Ohne Worte: Heidenau und das Schweigen der Angela Merkel

Die leeren Zeitungsspalten oben sollte Angela Merkel nach den Vorfällen im Osten Deutschlands endlich mit einer Reaktion füllen, kommentiert AZ-Vize Timo Lokoschat.
von  Timo Lokoschat
Leer: Der Artikel über die Rede der Kanzlerin auf der heutigen Seite 10 der AZ.
Leer: Der Artikel über die Rede der Kanzlerin auf der heutigen Seite 10 der AZ. © AZ

Nein, was Sie auf dem Bild oben sehen, ist kein technischer Fehler oder der letzte Schrei im Layout von Tageszeitungen, sondern genau das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den Ausschreitungen von Heidenau gesagt hat. Nämlich: nichts. Die Kanzlerin, die schon bei der Griechenland-Debatte im Bundestag das Wort lieber ihrem Finanzminister überließ und sich bedeckt hielt (damit ja nicht der Eindruck entsteht, es gehe hier um ein „Misstrauensvotum“), hüllt sich auch beim Thema Flüchtlinge in Schweigen. Allenfalls auf Nachfrage lässt sie, meist über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert, ein paar Sätze verlauten; schwammige, oft nichtssagende Formulierungen.

Dabei wäre längst der Zeitpunkt gekommen, das Wort an die Nation zu richten, spätestens an diesem Wochenende. Merkel hätte das, was in Heidenau passiert ist, als das bezeichnen können, was es ist: eine Schande. Sie hätte sagen können, wie unerträglich es ist, dass Geflüchtete, die Krieg und Terror entkommen sind, im demokratischen Deutschland von gewalttätigen Rechtsextremen empfangen werden.

Sie hätte klarstellen können, dass es sich nicht um „besorgte Bürger“ handelt, die da mit Reichskriegsflagge, Reichsadler und Reichskreuz aufmarschiert sind und Polizisten mit Feuerwerkskörpern angegriffen haben, sondern schlichtweg um Nazis.

Sie hätte sagen können, dass es ein Schlag ins Gesicht der vielen Freiwilligen vom Technischen Hilfswerk und anderen Organisationen ist, wenn Fremdenfeinde das provisorische „Zuhause“ abfackeln wollen, das ehrenamtlich und mühsam aus dem ehemaligen Baumarkt gebastelt wurde.

Zu ihrer Rede hätte auch gehören können, die Vorgänge im thüringischen Suhl zu verurteilen, als Fanatiker vergangene Woche das Asylbewerberheim kurz und klein schlugen, weil sie den Islam beleidigt sahen.

Die Kanzlerin hätte betonen können, wie wichtig der Respekt zwischen den Gläubigen (und vor den Bekenntnisfreien) ist, dass ein zerrissenes Buch, egal, wie heilig es manchen ist, jedoch kein Grund sein darf für Gewaltexzesse gegen andere Bewohner und Polizisten; dass auch diese Vorfälle untersucht und geahndet werden müssen, gerade im Interesse der friedlichen Flüchtlinge.

All dies hätte sie – unter anderem – sagen können, und das Land hätte ihr zugehört, hätte nachgedacht, hätte diskutiert.

Hätte, hätte, hätte. Leider nicht: hat.

Um dieses Fehlen, diese Lücke zu dokumentieren, sie augenfällig zu machen, haben wir den oben abgebildeten Artikel leer gelassen. In der Hoffnung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn in diesen Tagen füllt.

Die von manchen Medien zur „eisernen Kanzlerin“ stilisierte Regierungschefin ist derzeit nämlich vor allem eines: eine eiserne Schweigerin.

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