der Kranken- und Pflegeversicherung geschaffen worden. „Diese müssen künftig aber um verbindliche Anlaufstellen für anonyme Hinweise ergänzt werden, um so Hinweisgeber zu schützen“, fordert die Stiftung.
6. Straffreiheit bei Selbstanzeigen schaffen: Zudem fordern die Patientenschützer eine Regelung zur Straffreiheit bei Selbstanzeige von Abrechnungsbetrug. Demnach soll straffrei bleiben, wer sich selbst anzeigt und den entstandenen Schaden gegenüber den Leistungsträgern und deren Beitragszahlern vollständig ersetzt. „Ziel ist es, Betrugsfälle aufzuspüren, die sonst womöglich nie entdeckt worden wären“, lautet die Begründung dazu.
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7. In allen Ländern Meldepflichten einführen: Bislang gilt Folgendes: Wer einen ambulanten Pflegedienst eröffnen will, verhandelt mit den Pflegekassen einen Versorgungsvertrag. Bei den Aufsichtsbehörden anmelden muss er sich dafür allerdings nicht. Einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen haben bereits eine Meldepflicht eingeführt. Für eine bessere Kontrolle solle diese künftig auf ganz Deutschland ausgeweitet werden. „Die ambulanten Pflegedienste stünden dann flächendeckend unter Behördenaufsicht“, erklären die Patientenschützer.
8. Spezielle Ermittlungsteams und Staatsanwaltschaften aufbauen: Bayern, Hessen und Thüringen haben bereits speziell auf Kriminalität im Gesundheitswesen geschulte Ermittlerteams und Staatsanwaltschaften. Genau wie bei der Meldepflicht fordern die Patientschützer diese in allen Bundesländern. Die Länderregierungen sollen zudem sicherstellten, „dass ein Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit stattfinden“.
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